Schüler, Pendler, Floridsdorfer: Auf dem Franz-Jonas-Platz im 21. Bezirk tummeln sich viele – immer wieder auch Obdachlose.

Foto: STANDARD/Müller

Die Forderung nach einem Alkoholverbot finden viele überzogen.

Foto: STANDARD/Müller

Die Wiener U6 gilt als schwarzes Schaf unter den Wiener U-Bahn-Linien – und nicht erst, seit Stadträtin Ulli Sima dort den Verzehr von Kebab verboten hat. Sie fährt den Gürtel entlang, wo einige Stationen als Drogenumschlagplätze verschrien sind, durchquert dann die Brigittenau, den Bezirk mit dem zweithöchsten Migrantenanteil, fährt hoch über die Donau und Donauinsel, taucht wieder in die Erde ein und endet schließlich in Floridsdorf, dem größten Verkehrsknotenpunkt östlich der Donau.

Hier treffen – wie auch am Praterstern – U-Bahn und S-Bahn aufeinander. Und zumindest für Bezirksvorsteher Georg Papai ist diese Parallele auch ein Warnsignal. Er fordert nach dem Vorbild des zweiten Bezirks ein Alkoholverbot auf dem Franz-Jonas-Platz. Denn sonst drohe auch dieser Bahnhofsvorplatz zum sozialen Brennpunkt zu werden.

Bücher für den guten Zweck

Doch ein Lokalaugenschein vermittelt ein anderes Bild. Ruhig, fast beschaulich geht es hier zu, auf den Steinblöcken zwischen den grünen Bäumen, sitzen zumeist Menschen, die eine Beschäftigung und ein Dach über den Kopf zu haben scheinen. Obdachlose sieht man nur wenige.

Direkt vor der Bahnhofshalle steht ein Bücherflohmarkt. Die Erlöse gehen an die Gruft, erzählt Sylvia Wilke. Der Sozialflohmarkt der SPÖ ist jeden Tag bei gutem Wetter hier. Dreimal pro Woche ist es auch Wilke. "Das ist der schönste Platz in Wien. Hier kommen alle her, Junge, Alte, Wiener und Nicht-Wiener", schwärmt die grauhaarige Frau, während sie an ihrer Zigarette zieht. Ihr Aschenbecher steht auf ein paar Büchern neben einer kleinen schwarzen Handkassa.

Am Rande des Platzes stehen ein paar Männer, sie unterhalten sich und trinken dabei. "Mich stört das nicht", sagt Wilke. Probleme habe es nie gegeben. Seit über 20 Jahren verkauft sie hier Bücher. Seit es das Alkoholverbot am Praterstern gebe, sei es sogar ruhiger geworden. "Vielleicht wissen die Leute, dass man es auf sie abgesehen hat", sagt sie und lugt hinter der großen schwarzen Sonnenbrille hervor: "Wie siehst du das? Gibt's hier ein Alkoholproblem?", ruft sie einem älteren Mann in einem Leinenanzug zu, der gerade eine Bananenkiste voller Bücher durchwühlt. "Ich bin nicht so oft hier. Aber ich habe noch nie Probleme gehabt. Verbote sind offenbar gerade in Mode, damit sollte man sich aber zurückhalten", sagt er. Über eines ist man sich am Bücherstand einig: "Das ist ja nicht der Praterstern hier."

Beim Bäcker auf der anderen Seite des Platzes, jenseits der Straßenbahnschienen, hört sich das etwas anders an. Eine Mitarbeiterin schäumt Milch. Während der Kaffee aus der Maschine rinnt, erzählt sie, dass sie sich als Frau unwohl fühlt, wenn sie den Platz quert. "Am Sonntag mag ich eigentlich nicht allein hier durchgehen, aber ich muss zur Arbeit." Dann würden viele auf den Bänken und Steinen sitzen, trinken und seien "anhänglich", wollten reden und schrien einem nach. "Man hat ein ungutes Gefühl, auch wenn hier noch nie etwas passiert ist", sagt sie, wischt sich die Hände kurz an der schwarzen Arbeitsschürze ab und klopft, weil gerade kein Holz in der Nähe ist, auf die Glasvitrine über den Beerentörtchen.

"Wir stören ja niemanden", sagt ein junger Mann. Seine Haare sind abrasiert, er steht in einer Gruppe um eine kleine Bank. In der Hand hat er eine Dose Ottakringer Bier. "Man muss da schon unterscheiden, am Praterstern hab ich mich auch unwohl gefühlt, wenn ich dort nur umgestiegen bin. Jeder schnorrt dich an, wir nicht."

Bier und Mistsackerln

Er treffe seine Freunde hier, bespreche sich mit ihnen – "die letzten Wochen ging es viel um die Fußball-WM und darum, auf wen man tippt" – er wohne ums Eck, halte den Platz sauber: "Wir haben eigenes Bier und Mistsackerln mit."

Ob die Gruppe jeden Tag da ist? "Na ja, schon oft." Sein Bekannter hat einen Softdrink in der Hand und nickt zustimmend. "Die Polizei sekkiert uns, sagt, wir lungern rum. Zu Mittag löst es sich bei uns aber eh auf", sagt ein älterer Mann, ganz in Weiß gekleidet: Kappe, T-Shirt, Hose, Schuhe. Gegen zwölf Uhr würden alle heim zum Mittagessen müssen, erzählt der Pensionist. Wie die Situation abends sei, wisse man nicht. "Der Bezirk will alles verbieten. Aber wem gehört Floridsdorf? Uns allen. Ich lebe seit 25 Jahren hier und lasse mich sicher nicht vertreiben." (Oona Kroisleitner, 1.8.2018)