Bundeskanzler Sebastian Kurz hat viele Vorschläge zur Beendigung der Asylproblematik.

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Mit der Schließung der Balkanroute, der Eindämmung der illegalen Migration und dem Ruf nach einer Wende in der europäischen Asylpolitik hat ÖVP-Chef Sebastian Kurz 2017 die Nationalratswahl gewonnen, und dies ist auch sein größtes Anliegen für den EU-Ratsvorsitz. Was will Kurz tatsächlich, was davon ist politisch und rechtlich umsetzbar – und auch moralisch vertretbar?

Aufnahme durch Resettlement

  • Plan: Immer wieder spricht Kurz von Resettlement, also der gezielten Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten. Die Ausgewählten seien "die Ärmsten der Armen" – und nicht die, die fit genug seien für eine Überfahrt und Geld für Schlepper hätten. Doch gleichzeitig betont Kurz, dass vor einer Aufnahme die illegale Migration aufhören müsste.
  • Bewertung: Damit folgt Kurz erneut dem Vorbild Australiens, das im Verhältnis zu anderen Staaten mehr Flüchtlinge direkt aufnimmt. Doch mit der Vorbedingung des Endes der illegalen Migration lässt sich Resettlement auf eine ferne Zukunft verschieben. Und die Regierung ist bei der Aufnahme von Flüchtlingen derzeit sehr restriktiv; sie verweist auf die große Zahl von Asylwerbern, die Österreich schon aufgenommen hat.

Asylzentren außerhalb der EU

  • Plan: Mit seiner Forderung einer Einrichtung sogenannter Anlandeplattformen außerhalb der EU, wo aufgegriffene Flüchtlinge untergebracht werden sollen, hat sich Kurz in Brüssel durchgesetzt. Es soll nicht mehr möglich sein, per Boot oder illegalen Grenzübertritt nach Europa zu gelangen. In diesen Zentren – im Gespräch sind die nordafrikanischen Staaten und Albanien – sollen dann EU-Asylanträge aufgenommen und bearbeitet werden.
  • Bewertung: Der beim jüngsten EU-Gipfel beschlossene Plan hat zahlreiche Haken. Noch hat sich kein Land bereiterklärt, diese Zentren zu akzeptieren. Und selbst wenn dies geschieht: Wie sorgt man dafür, dass die Flüchtlinge dort bleiben und nicht erneut die Überfahrt in die EU versuchen? Werden die Menschen mit Gewalt festgehalten, dann werden Menschenrechte verletzt. Wer soll die Asylanträge abwickeln und nach welchem Recht? Ein EU-Asylrecht gibt es nicht. Welche Länder würden anerkannte Flüchtlinge aufnehmen? Die als temporäre Unterkunft gedachten Zentren könnten zum Dauerzustand werden – so wie die australischen Flüchtlingslager in Papua-Neuguinea und Nauru. Dort herrschen nicht nur unmenschliche Bedingungen, sondern sie sind auch für Australien sehr teuer.

EU-Außengrenzschutz stärken

  • Plan: Ein verstärkter Schutz der EU-Außengrenze ist der Kern von Kurz' Programm, und der wird auch von allen anderen EU-Staaten unterstützt. Für Kurz ist dies auch Voraussetzung, "um das Jahrhundertprojekt eines grenzfreien Schengenraums weiter bewahren zu können". Die zentrale Maßnahme ist der Ausbau der Grenzschutzagentur mit Sitz in Warschau von rund 2.000 auf 10.000 Mitarbeiter. Dies ist im Augenblick bis 2027 geplant; laut Kurz soll dies schon früher geschehen.
  • Bewertung: Abgesehen von den Kosten – im EU-Budget sind für den Frontex-Ausbau 33 Milliarden Euro veranschlagt – stellt sich die Frage, ob es eine eigene Frontex-Truppe an den Grenzen geben würde – derzeit wird eine 1.500 Mann starke Eingreiftruppe von den Mitgliedstaaten gestellt – und wie sie mit lokalen Behörden zusammenarbeiten würde. Dies stößt schon jetzt in manchen Fällen auf Schwierigkeiten, denn die Länder an den Süd- und Ostgrenzen pochen auf ihre Souveränität.

Aus für Flüchtlingsquoten

  • Plan: Kurz lehnt die verpflichtende Verteilung von Flüchtlingen aus Staaten mit vielen Ankünften – allen voran Griechenland und Italien –, die im Herbst 2015 beschlossen und vom Europäischen Gerichtshof als zulässig bewertet wurde, ab. Er hält es angesichts des Widerstands der meisten osteuropäischen Staaten für undurchsetzbar, das Vorhaben spalte bloß die EU. Dazu komme, dass die meisten Flüchtlinge ohnehin nicht in Ländern wie Bulgarien, Rumänien oder Polen bleiben wollten, sondern so bald wie möglich nach Österreich oder Deutschland weiterziehen würden.
  • Bewertung: Die Verteilung von Flüchtlingen gilt als Ausdruck europäischer Solidarität und wird von den Südländern dringend gefordert. Seitdem aber immer weniger Flüchtlinge in Griechenland ankommen und Italien keine Boote mehr landen lassen will, sinkt der politische Druck zugunsten dieser Initiative.

Sekundärmigration stoppen

  • Plan: Die Absicht des deutschen Innenministers Horst Seehofer (CSU), Flüchtlinge, die in anderen EU-Staaten bereits registriert sind, erst gar nicht mehr aufzunehmen, stößt in Wien grundsätzlich auf Zustimmung. "Ein kurzfristiges Intensivieren der Kontrollen an den EU-Grenzen kann einen Dominoeffekt auslösen, der illegale Migration abschreckt, weil man dann eben nicht einfach so weiter bis Deutschland, Österreich oder Schweden reisen kann", sagte Kurz der "Bild". Doch sobald sich die Berliner Koalition auf einen Kompromiss geeinigt hatte, machte Kurz klar, dass er "keine Maßnahmen zum Nachteil Österreichs" akzeptieren werde.
  • Bewertung: Nach der Dublin-III-Verordnung muss ein Mitgliedsland auch registrierte Flüchtlinge aufnehmen und prüfen, ob sie nicht doch Anspruch auf Asyl haben – etwa durch Familienzusammenführung. Die neue deutsche Politik könnte dazu führen, dass auch Österreich Flüchtlinge an der Grenze zurückweist und noch mehr in den Südländern landen. Eine Reform des Dublin-Systems der EU würde dadurch weiter erschwert. Aber diese ist ohnehin nicht in Sicht.

Keine Asylanträge in der EU

  • Plan: Österreich verfolgt nun das Ziel, dass überhaupt "keine Asylanträge mehr auf EU-Boden gestellt werden" können – sondern nur noch in Zentren außerhalb der EU. Dies ist die Umsetzung des australischen Modells und dient dazu, Flüchtlingen den Anreiz zu einer Überfahrt in ein EU-Land zu nehmen. Sobald sich das herumspreche, so die Logik, würde der Zustrom versiegen und niemand mehr im Mittelmeer ertrinken.
  • Bewertung: Kritiker, darunter andere EU-Politiker und zahlreiche Juristen, sehen darin einen Bruch mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Grazer Völkerrechtler Wolfgang Benedek hält den Plan für "höchst problematisch". Der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer sieht hingegen eine Chance – aber nur unter der Voraussetzung, dass es geregelte Asylverfahren in Anlandezentren in sicheren Drittstaaten gibt, sodass tatsächlich Asylberechtigte eine Chance auf Aufnahme erhalten.

Reform des Asylwesens

  • Plan: Im Regierungsprogramm haben ÖVP und FPÖ eine Beschleunigung der Asylverfahren, eine Verkürzung der Beschwerdefristen und "konsequente Rückführung" von gescheiterten Asylwerbern vereinbart. Das soll nun umgesetzt werden.
  • Bewertung: Schnellere Asylverfahren würden fast alle begrüßen. Aber die Gefahr besteht, dass die Rechtsstaatlichkeit unter die Räder kommt und Menschen mit echtem Flucht- und Asylgrund ohne ernsthafte Prüfung in ein Land abgeschoben werden, in dem ihre Freiheit oder ihr Leben bedroht ist. Manche Asylfälle brauchen einfach Zeit. (Eric Frey, 31.7.2018)