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Die größte islamistische syrische Rebellenorganisation HTS hat sich von Al-Kaida losgesagt. Beim Kampf gegen den "Islamischen Staat" replizieren sie dessen Grausamkeiten.

Foto: Reuters/KHALIL ASHAWI

Die Bezeichnung "Jihadisten-Chaos in Idlib" – der syrischen Provinz in Rebellenhand – ist eine Kreation eher Assad-freundlicher Medien: Aber dass Idlib zum Hotspot von sich teilweise bekriegenden, immer wieder neu formierenden islamistischen und jihadistischen Gruppierungen geworden ist, ist eine Tatsache. Nach Idlib sind, seitdem das syrische Regime mithilfe seiner Unterstützer das Land nach und nach zurückerobert, auch Islamisten und Jihadisten zugezogen, die andere Gebiete im Rahmen von Deals mit der Regierung geräumt haben.

Es ist nicht damit zu rechnen, dass das Regime und seine Unterstützer es dabei belassen: Beobachter sprechen von einer bevorstehenden Offensive im Herbst. In deren Erwartung mehren sich die – schon während der Kämpfe in der Ostghouta im Februar und aktuell jener im Süden gehörten – Rufe nach Vereinigung aller Anti-Assad-Kräfte. Aber die Spaltungen in der Szene sind tief.

Es gibt eine Unzahl von Organisationen, aber eine Neugründung sticht unter ihnen heraus: Die "Wächter des Glaubens" (Tanzim Hurras al-Din) formierten sich im Februar, und zwar – das ist das Bemerkenswerte – als neue Filiale von Al-Kaida in Syrien. Der Chef ist ein syrischer Al-Kaida-Veteran, Abu Humam al-Shami (eigentlich Samir Hijazi).

Internationale Reichweite

Das syrische Gesicht sollte nicht über die Internationalität der neuen Al-Kaida in Syrien hinwegtäuschen: Während die Geldgeber unter anderem in Kuwait vermutet werden, sollen vor allem Jordanier eine führende Rolle spielen. Auch Abu l-Qassam (Khalid al-Aruri) soll dabei sein, ein Palästinenser mit jordanischem Pass, der schon mit dem 2006 getöteten Gründer von Al-Kaida im Irak, Abu Musab al-Zarqawi, zusammengearbeitet hat.

Die "Wächter des Glaubens" sind ein Sammelbecken für etliche kleinere Gruppen, die sich von der größten islamistischen Rebellengruppierung in Syrien abgespalten haben – und zwar gerade deshalb, weil sich diese von Al-Kaida distanzierte: Hay'at Tahrir al-Sham (HTS), "Komitee zur Befreiung der Levante", war im Jänner 2017 gegründet worden. Im HTS ging die Fatah-Front (Jabhat Fath al-Sham) auf, die wiederum bis zum Juli 2016 "Nusra-Front" (Jabhat al-Nusra) hieß und ganz offiziell zu Al-Kaida gehörte. Dass HTS/Fath/Nusra-Chef Abu Mohammed Abu Jolani seinen Eid gegenüber Al-Kaida-Chef Ayman al-Zawahiri brach, führte zur Spaltung.

Terrorlisten

Bei Al-Kaida und dem "Islamischen Staat" (IS) ist die Sache klar, aber auch HTS wird auf den internationalen Terrorlisten, auch jeder der USA, noch als Al-Kaida-Verbündeter geführt. Das syrische Regime und Russland können demnach behaupten, sie bekämpfen "Terroristen", wenn sie HTS in Idlib angreifen. Insofern ist das Rebranding der früheren Nusra-Front gescheitert.

Kämpfe zwischen Rebellengruppen gibt es immer wieder, aber besonders blutig ist die Auseinandersetzung mit dem IS. Auch er gehörte ja bis 2013 zu Al-Kaida und war in Syrien mit der Nusra-Front verbunden.

Aus einer aktuellen Kommunikation auf einem HTS-Kanal: Bei einer Operation gegen eine IS-Einheit habe man den Kommandanten festgenommen, Auf dessen Handy fanden sich Aufnahmen, auf denen zu sehen war, wie "dieser Hund Baghdadis" (Abu Bakr al-Baghdadi, der IS-Chef, Anm.) einem HTS-Mujahid den Kopf abschneidet. Er wurde "an denselbem Ort geschlachtet, wo er zuvor den Mujahid tötete".

Wie aus Aufnahmen ersichtlich ist, wird auch die beim IS übliche Tötungsart wiederholt: Es zirkulieren Bilder von IS-Kämpfern in oranger Kleidung, deren abgeschnittene Köpfe auf ihren Rümpfen deponiert sind.

Im jihadistischen Selbstverständnis sind all diese Kämpfe ein Vorspiel der "Malhamat al-Kubra", der großen Schlacht – eine apokalyptische Anspielung – in Idlib, wobei das syrische Regime und der Westen als Feind meist gleichgesetzt werden. Um diese zu besiegen, müsse man zuerst die "Munafiqun" (Heuchler) in den eigenen Reihen loswerden.

Thema auch in Sotschi

Die Zukunft von Idlib ist auch Thema der russisch gesponserten Gespräche in Sotschi zwischen Russland, Iran, Türkei, syrischem Regime und Uno am Montag und am Dienstag. Die Türkei – die mit islamistischen Rebellen in Syrien zusammenarbeitet – wettert gegen eine Idlib-Offensive und will jetzt offenbar ihre eigene Diplomatieschiene eröffnen: mit einer Konferenz Anfang September, zu der Präsident Tayyip Erdoğan neben Russland Großbritannien, Frankreich und Deutschland einladen will – nicht jedoch die USA. (Gudrun Harrer, 31.7.2018)