Foto: © Gilbert & George Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg
Foto: © Gilbert & George Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg
Foto: © Gilbert & George Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg
Foto: © Gilbert & George Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg

Gilbert, haben wir unsere Pflicht erfüllt?", fragt George. Es ist später Nachmittag. Der letzte Termin ist absolviert, alle Plakate sind signiert, Gilbert & George wollen schlafen gehen. Kein Chillen am Pool? "So etwas tun wir nicht." Und tatsächlich ist es schwer, sich die ergrauten Tweed-Exzentriker in etwas anderem als ihren maßgeschneiderten Anzügen vorzustellen.

Seine perfekt sitzenden Uniformen trug das Künstlerpaar auch 1969. Unter einer Brücke im abgehalfterten Londoner East End, unweit des Bahnhofs Charing Cross, schmetterten die beiden im edlen Tuch Underneath the Arches, die berühmte Sandler-Hymne des Comedy-Duos Flanagan und Allen aus der Zeit der großen Depression. Und so wurde aus dem Südtiroler Gilbert Prousch und dem Briten George Passmore "The Singing Sculpture".

Stets gut rasiert: In ihren Bildern (im Hintergrund) hängen sich Gilbert & George lange Bärte um. Bizarre Gebilde aus Stacheldraht, Blumen und Ornament, die unsere absurde Welt versinnbildlichen.
Foto: Matt Crossick, Imago

"Wir sind zwei Menschen, aber ein Künstler", sagen Gilbert & George – inzwischen weit über 70 – in Salzburg. Und als dieser eine Künstler brauchen die beiden scheinbar nicht einmal ein Stichwort, um – mit inzwischen in den Höhen etwas brüchigen Stimmen – in den Hit einzustimmen: "Pavement is my pillow / No matter where I roam / Underneath the arches / We dream our dreams away."

Den Traum von einer besseren Welt haben Gilbert & George noch nicht aufgegeben. Sagen würden sie das so nicht. Stattdessen sagen sie: "Liebe ist die größte Energie" oder: "Bannt die Religionen!" Wer sich denn besser als Politik oder Kirche als Hüter der Moral eignen würde?_"Der säkulare Mensch. Er tötet nicht. In vielen maßgeblichen Dingen ist er toleranter. Wir wissen, dass wir allein auf der Welt sind, sind nicht getrieben von künstlichen Göttern oder einem Jenseits, das nicht existiert", sagt Gilbert, der den Chefideologen gibt. Und George – stets very british, also charmant und humorvoll – komplettiert ihr Prinzip der sperrigen Gegensätze: "Aber gleichzeitig sind wir viel religiöser als unsere Zeitgenossen."

Ein "Stigma" als Waffe

Gilbert & George sind eine lebende Skulptur – auch im Interview. Nach 51 Jahren funktionieren sie wie ein gut geöltes Maschinchen. Die Mienen stets kon trolliert, kichern sie nur manchmal, offenbar amüsiert über ihre gelungene Doppelconference. 1967 liefen sie sich auf dem St. Martins College of Art über den Weg. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen. Als Homosexuelle waren sie in jenen Tagen Außenseiter – "anders".

Ein "Stigma", dass sie zur künstlerischen Waffe machten. Die metallene Farbe, mit der sie sich die Köpfe bunt färbten, um ihr "Anderssein" zu signalisieren: Heute brauchen sie sie nicht mehr:_"Wir sind anders." Gilbert & George beschreiben das auch als Zurückziehen von der Welt. Die Distanz habe sie zu freien Geistern gemacht, die sehr klar, und ohne "dagegen" zu sein, Themen wie Sexualität, Religion, Sex, Angst, Leben, Tod ansprechen können. Sie regten auf, aber "Unruhe ist kreativ". Deutlich waren sie in der Tat: Sie nannten sich "Gilbert the Shit" und "George the Cunt", zeigten das, was tabu war – Nacktheit, Geschlechtsverkehr und Körperausscheidungen wie Kot, Sperma und Urin. "We don’t like the Pee-Word!", unterbricht Gilbert in gespielter Strenge und kann das Kudern über den gelungenen Witz kaum verbergen.

Foto: © Gilbert & George Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg

Beard Pictures heißt die neueste Bildserie in Pop-Art-Ästhetik, von der nun – nach Stationen in London, New York, Brüssel und Neapel – eine Auswahl bei Ropac in Salzburg zu sehen ist. Am Anfang stand allerdings nicht der Bart, sondern der Stacheldraht. "Wir sahen überall Zäune aus Stacheldraht hochgehen, um Leute zu separieren – in Europa, in Amerika. Es sind auf eine Art und Weise religiöse Mauern. Und so steckten wir den Bart der Orthodoxen durch den Stacheldraht", so Gilbert. Und George:_"In unserer Jugend stand Stacheldraht für Landwirtschaft – und sonst nichts."

Die Hipster-Bärte, ohne die man "heute keinen Job mehr in der Cocktailbar bekommt" und die religiösen Bärte sind allgegenwärtig. Gilbert & George schnallen sie sich unters Kinn. Ein Sinnbild für die Schizophrenie der Welt. Normal und bizarr zugleich – so wie Gilbert & George selbst. (Anne Katrin Feßler, 1.8.2018)