Millionen Flugpassagiere sind täglich in der Luft, im Falle einer Pandemie breiten sich die Krankheitserreger in Windeseile aus.

Es ist selten, dass sich Wissenschafter so einig sind. "Eine Pandemie wird kommen, die Frage ist nicht ob, sondern wann es passieren wird", sagt Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin, bei einem Panel der Wissenschaftskonferenz Curious 2018 in Darmstadt. Mit ihm sitzt Michael Jacobs, Leiter der Abteilung für Infektionserkrankungen am Royal Free London NHS Foundation Trust, auf dem Podium: "Es wird neue, heute noch unbekannte Pathogene geben", sagt auch er, und Christopher Milne vom Tufts Center of Drug Development in Boston, nennt die drei Gründe, warum die große Krankheitswelle mit hundertprozentiger Sicherheit kommen wird.

Zum einen leben zunehmend mehr Menschen rund um den Erdball in Städten auf engem Raum. Das sind ideale Voraussetzungen zur schnellen Verbreitung, vor allem dann, wenn ein Keim über die Luft, Stichwort "Tröpfcheninfektion", weitergegeben wird. Auch die Globalisierung ist ein Faktor. Rund 200.000 Flugzeuge sind täglich in der Luft, das sind Millionen Passagiere, die Keime nicht nur über Länder-, sondern auch Kontinentgrenzen verbreiten. Vor allem spielt auch der Klimawandel eine Rolle. Durch die Erwärmung der Erde entstehen neue Bedingungen für Bakterien.

Auch wenn es die Menschen nicht wahrhaben wollen: Es gibt hundert Millionen Bakterien in und um uns, die Evolution ist in diesem Sinne auch nicht abgeschlossen. Bakterien und Viren haben die menschliche DNA geformt, und das ist ein Prozess, der sich immer weiter fortsetzt. Biologen ist dieser Prozess vollkommen klar, Laien betrachten solche Vorhersagen als Angstmache und verdrängen sie lieber.

Evolution unberechenbar

Die Situation ist komplex: "Was genau passieren wird, lässt sich im Zusammenhang mit neuen krankmachenden Keimen, sogenannten Pathogenen, nicht vorhersagen", bestätigt Jacobs. Gerade deshalb sei es auch richtig gefährlich. Denn klar ist: Wenn irgendwo auf dem Erdball ein Erreger auftaucht, der für den Menschen gefährlich ist so wie einst Ebola, geht es um zwei Dinge: ihn möglichst schnell zu erkennen und dann eine Kette von hochkomplexen Prozessen zu starten, etwa Maßnahmen, um die Ausbreitung zu stoppen, Labore zur schnellen Diagnostik einzurichten und dann möglichst rasch ein Medikament beziehungsweise eine Impfung dagegen zu entwickeln. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit.

"Preparedness" ist deshalb ein wichtiges Stichwort in der Diskussion um Pandemien. Microsoft-Gründer Bill Gates, der sich heute mit seiner Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten einsetzt und den Ernst der Lage begreift, hat das Thema der Preparedness deshalb auch beim World Economic Forum in Davos 2017 lanciert. Insgesamt stellt er 700 Millionen Dollar in den nächsten fünf Jahren im Kampf gegen tödliche Infektionskrankheiten zur Verfügung.

"Wir müssen Mutter Natur mit neuen Konzepten überraschen", sagt Subhanu Saxena, der das Büro der Gates-Foundation in Südafrika leitet. Es gehe, sagt er, um die Entwicklung von Vakzinen, aber durchaus auch darum, Erkenntnisse aus der Immunonkologie in die Infektionsforschung miteinzubringen. "Unser medizinisches Netzwerkdenken muss universeller werden, in der Zusammenschau unterschiedlicher Disziplinen könnten vollkommen neue Ideen entstehen", ist er überzeugt. Allein im herrschenden Medizinbetrieb finde diese Zusammenschau viel zu wenig statt.

Pathogen versus Mensch

"Wir wollen wirkliche Luftschlösser", sagte deshalb auch Stefan Oschmann, Vorstandsvorsitzender des deutschen Pharmakonzerns Merck, der anlässlich des 350-jährigen Bestehens des Unternehmens neue innovative Denkansätze mit einer Million Euro fördert. Für den Future Insight Prize werden "innovative Schlüsselprodukte oder -technologien gegen die bevorstehenden Pandemien gesucht, an die optimalerweise noch keiner zuvor gedacht hat", so Oschmann, der sich mutige und gewagte Pandemieschutzprojekte wünscht.

Denn auch Merck ist klar, dass man mit gängigen Konzepten in einer urbanisierten, globalisierten und klimaerwärmten Welt im Ernstfall nicht erfolgreich sein wird und viele Menschen rund um den Erdball sterben werden, vor allem dann, wenn ein Erreger besonders aggressiv und leicht übertragbar ist.

"Wir sollten uns nicht unbedingt nur um neue, unbekannte Pathogene Sorgen machen, sondern um die vielen bekannten Erreger, die wir im Griff zu haben glaubten", sagt Dorothea Orth-Höller von der Sektion für Hygiene und medizinische Mikrobiologie der Med-Uni Innsbruck. Sie meint damit die vielen Keime, gegen die die existierenden Antibiotika zunehmend ihre Wirkung verlieren. Bakterien seien Anpassungskünstler im Überlebenskampf, die nach einer gewissen Zeit jedes Antibiotikum unschädlich machen werden.

Antibiotika für Pharmakonzerne uninteressant

Dieser Überzeugung ist auch die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, die die Gen-Schere CRISPR/Cas9 im Zuge ihrer Erforschung des Staphylokokken-Bakteriums entwickelt hat und heute als Direktorin des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin forscht. "Bakterien werden sich ganz sicher immer weiterentwickeln. Wir werden in Zukunft kontinuierlich neue Antibiotika brauchen", warnte sie auf der Konferenz in Darmstadt und kritisierte damit indirekt die Strategie vieler Pharmafirmen, die sich in den vergangenen Jahren aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen haben, so auch der Konferenzorganisator und Preisstifter Merck.

Dieser Rückzug hat drei Gründe: "Die Entwicklung von Antibiotika hat sich auf Veränderung bestehender Substanzklassen beschränkt, es sind keine neuen dazugekommen", sagt Mikrobiologin Orth. Und selbst wenn es gelänge, wäre es ein Medikament, das nur sehr spärlich eingesetzt werden dürfte – das hebelt marktwirtschaftliche Prinzipien in der Arzneimittelindustrie aus. Schon heute sterben allein in der EU 25.000 Menschen jährlich an multiresistenten Keimen – ganz ohne Pandemie im klassischen Sinne. (Karin Pollack, 1.8.2018)