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Die Kommerzialisierung des wissenschaftlichen Publizierens hat Tradition.

Foto: ap/Jae C. Hong

Die gemeinsamen Recherchen von NDR, WDR, ORF und einigen anderen Medien haben in den vergangenen Tagen ein Problem ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt: jenes von unseriösen Zeitschriften und Konferenzen. Auch wenn man sich, wie ich, des Problems schon seit längerem bewusst ist, macht es doch betroffen, wie einfach es für die Journalisten war, dubiose Artikel zu publizieren und auf Konferenzen als "Experte" – sogar als "Keynote-Speaker" – aufzutreten. Kein Zweifel, diese Strukturen und Entwicklungen sind brandgefährlich. Die Scientific Community ist gefordert, Lösungen dafür zu finden.

Eine einfache Lösung ist die, den "predatory journals" den Geldhahn abzudrehen. Deren Geschäftsmodell besteht ja darin, dass sie von den Autorinnen und Autoren der wissenschaftlichen Artikel Bearbeitungsgebühren oder Publikationsgebühren in horrenden Höhen verlangen. Wenn es uns gelingt, das Prinzip "Never ever pay for publishing", das ich jüngst den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an einer Summer School mitgegeben habe, als Standard in der Wissenschaft zu verankern, dann ist das Problem der "predatory journals" weitgehend gelöst.

Wissenschaftliches Publizieren in der Krise

Aber kann das überhaupt funktionieren? Meine Antwort ist ein klares Ja. Für die Begründung muss ich etwas ausholen und kurz skizzieren, wie es überhaupt zum Problem der "predatory journals" kommen konnte. Die traditionelle Form des wissenschaftlichen Publizierens sieht – in Kurzform – so aus: 1.) eine Autorin/ein Autor reicht einen Artikel bei einer Fachzeitschrift ein; 2.) der Artikel wird in einem Peer-Review-Verfahren begutachtet, verbessert und entweder abgelehnt oder akzeptiert; 3.) die akzeptierten Artikel werden vom Verlag gesetzt, gedruckt und zu einem Band gebunden; 4.) der Verlag sendet diese Hefte an die Abonnentinnen und Abonnenten der Zeitschrift (meistens wissenschaftliche Bibliotheken), die für dieses Abo bezahlt haben. Bei dieser traditionellen Form des wissenschaftlichen Publizierens zahlt also der Leser beziehungsweise seine Bibliothek und nicht der Autor.

Diese traditionelle Form des wissenschaftlichen Publizierens ist allerdings in den letzten zwanzig Jahren in die Krise geraten. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die beiden wichtigsten sind, dass erstens die Kosten für die Abos dieser Zeitschriften rasant steigen, und dass zweitens die Kosten für das Verbreiten von Information durch das Internet – genauer: das World Wide Web – dramatisch gefallen sind. Schätzungen haben für den Zeitraum 1986 bis 2005 einen Anstieg der Abokosten von wissenschaftlichen Zeitschriften von 7,6 Prozent jährlich ergeben. Das entspricht einer Verdoppelung in elf Jahren. Kein Wunder also, dass die wissenschaftlichen Bibliotheken unter den Kosten der Zeitschriftenabos stöhnen.

Kommerzialisierung hat Tradition

Diese Kostenexplosion hat sich in den vergangenen Jahren fortgesetzt, obwohl sich die Technologie grundlegend geändert hat. Praktisch alle traditionell publizierten wissenschaftlichen Zeitschriften erscheinen heute auch in elektronischer Form, also als Dateien am Internet. Viele werden sogar überhaupt nicht mehr gedruckt, was natürlich die Kosten massiv reduziert. Die traditionell publizierenden Verlage stellen die Artikel heute einfach nur online und wenden eine Menge Geld und Energie dafür auf, den Zugriff darauf auf jene Personen zu beschränken, die durch ein Abo (ihrer Universitätsbibliothek) legitimiert sind. Bei der Frage, wo denn die Leistung der kommerziellen wissenschaftlichen Verlage sei, kommt die Deutsche Bank zum Schluss, dass sie "relatively litte value to the publishing process", also relativ wenig, beitragen. Dennoch – oder gerade deshalb – sind die großen Verlage wirtschaftlich sehr erfolgreich. Laut "Economist" können sie bis zu 40 Prozent ihres Umsatzes als Gewinn verbuchen. Der Kommerzialisierung des wissenschaftlichen Publizierens ist also keine Erfindung der "predatory journals", sondern hat Tradition. Auch traditionelles wissenschaftliches Publizieren ist ein durchaus lukratives Geschäft; allerdings nur für einen der involvierten Akteure.

Gegenbewegung: Open Access

Weil sich viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter in diesem Spiel – steigende Preise trotz sinkender Produktionskosten – über den Tisch gezogen fühlten, haben sie schon frühzeitig darauf gedrängt, die Ergebnisse ihrer Forschung ohne Bezahlschranken zugänglich zu machen. Das haben sie über ihre Homepages und Archive gemacht oder dadurch, dass sie bei den Verlagen auf Open-Access-Publizieren gedrängt haben. Daraus ist im Lauf der Jahre eine kraftvolle Open-Access-Bewegung entstanden, die sich zum Ziel gesetzt hat, wissenschaftliche Artikel "kostenfrei und öffentlich" zugänglich zu machen.

Als Folge davon haben in den vergangenen Jahren viele kleinere Zeitschriften auf Open Access umgestellt, somit sind auch neue Open-Access-Zeitschriften entstanden. Auch sie unterziehen eingereichte Artikel einem Peer-Review-Verfahren, um die wissenschaftliche Qualität sicherzustellen. Weil sie die Artikel nur elektronisch bereitstellen und auch keine Abonnentinnen und Abonnenten verwalten und Zugriffe kontrollieren müssen, halten sich die Kosten in Grenzen und können leicht von wissenschaftlichen Vereinigungen, Universitäten oder anderen Einrichtungen getragen werden.

Öffentliche Mittel

Die kommerziellen Verlage haben auf die Open-Access-Bewegung mit dem Anpassen ihres Geschäftsmodells reagiert: Open Access können wir gern anbieten; wenn aber die Leserinnen und Leser nicht zahlen, müssen die Autorinnen und Autoren mit Publikationsgebühren einspringen. Mit ihrer Marktmacht – die drei größten Verlage tragen mehr als 40 Prozent der jährlich publizierten wissenschaftlichen Artikel bei – haben sie es geschafft, Open Access mit Publikationsgebühr gleichzusetzen. Dies, obwohl rund zwei Drittel der im Directory of Open Access Journals registrierten Zeitschriften keine Publikationsgebühr verlangen. Und weil die großen Verlage bei Open Access Publikationsgebühren verlangen, springen die Universitäten, Forschungsförderer und andere – meist öffentliche – Geldgeber ein und refundieren diese Publikationsgebühren.

Damit bedienen sich die großen Verlage nicht nur weiterhin öffentlicher Mittel, sondern bereiten auch den Boden für die "predatory journals". Denn mit dem Internet sind die Einstiegshürden für neue Zeitschriften sehr niedrig, und dank der von den Großen etablierten Publikationsgebühren lässt sich gutes Geld dabei verdienen. Das insbesondere dann, wenn man den Aufwand niedrig hält und bei der Qualitätssicherung – dem Peer-Review – spart. Die Konsequenzen davon wurden dank der jüngsten Recherchen öffentlich bekannt.

Publikationsgebühren als Ausnahme, nicht Regel

Die Lösung des Problems liegt darin, das kommerzielle Interesse aus dem wissenschaftlichen Publizieren herauszunehmen. Viele wissenschaftliche Zeitschriften gehören eigentlich einer Universität oder einer wissenschaftlichen Vereinigung. Sie sollten ihre Zeitschriften wieder zurückholen, selbst betreiben und damit die positiven Effekte der technischen Entwicklung lukrieren. Dass das problemlos möglich ist, zeigen wir seit vier Jahren mit "Region", der Zeitschrift der European Regional Science Association. Die Geldgeber der Publikationsgebühren, die Unis und Forschungsförderer, sollten die Beträge für diesen Zweck zumindest deckeln und in ihren Richtlinien darauf hinweisen, dass es auch Open-Access-Zeitschriften gibt, die keine Publikationsgebühren verlangen. In diesen Richtlinien sollten sie auch "Never ever pay for publishing" als Grundprinzip verankern, um das Bezahlen von Publikationsgebühren zur Ausnahme zu erklären, die argumentiert werden muss, und nicht zur Regel werden darf. Denn wenn es zur Regel wird, wird es schwierig werden, den Missbrauch in Schranken zu halten. (Gunther Maier, 31.7.2018)