China zählt 57 Millionen demobilisierte Soldaten. Ihre Wut über ihre Behandlung ist so groß, dass Peking jüngst ein neues Ministerium zur Lösung ihrer Probleme gründete.

Foto: Johnny Erling

Den fit wirkenden Männern im Alter um die 50 Jahre sieht man an, dass sie einst durchtrainierte Soldaten waren. Viele tragen kleine Klappstühle mit sich, hocken in Gruppen auf der Straße, spielen mit ihren Smartphones. Sie sind Warten gewohnt. Hunderte von ihnen schlendern am Mittwochmorgen, dem chinesischen Jahrestag der am 1. August 1927 gegründeten Volksbefreiungsarmee, auf und ab vor der Beiyuanlu-Straße Nummer 36 weit im Norden der Hauptstadt. Dort versteckt sich in einer Seitengasse das erst im April gegründete Ministerium für die Anliegen von Veteranen der Armee.

Von weither sind sie dafür nach Peking gekommen, um als Bittsteller in eigener Sache zu klagen. Die mageren Abfindungen und Renten reichen ihnen nicht aus. Sie finden keine qualifizierten Jobs. Ihr einstiger Rang in der Armee wird nicht anerkannt. Sie sind mit ihren Familien nur mangelhaft sozialversichert. Seit ihrer Entlassung aus der Armee und der Rückkehr in ihre Heimatorte fühlen sie sich von lokalen Behörden wie Bürger und Bauern zweiter Klasse behandelt.

Proteste der zornigen Soldaten

Peking hat vor den zornigen Soldaten einen Heidenrespekt. Dank ihrer Smartphones sind sie über WeChat untereinander organisiert. Seit 2016 verabredeten sie sich zu Dutzenden Protesten im ganzen Land. Am Mittwoch überwacht ein Kordon schwarz gekleideter Sondereinsatzkräfte die Gasse zum Ministerium. Sie lassen die Veteranen nur nach Kontrolle ihrer Ausweise und mitgebrachten Taschen passieren.

Am Straßenrand parken Polizei-Vans aus einem halben Dutzend Provinzen, aus denen die Ex-Soldaten in die Hauptstadt kamen. Die dortigen Behörden lassen sie auch in Peking nicht aus ihrem Blick. "Der Auflauf der Veteranen hier ist nicht nur heute so zahlreich", sagt eine Verkäuferin im Geschäft am Straßenrand. "Wir erleben ihn jeden Morgen, seit es das neue Ministerium gibt."

Tagesrekord 1600 Bittsteller

Vor dem Eingang zur Behörde müssen sich die Veteranen hintereinander in gewundenen Gittergängen anstellen. Reporter der Armeezeitung "Jiefang Junbao" durften das siebenstöckige, marmorverkleidete Ministerium besuchen. Sie wurden Zeugen, wie sich Mitarbeiter an acht nach Regionen unterteilten Schaltern die Klagen anhören. In den ersten 100 Tagen hätten "rund 23.000 Veteranen vorgesprochen." Tagesrekord seien 1600 Bittsteller gewesen. Das Blatt schreibt, das neue Ministerium sei die "ersehnte Hoffnung für 57 Millionen ehemalige Kämpfer", dass ihre Probleme gelöst werden können. So viele Soldaten seien in den vergangenen Jahrzehnten in China aus dem Kriegsdienst entlassen worden.

Einst waren Chinas Soldaten Helden, der Partei loyal ergeben. In einer Phase der Wirtschaftsreformen, in der es keine Verwendung für sie gab, fielen dann Millionen der Verkleinerung der Armee zum Opfer und wurden aus dem Armeedienst entlassen. Zuletzt reduzierte Parteichef Xi Jinping die heute zwei Millionen Soldaten zählenden Streitkräfte um 300.000 Mann.

Kundgebungen in Peking

Die Neugründung des Ministeriums für Veteranen im Frühjahr kam zu einer Zeit, als Peking mit seiner Bürokratiereform andere Verwaltungen abbaute. Sie erfüllte eine Forderung von Parteichef Xi, der den gärenden Zorn der Veteranen über ihre Missachtung als Gefahr witterte. Das am 16. April gegründete Ministerium soll nun diesbezüglich wie ein Ventil wirken. Minister Sun Shaocheng enthüllte auf seiner ersten Pressekonferenz, dass "wir schon am ersten Tag nach unserer Gründung Petitionen und Beschwerden der Veteranen entgegennahmen".

Seit Jahren machten die Ex-Soldaten mobil gegen die Regierung. Von 2016 an rissen ihre Demonstrationen oder Sit-ins nicht ab. Zweimal kam es auch in der Hauptstadt zu großen Kundgebungen. Vergangenen Monat eskalierten fünftägige Proteste in Zhenjiang in Jiangxi, die von der Militärpolizei aufgelöst werden mussten. Er kenne solche Berichte aus dem Internet, sagte Fang Zongxiang, Vizeminister des neuen Ministeriums. Er dementierte sie nicht. Er appellierte an die Veteranen, ihre Klagen nicht auf die Straßen zu tragen. "Massenversammlungen" würden von Agitatoren "mit bösartigen Motiven" ausgenutzt. Fang warnte vor "radikalen Aktionen", die "die Stabilität der Gesellschaft gefährden".

Rekrutierungsprobleme

Die Pressekonferenz fand mit Absicht einen Tag vor dem 1. August statt, angesichts von Gerüchten, dass die Veteranen Kundgebungen zum Tag der Armee planten. Minister Sun machte ihnen viele Versprechen. Ab 1. August würden sie um zehn Prozent aufgebesserte Zuschüsse und Renten erhalten, zwei Monate früher als geplant. Verwaltung, Behörden und die 120 Staatskonzerne des Landes würden ihnen nach fixen Quoten Jobs anbieten. Ein Entwurf eines ersten Gesetzes über die Rechte demobilisierter Soldaten auf Wohlfahrtsleistungen und Entschädigungen liege vor.

Peking will zugleich die Moral heben. Familien in China, in dem ein Mitglied in der Armee diente, werden vor dem 1. Mai 2019 mit Ehrenplaketten ausgezeichnet. Bisher gab es diese nur für Familien von Märtyrern, die im Armeedienst starben.

Die Aufmerksamkeiten, die China seinen Veteranen nun entgegenbringt, sollen sie nicht nur besänftigen – Peking hat auch Probleme, neue Soldaten zu rekrutieren oder sie im Armeedienst zu halten. Der "Global Times" sagte Militärberater Xu Guangyu: Eine bessere Behandlung von Veteranen würde das gesamte Militär stabilisieren helfen. "Soldaten im aktiven Dienst müssten sich keine Sorgen über ihr Leben nach ihrem Abschied aus der Armee machen." (Johnny Erling aus Peking, 2.8.2018)