Greenpeace kritisiert die erhöhte Schadstoffbelastung und fordert Verkehrsminister Norbert Hofer auf, das "fragwürdige Projekt" sofort zu stoppen.

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St. Pölten / Linz / Wien – Auf zwei Teststrecken in Nieder- und Oberösterreich sind ab Mittwoch 140 km/h erlaubt. Wer auf den rund 88 Kilometern zwischen Melk und Oed sowie den 32 Kilometern zwischen Haid und Sattledt zu schnell unterwegs ist, kann mit einer gewissen Toleranz bei den Messungen rechnen – und damit im Land ob der Enns theoretisch sogar mit knapp unter 159 km/h straflos davonkommen.

Bei den Tempomessungen werden sogenannte Eichtoleranzen berücksichtigt – und das wird laut Medienberichten in den beiden Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Bei Radargeräten werden bei Geschwindigkeiten über 100 km/h fünf Prozent und darunter fünf km/h abgezogen, bestätigte Willy Konrath, stellvertretender Leiter der Landesverkehrsabteilung Niederösterreich. Das entspricht bei erlaubten 140 km/h dann Tempo 147. Bei Messungen mit Laserpistole ist die Toleranz geringer, sie beträgt drei Prozent beziehungsweise drei km/h – was Tempo 144,2 und eine Strafe ab 145 km/h ergibt.

Toleranz von 10 km/h

Der Leiter der Landesverkehrsabteilung Oberösterreich, Oberst Klaus Scherleitner, spricht von einem "Auslösewert" bei den Radargeräten, ab dem Fotos von Schnellfahrern gemacht werden. Dafür wurde eine Toleranz von 10 km/h festgelegt – ab dem 11. km/h wird gestraft, somit ab Tempo 151. Allerdings kommen noch die fünf Prozent Eichtoleranz, womit das zusammengezählt 159 km/h sind.

Anders ist das bei Laserpistolen, wie Scherleitner erläutert: Da diese nicht automatisch messen, sondern von einer Polizistin oder einem Polizisten bedient werden, muss auch kein "Auslösewert" eingestellt werden. Daher kann die Exekutive an Ort und Stelle auch schon früher tätig werden. Bei geringen Übertretungen mit wenig Gefährdungspotenzial kann noch eine Abmahnung oder ein Organstrafmandat möglich sein, dessen Untergrenze 30 Euro beträgt. Es kann aber auch schon eine Anzeige erfolgen, ab Tempo 180 ist das ein Muss. Bei Anzeigen beträgt der Einstiegspreis 50 Euro, es drohen aber je nach Überschreitung auch empfindlich hohe Beträge und Führerscheinentzug.

Radargeräte, Zivilstreifen und Laserpistolen

In Oberösterreich wird nach dem 1. August "genauso wie vorher kontrolliert", kündigt Scherleitner an. Dazu kommen Radargeräte, Zivilstreifen und Laserpistolen zum Einsatz. Eigene Statistiken über einzelne Strecken werden nicht geführt, wenn nicht noch entsprechende Erlässe kommen. In Oberösterreich sind im vergangenen Jahr 679.000 Anzeigen erfolgt, dazu kommen noch die Organmandate.

Auch aus Niederösterreich heißt es, wenn keine Anordnung vom Verkehrsministerium komme, "werden wir so überwachen wie alle anderen Strecken auch". Ob bereits zum Start am Mittwoch gemessen werde, wurde nicht bekanntgegeben. Anzeigen werden laut Konrath den Behörden übermittelt. Die Höhe der Strafen sei Angelegenheit der Behörden.

Kritik von Greenpeace

Greenpeace hat das Testprojekt kritisiert. "Damit steigt die Unfallgefahr, und es werden deutlich mehr gesundheitsgefährdende Luftschadstoffe wie Stickstoffdioxide sowie Treibhausgase ausgestoßen", hieß es in einer Aussendung der Umwelt-NGO.

Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) wies auf mehrere negative Auswirkungen von Tempo 140 hin. Da sich der Bremsweg verlängert, steige die Unfallgefahr. Auch der Schadstoffausstoß erhöhe sich rasant. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes werden bei einem durchschnittlichen Auto 16,4 Prozent mehr Stickstoffoxide ausgestoßen als bei Tempo 130. Beim Feinstaub sind es 18,6 Prozent mehr. Der CO2-Austausch steigt um 10,6 Prozent.

Greenpeace forderte von Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ), "das fragwürdige Experiment sofort zu stoppen, um Mensch und Natur keinem weiteren Risiko auszusetzen". Stattdessen sollte die Regierung in den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel investieren.

Bremsweg wird länger

Der Anhalteweg nimmt laut ÖAMTC-Berechnung bereits von 130 auf 140 km/h auf trockener Strecke von 101,3 auf 114,5 Meter zu. Bei Regen sind es 129,3 beziehungsweise 146,9 Meter.

Bei Tempo 159 benötigt ein Autofahrer theoretisch 141,70 Meter, um seinen Wagen bei trockener Fahrbahn zu stoppen. In Niederösterreich "blitzt" es spätestens bei 147 km/h, was einem Anhalteweg von 124,20 Metern entspricht.

Der Anhalteweg setzt sich laut ÖAMTC-Techniker David Nose aus dem Reaktions- und dem Bremsweg zusammen. Die Reaktionszeit ist ein wesentlicher Faktor und kann von einer halben bis zu zwei Sekunden reichen. Für Berechnungen geht man von einer Sekunde aus, die vergeht, bis der Fahrer die Bremse betätigt. In dieser Zeit hat man bei 130 km/h 36,11 Meter, bei 140 km/h 38,89 und bei Tempo 159 sogar 44,17 Meter zurückgelegt.

88 Sekunden Zeitersparnis

Die Tempo 140-Teststrecken auf der Westautobahn in Oberösterreich und Niederösterreich bringen unterschiedliche Zeitersparnis: Der mit 44,6 Kilometer längste Abschnitt (Oed bis nach der Melkbrücke in Fahrtrichtung Wien) lässt sich mit der höheren Geschwindigkeit um 88 Sekunden schneller bewältigen. In der Gegenrichtung sind es auf den 44 Kilometern 87 Sekunden.

Den kleinsten Zeitvorteil bringt mit 28,4 Sekunden die kürzeste Teststrecke von Sattledt bis zu den Überkopfanzeigern für den Großraum Linz in Fahrtrichtung Wien: Statt rund 397 benötigt man für die 14,35 Kilometer nur 369 Sekunden. Die Gegenrichtung ist mit 16,45 Kilometern etwas länger, was die Zeitersparnis auf nicht ganz 33 Sekunden vergrößert.

(APA, 31.7.2018)