Der Tod rückt näher: Damit setzt sich Mark Tompkins in seiner neuen Choreografie auseinander.

Foto: Gerard Beringer

Trotz strahlenden Sonnenscheins im Wiener Arsenal sieht Mark Tompkins nicht glücklich aus. Sein Aufenthalt bei Impulstanz hat mit einem Fahrradunfall begonnen. Schrammen an Arm, Bein und unter den Haaren. Aber der Kopfverband ist schon ab, es geht wieder aufwärts. Der – auch körperlich – überragende Choreograf, der 1973 aus den USA nach Paris zog, wird sein neues Stück Stayin Alive am 2. und 4. August im Kasino am Schwarzenbergplatz zeigen.

STANDARD: Wie altert Mark Tompkins?

Tompkins: Da sind all diese Youngsters, und die können diese fantastischen Dinge, die ich nicht kann. Die beobachte ich und auch, was sich in mir tut, wenn ich ihnen zuschaue. Ich mag es wirklich nicht, wenn ein alternder Tänzer versucht, wie zwanzig zu sein. Das ist jämmerlich.

STANDARD: Wann haben Sie erstmals realisiert, dass Ihr Jungsein vorbei ist?

Tompkins: Ich war 37 und habe mein Projekt La Plaque Tournante mit ein paar Tänzern gemacht, die jünger waren als ich. Darunter Sasha Waltz, die Queen von La Plaque Tournante ...

STANDARD: ... und damals erst 28.

Tompkins: Wir sollten in Berlin auftreten. Ich sagte zu ihr, da wirst du bald leben und deinen Aufstieg haben, also kannst du mit meiner Gruppe etwas machen. Sie hat zu choreografieren begonnen, wir sollten einen großen Sprung machen und uns auf die Knie fallen lassen. Ich habe es fünfmal versucht und dann zu Sasha gesagt, tut mir leid, das kann ich nicht mehr. Dann bin ich in die Garderobe gelaufen und habe zu weinen begonnen.

STANDARD: Wie geht es heute?

Tompkins: Mental habe ich noch keine Probleme. Emotional bin ich aber distanzierter als früher. Ich projiziere in Beziehungen nicht mehr so viel hinein – oh, die sind nett oder nicht mein Typ oder wirklich sexy – wie in jüngeren Jahren.

STANDARD: Ist Altern auch gut?

Tompkins: Entweder du lehnst es ab und hast eine Menge Probleme, oder du akzeptierst es nach und nach. Du kannst dann über andere Sachen reden. Es ist einfacher: Wir sitzen hier unter einem schönen Baum, es ist ein sonniger Tag, und das ist cool.

STANDARD: Warum sind Sie als 19-Jähriger nach Europa gekommen?

Tompkins: Fast alle meine Freunde aus Michigan gingen nach Kalifornien. Und ich dachte, bevor ich sie da treffe, gehe ich in den Osten. Ich wollte Kulturrituale und -orte studieren und bin nach Paris, dann nach Polen zu Jerzy Grotowski. Von da wollte ich weiter um die Welt reisen, nach zehn Jahren über Japan nach Kalifornien kommen und meine Freunde sehen. Aber so ist es nicht gekommen.

STANDARD: Was war das Hindernis?

Tompkins: Dass ich 45 Jahre lang bis heute in Paris geblieben bin. Ich bin schon einigermaßen in der Welt herumgereist, aber immer wieder zurückgekommen.

STANDARD: Sie haben Ihr Solo "Stayin Alive" Ihrer Mutter gewidmet. Wann ist sie gestorben?

Tompkins: 1995. Am Ende des Entwicklungsprozesses für das Stück hat sich herausgestellt, dass es darin vor allem um Geschichten geht, die sie und mich betreffen.

STANDARD: Sie hatten eine starke Beziehung zu Ihrer Mutter. Sind Sie regelmäßig in Kontakt geblieben, als Sie in Paris wohnten?

Tompkins: Nein, nicht regelmäßig. Unsere gemeinsame Geschichte ging bis zu meinem 20. Lebensjahr. Sie war ziemlich prüde, aber darunter spielte sich sehr viel ab. Als ich ein Kind war, hatte ich Allergien. Sie kümmerte sich um mich – auf eine etwas perverse Art. Wir waren immer zusammen, sie hat mich aufgezogen.

STANDARD: "Stayin Alive" spielt auf einem Flughafen ...

Tompkins: ... im Niemandsland. Da stehe ich anfangs im Wartelabyrinth und beginne zu reden.

STANDARD: Steht das Labyrinth für Ihren Lebensweg?

Tompkins: In gewisser Weise ja. Ich nehme Dinge aus meinem Koffer und lege sie auf den Boden. Die meisten stammen aus Stücken von früher, einige sind Kindersachen, Spielzeuge ... Stayin Alive ist sehr autobiografisch, und ich erzähle darin Dinge, die ich sonst nie erzählt hätte. (Helmut Ploebst, 2.8.2018)