René Gimpel sieht enttäuschte Anhänger Tony Blairs hinter der Kritik an Jeremy Corbyn.

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Im April wurde Corbyns Labour auf mobilen Plakaten vor dem Parlament in London Antisemitismus vorgeworfen.

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STANDARD: Herr Gimpel, warum will Labour die international gültige Definition des Antisemitismus nicht übernehmen?

Gimpel: Labour hat die Definition selbst Wort für Wort übernommen. Lediglich bei vier der elf angeführten Beispiele …

STANDARD: … die laut der Allianz zur Erinnerung an den Holocaust (IHRA) "zur Veranschaulichung dienen können" …

Gimpel: … wurden einzelne Formulierungen verändert oder gestrichen. Deshalb verstehe ich die Aufregung gar nicht. Die IHRA-Formulierung wird ja ausdrücklich als "nicht rechtsverbindliche Arbeitsdefinition" bezeichnet. Labour will seine internen Regeln straffen und verdeutlichen, um antisemitische Mitglieder disziplinieren zu können.

STANDARD: Und notfalls aus der Partei zu werfen?

Gimpel: Auch das. Aber dazu muss das Regelwerk einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Darum geht es. Am Ende wird es wahrscheinlich über die IHRA-Definition hinausgehen. Bisher musste sich der Disziplinarausschuss immer auf die vage Formulierung zurückziehen, der oder die Betroffene habe "dem Ansehen der Partei geschadet". Das ist schwer zu beweisen.

STANDARD: Wie erklären Sie sich aber den Aufschrei vieler jüdischer Organisationen und Prominenter?

Gimpel: Innerparteilich handelt es sich im Wesentlichen um die enttäuschten Anhänger des früheren Parteichefs Tony Blair. Denen scheint es weniger um Labours Wahlsieg als darum zu gehen, wie sie Corbyn schaden können. Die Zeitungen sowie der Zentralrat der Juden wirken auf mich sehr konservativ. Sie haben wohl Angst vor einer sozialistischen Regierung.

STANDARD: Die Rede ist von einer "existenziellen Bedrohung jüdischen Lebens".

Gimpel: Sind damit auch jene gemeint, Juden wie Nichtjuden, die von einer Labour-Regierung profitieren würden: Studierende mit ihren riesigen Schuldenbergen oder Alleinerziehende, die von der Sozialhilfe leben müssen? Bestimmt nicht. Es geht um die wohlhabende Mittelschicht, die ohnehin die Tories wählt. (Sebastian Borger aus London, 30.7.2018)