"Die Hanni" ist nur Nebendarstellerin beim Wandern auf dem Schneeberg. Kurz' Funktionshose kann sie nicht verstehen. "Seine Wadln san net so schiach", sagt sie.

Foto: Facebook/Team Kurz

1. Akt oder Warten auf den Helden

Jede Geschichte braucht einen Helden. Am besten einen überlebensgroßen. So viel größer als man selbst sollte er aber auch nicht sein.

"Sebastian holt sich noch sein Jausensackerl", vertröstet Peter L. Eppinger. Heute mischt sich der Kanzler unters Volk. Seit mehr als zwei Stunden füllt sich schon die Talstation des Sessellifts in Losenheim am Fuße des Schneebergs. Seit einer Stunde unterhält der Kanzlersprecher die Menge. Er kennt das noch vom Radio. Er ist gut drauf. 1.500 Menschen sind gekommen, um mit Sebastian zu wandern.

Nach dem Schöckl Mitte Juli und vor der Sonnalm auf dem Kasberg Ende August ist es die zweite Station seiner Tour "Bergauf, Österreich!". Kurz will heute den Fadensattel bezwingen. Wanderungen haben Tradition in der heimischen Innenpolitik. Wer das Land der Berge regieren will, für den reicht es nicht, jene nur hymnisch zu besingen, scheint's.

Eine rockige Band aus der Region spielt auf. Dass ihr neues Album den Titel "Nothing Is Forever" trägt, können nur Böswillige als schlechtes Omen deuten. Aber die Wohlwollenden sind heute unter sich. Landtags- und Gemeinderatsabgeordnete treten als Anheizer auf und schwören auf den gemeinsamen Kurs ein. "Was kannst du Menschen sagen, die durch Angriffe unserer Gegner verunsichert sind?", fragt Moderator Eppinger einen.

Aus dem Publikum fischt er immer neue Fans zu kurzen Gesprächen. Marianne aus Paris ist zu Besuch hier. Sie hat Kurz schon vor zwei Jahren im Fernsehen entdeckt. Er sei ein Vorbild für ihr Land, sagt sie. Kurz-Anhänger wuseln mit übergroßen weißen Lettern auf dem Hang herum, um "Bergauf" ins satte Grün zu schreiben. Doch Kurz will und will nicht auftauchen. Auch Helden verspäten sich.

2. Akt oder Der Held im Hinterhalt

Als Kurz kommt, hat er kein Jausensackerl in der Hand. Auf seinem Weg durch die Massen muss er Hände schütteln und Fotos machen. Auf Gespräche und die Zeit miteinander, darauf freue er sich, sagt er. Passt ja gut! Dass der jüngste Kanzler der Republiksgeschichte keinen eigenen Rucksack trägt, leuchtet ein. Er muss ja schon die Verantwortung für die Nation schultern.

Dass er die Beine allerdings in langen Trekkinghosen versteckt, stößt Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner auf. Sie ist als Nebendarstellerin dabei. "Die Hanni", wie das Publikum sie nennt, trägt eine kurze Lederhose. Zünftig schaut sie aus. So ganz kann sie Kurz nicht verstehen, "seine Wadln san net so schiach".

Jetzt geht es endlich los. Das Social-Media-Team schwirrt herum, filmt und fotografiert. Es ist ein Gedränge. Manche wandern vornweg, sie werden oben auf der Hütte Fotos mit dem Kanzler machen ("Hoffentlich is' wos worden"). Andere wollen dem Kanzler gleich nahekommen. Darunter drei Frauen, die von Beginn an in Dirndln ganz vorne bei der Bühne gestanden sind. Sie haben türkise Schürzen um und Blumen in den Haaren. Sie werden für die erste Störaktion sorgen, die Schürzen lüpfen und auf deren Kehrseite Protestbilder gegen den Zwölfstundentag zum Vorschein bringen. Das Sicherheitsteam wird sie schnell abdrängen.

Ein paar Minuten später skandieren Mitglieder der Sozialistischen Jugend: "Während es bei Ihnen bergauf geht, geht es bei uns nur bergab. Sie beschneiden unsere Rechte, Sie stehlen uns die Zukunft." Unter den Mitwanderern stoßen sie dafür auf Unverständnis. Der Held lässt sich nichts anmerken. Er ist Widerstände gewohnt. Jedes richtige Drama hat sein retardierendes Moment.

3. Akt oder Der Held meistert die Prüfung

Der Rest des Weges verläuft nach Plan. Und der sieht so aus: Fragen dürfen gestellt, zwischenmenschlicher Kontakt hergestellt werden. Es geht um Unis, Gesundheitspolitik, Deutschförderung an Schulen. Jeder kann zu Kurz hin. Eine Frau klagt über nicht umweltfreundliche Plastiksackerln. "Wir schauen's uns an", beruhigt Kurz. Ein Mitarbeiter notiert das Stichwort "Plastiksackerl". Der Held ist zugänglich, hat augenscheinlich keinerlei Berührungsängste, aber nahbar ist er nicht. Bei Themen, die ihm nicht passen, wird er einsilbig.

Einige haben sich die mit den Jausensackerln verteilten türkisen Schuhbänder ("Ein Band, das uns verbindet") gleich in die Bergschuhe gezogen. Andere tragen sie um Hals oder Handgelenk. Die meisten Wandernden wollen nur ein Foto. Das scheint Kurz am liebsten zu sein. Fotos gehen schnell, fordern nicht mehr als ein Lächeln. "Danke", sagt er danach. Vielleicht, weil er weiß, welchen Dienst ihm die Fotos erweisen. Er sagt auch "Danke", wenn er eine Hand schüttelt. Gerne sagt er auch "super" oder "Wahnsinn".

Auch wenn die Volkspartei nur noch wenig als ländlich zu verstehen ist, seit Kurz sie übernommen hat, hängen dem alten Stil der ÖVP immer noch viele ihrer Wähler an. Und viele der Mitwandernden. Blasmusik und Buben mit Knopferlharmonikas warten nach dem Aufstieg. Während die Musi spielt, steht Kurz abseits und gibt Interviews fürs Fernsehen. Auch die ARD ist da. Er spricht über den Brexit, Migration, den EU-Ratsvorsitz. Politische Arbeit sei oft ein steiniger Weg, sagt er zum ORF.

"Jetzt homma ihn g'segn, jetzt geh ma wieda ham", meint eine Frau. An die Proteste denkt keiner mehr. "Danke, macht es gut, baba", sagt auch der Kanzler um zwei Uhr. Er schüttelt noch ein paar letzte Hände auf dem Weg zum Sessellift, stellt sich in der Schlange an. "Wir lossen di vire", ruft man weiter vorne, "kein Stress", winkt Kurz ab. Es ist gut für den Helden gelaufen. Richtig gut. (Michael Wurmitzer, 30.7.2018)