Sogar der Sir Karl hat sich blenden lassen. Heute ist er Zampano im Hafen von Monfalcone, aber er hat eine lange Geschichte, die ihn mit italienischen Sportwagen und Wien verbindet. Er erkennt jeden Maserati am Geruch, jeden Ferrari am Knistern des sich abkühlenden Antriebs, sogar jeden Stanguellini an der Öllacke, die sich unter dem Wagen bildet. Und er lässt alles liegen und stehen, wenn ein Presseauto in seinen Hafen einfährt, um erst, bei einem Glas Wein im Hafenrestaurant, die neuesten Gerüchte zu besprechen, bevor er drei Runden um den neuen Wagen geht und damit anhebt, von seinen Flegeljahren zu erzählen.

Egal, wo man hinschaut, ob auf den Scudetto, die Felgen, die gesamte Front, den blauen Lack oder die gelben Bremszangen, die Giulia ist eine Augenweide. Nachmessen sollte man jeden Spalt aber nicht.
Foto: Guido Gluschitsch

Die Giulia hat er nur aus dem Augenwinkel gesehen und noch vor dem Ordern des Weines gefragt: "Quadrifoglio verde?" Dann hätte der Wein nämlich warten müssen. "210 PS Diesel, Veloce."

Sir Karl drehte sich noch einmal zu dem Wagen, kniff die Augen zusammen – "schön ist sie trotzdem"- setzte sich auf den Sessel und winkte der Kellnerin.

Die gelben Sättel in den edlen Felgen machen schon ordentlich was her.
Foto: Guido Gluschitsch

Gut, ein Diesel gehört jetzt wirklich in einen Alfa wie ein Löffel zu einem Teller Pasta. Aber wie der Cucchiaio hat auch der Selbstzünder seine Vorteile. Er hat ein herrliches Drehmoment und ist sparsam: Obwohl der 2,2 Liter große Turbo-Diesel 210 PS leistet, kamen wir im Test mit 6,7 Litern aus. Das ist weniger, als wir im 180 PS starken Bruder brauchten, zudem ist da noch viel Potenzial nach unten, wenn man sich auch nur ein wenig im Griff hat. Außerdem sieht man dem Veloce von außen gar nicht an, wenn ein Diesel für den Antrieb sorgt.

Wo Q4 draufsteht, ist Allrad drinnen.
Foto: Guido Gluschitsch

Veloce, das ist die schnelle Ausstattung. Sport-Ledersitze, eine ganze Batterie an Assistenten, die sich um die Spurhaltung oder die Notbremsung kümmern, LED-Rücklichter, Veloce-Bremsanlage ... Unser Testwagen hat als eines von vielen Extras gelbe Bremssättel um 214,20 Euro. Und von Wien bis Triest haben ständig verschiedene Alfisti einen steifen Hals bekommen – wohl in der Annahme, des 510 PS starken Benziners angesichtig geworden zu sein.

der Innenraum der Giulia.
Foto: Guido Gluschitsch

Für die Langstrecke ist diese Giulia so was wie ein Erste-Klasse-Ticket. Die Kombination aus Komfort und Sportlichkeit ist herrlich gelungen. Was aber nicht einmal den Sir Karl überrascht, denn das Fahrkapitel war bei Alfa Romeo schon immer eines, in dem scharf und spitz formuliert wurde.

Da geht eine Weil ein Gepäck wie zum Beispiel einige Kartons Wein hinein.
Foto: Guido Gluschitsch

So ist das auch bei der Giulia. Diese Lenkung schreit regelrecht nach einer gefinkelten Rundstrecke mit unterschiedlichen Kurven. Nur im Collio, auf den Hügeln hinter Triest, schiebt der Wagen dann doch manchmal über die Vorderachse. Wir wollen nicht das Gewicht des Motors, schon gar nicht am Allradantrieb, verantwortlich machen, und bestehen auf Fahrfehlern ob der Gier.

Den Bechern für die Armaturen ist Alfa Romeo treu geblieben.
Foto: Guido Gluschitsch

Das straffe Fahrwerk verleitet einen nämlich schon dazu, permanent zu schnell unterwegs zu sein. Die feine Automatik mit acht Gängen spielt dem Umstand noch in die Hand. Erst als wir den Kofferraum selbst unter Aufwendung des gesamten Ersparten nicht vollständig mit Wein auffüllen konnten, kehrte die nötige Beruhigung in den Gasfuß ein.

Die vordere Nummertafel ist natürlich seitlich montiert.
Foto: Guido Gluschitsch

Einen besseren Menschen macht die Giulia also nicht aus uns. Wir wollen sie fahren. Immer. Was schon daran liegt, dass man sich gleich ein bisserl in sie verliebt. Wann haben Sie sich das letzte Mal, nach dem Aussteigen, nach ihrem Auto umgedreht und zufrieden geseufzt? Nicht einmal Sir Karl kann sich daran erinnern. (Guido Gluschitsch, 2.8.2018)

Foto: Guido Gluschitsch