Ohne Markierung kaum zu erkennen: Eine Schnecke hat einen Korallenstock befallen.
Foto: Cody Clements, Georgia Tech

Atlanta – Bei einem Tauchgang zu einem schwer geschädigten Korallenriff stieß der Biologe Cody Clements vom Georgia Institute of Technology rein zufällig auf einen Faktor, der große Bedeutung für das Gedeihen von Riffen habe könnte, bislang aber übersehen wurde: Meeresschnecken aus der Familie der Stachelschnecken. Diese zapfen Korallenkolonien an und saugen ihnen die Flüssigkeit aus.

Die Tiere sind keine Neuentdeckung, auch nicht die von Clements anschließend näher untersuchte Spezies Coralliophila violacea. Man erkennt sie aber nur schwer, weil ihre Häuser so stark von anderen Organismen bewachsen sind, dass sie sich nahtlos in ihre Umgebung einfügen. Sobald Clements aber einmal wusste, wonach er Ausschau zu halten hatte, fand er die getarnten Schnecken einfach überall.

Das Versuchsgelände vor der Küste Fidschis.
Foto: Cody Clements, Georgia Tech

Um die Auswirkungen der Parasiten zu testen, führte der Forscher in den Gewässern vor Fidschi ein Experiment durch: Er sammelte Schnecken ein und setzte sie auf isolierte "Zweige" von Korallen. Anschließend verglich er deren Wachstum mit dem von schneckenlosen Korallen. Es zeigte sich, dass die Schnecken die Korallen klein halten: Das Wachstum parasitierter Korallen war nach drei Wochen um 18 bis 43 Prozent gebremst, abhängig von der Größe der Schnecken, die sie befallen hatten.

Die letzten Aufrechten

Besonders negativ ist, dass sich die Schnecken bevorzugt auf Steinkorallen der Spezies Porites cylindrica stürzen. Clements' Kollege Mark Hay nennt sie "die letzten Aufrechten", denn diese Korallen bilden oft den Grundstock von Riffen. Sie sind widerstandsfähig gegen Krankheiten und haben zudem die günstige Eigenschaft, dass sie von Dornenkronen – räuberischen Seesternen, die Riffe schwer schädigen können – eher verschmäht werden.

Porites-Kolonien sind daher oft das Letzte, was von einem Korallenriff übrig bleibt – und zugleich das Fundament, auf dem andere Arten aufs Neue aufbauen können, wenn die Umweltbedingungen wieder besser werden. Wenn die Schnecken diese letzte Reserve angreifen, schmälert dies die Chance beträchtlich, dass sich ein Riff wieder erholen kann.

Fische als rettende Kavallerie

Dabei ist Abhilfe ganz einfach, wie ein weiteres Experiment von Clements zeigte: Er versah Korallenkolonien in geschützten und ungeschützten Meeresgebieten mit Schnecken und zog erneut einen Vergleich. Das Ergebnis: In Schutzgebieten fand Clements nie mehr als fünf Schnecken, die an einer Kolonie saugten. Wo Fischfang erlaubt war, konnten es hunderte sein.

In geschützten Gebieten, wo der Fischfang verboten ist, wurden um 220 Prozent mehr Schnecken von Drückerfischen und anderen Spezies gefressen. Zum Beweis lagen die leeren Schneckenhäuser am Boden verstreut – zumindest so lange, bis diese von Einsiedlerkrebsen als neue Behausung davongetragen wurden, wie Clements berichtet.

Bild nicht mehr verfügbar.

Drückerfische sind auf hartschalige Beute spezialisiert. Mit ihrem "Kussmund" können sie einen Wasserstrahl erzeugen, der Beute am Boden freilegt oder sie sogar in eine Position dreht, in der der Fisch besser zupacken kann.
Foto: REUTERS/David Loh

Die klare Schlussfolgerung: Überfischung trägt einen wesentlichen Beitrag zum Sterben von Riffen bei. Will man Korallenriffe retten, muss man die gesamte Nahrungskette im Auge behalten. (jdo, 6. 8. 2018)