Sandra Hüller (Penthesilea) und Jens Harzer (Achilles).

Foto: APA/BARBARA GINDL

Regisseur Simons hat für die beiden Darsteller radikal abgeräumt: schwarze Bühne, schwarze Kostüme.

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Salzburg – Die Amazonen dulden keine Männer unter sich, doch wenn einem ein Einzelner so gegenübersteht, dann beginnt die Abmachung im Frauenstaat zu wanken. Noch dazu wenn der Auserkorene ein Krieger ist wie Achilles, der jeden Kampf aufnimmt und der postwendend ebenso von der Amazonenkönigin Penthesilea hingerissen ist.

Den Liebeskampf – zerrissen zwischen politischer Raison und individuellem Gefühl – inszeniert Johan Simons bei den Salzburger Festspielen als intensives Körpertheater zweier Starschauspieler: Sandra Hüller und Jens Harzer im Duett. Unter den Blankversen aus Kleists Trauerspiel von 1808 (Fassung: Vasco Boenisch) beginnen deren Körper regelrecht zu beben.

Das Schauspielerfleisch leuchtet! Simons hat für die beiden Darsteller radikal abgeräumt: schwarze Bühne (Johannes Schütz) und schwarze Kostüme (Nina von Mechow), sonst nichts. Rückwärts scheint die Finsternis in die mythologische Zeit zu ragen (oder ist es doch nur die Schauspielergarderobe?). Von dort ertönen die ersten Rufe der gegenseitigen Anziehung, ein unheilvolles Geräusch des Zerreißens folgt ihnen.

Wenige stilisierte Bewegungen

Die Schauspieler kommen nach vor, und ihre Gesichter beginnen zu sprechen, vor allem aber auch ihre teilweise entblößten Körper. Die Arme heben sich empor, der Bauch pumpt, das Bein knickt ein. Es sind nur wenige stilisierte Bewegungen, die die körperliche Beziehung (Liebe und Krieg) der beiden definiert.

Schon Kleist war in seinen Beschreibungen von yoga-ähnlichen kunstvollen Verrenkungen im Schlachtgetümmel angetan: "O, wie er mit der Linken / Vor über seiner Rosse Rücken geht! (...) Seht! Wie sie mit den Schenkeln / Des Tigers Leib inbrünstiglich umarmt!" Zu den vielen Muskeln, die die beiden Krieger hier im Einsatz haben, zählt aber eben auch das funktionstüchtige Herz, das sie beide in Unsicherheit zusammenführt.

Sehr schöne Hochzeit

Die Nebenrollen tragen Penthesilea und Achilles wie widersprechende Stimmen inkorporiert, was Spannung generiert und das Reflexionsmaterial neu schichtet. Dabei gehen Performance und Schauspielertheater eine sehr schöne Hochzeit ein! Simons' Idee ist es, die Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit zu lockern. Das hat natürlich viel mit körperlicher Präsenz zu tun.

Penthesilea wird zum Achilles als Frau, Achilles zur Penthesilea als Mann. Der Gedanke ist nicht neu, aber er hat Bestand, und er ist in seiner konkreten Umsetzung bemerkenswert, weil Simons keinerlei Weiblichkeits- oder Männlichkeitsklischees bemühen muss. Sandra Hüller und Jens Harzer bewegen sich so seltsam fremd, so unkonnotiert menschlich, dass man tatsächlich an sie als mythologische Figuren glaubt.

Unter Strom

Beide wenden allerdings unterschiedliche Strategien an. Hüller ("Toni Erdmann") ist übrigens eine langjährige Simons-Gefährtin und folgt dem designierten Intendanten nun ans Schauspielhaus Bochum, mit dem diese Salzburger "Penthesilea" auch koproduziert wurde. Ihre Penthesilea steht unter Strom, sie ist kantig und unsicher, deshalb auch schnippisch, eine atemlose Amazonenkönigin, die in ihren Gesten und Grimassen eine Zwölfkämpferin von heute sein könnte.

Hüller versucht den Text zu erden, ihn wie Alltagssprache – manchmal allzu gehetzt – wegzusprechen, was leider auch den Effekt hat, dass man einiges akustisch nicht versteht. Ganz anders Harzer, der "Sprachdruide" ("Süddeutsche Zeitung"), der den Worten Zeit gibt, sie abbremst und über die Vokale einen denkwürdigen Schatten zieht. Die Sätze klingen dunkel und verwundet. In den Reden seiner vergeistigten Gestalt, die am liebsten nur zu Boden blickt, bohrt der Text in seine mythologische Tiefe hinab.

Auflösung geschlechtlicher Zuordnungen

Gibt die Amazonenkönigin sich burschikos, so eignet dem griechischen Heros in seinem langen Kittel etwas Königinnenhaftes. Dieses Spiel einer Auflösung geschlechtlicher Zuordnungen – als Spiel wird es am Schluss kenntlich – performen Hüller und Harzer voller Spannung und Rätselhaftigkeit. Damit legen sie bei dieser ersten Schauspielpremiere der Salzburger Festspiele die Latte hoch. Doch bei allen weiteren Premieren wird der Schauspielkunst gefrönt: vom Castorf-Ensemble (4. 8.) bis zum liturgischen Theater Ulrich Rasches (ab 18. 8.). (Margarete Affenzeller, 30.7.2018)

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