Verträgt das "Österreich-Bild" nur Idylle, keine Reflexion über Rassismus?

Fotos: apa/ROBERT JAEGER/GEORG HOCHMUTH/BARBARA GINDL

Der Hashtag #MeTwo holt seit Tagen Alltagsrassismus vor den Vorhang – einen Vorhang, der immer halb transparent ist, bei dem aber jeder so tut, als wäre er blickdicht. Während viele Menschen fast täglich Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Wurzeln erfahren, ist das Thema für viele Menschen neu. Perfekt also, um den öffentlich-rechtlichen Auftrag ernst zu nehmen und einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft abzubilden.

Der patscherte Umgang der Österreicherinnen und Österreicher mit schwarzen Menschen – oder besser: der patscherte Umgang weißer Wienerinnen und Wiener mit schwarzen Wienerinnen und Wienern – war unter anderem Gegenstand einer Dokumentation, die der ORF Wien in Auftrag gab, inhaltlich absegnete und kurz vor der Ausstrahlung aus dem Programm kickte. Patschert ist der Umgang mit Menschen, die Wurzeln in anderen Ländern oder Kulturen haben, oft. Rassistisch auch – und genau das ist ein Thema, das man im ORF nicht hören und nicht erzählen will.

Homogene Medienwelt

Rassismus hat verschiedenste Facetten, die Doku "Schwarz in Wien – Von Soliman bis Alaba" hätte einen wichtigen Beitrag leisten können, die Lebensrealitäten von vielen Menschen in dieser Stadt und in diesem Land abzubilden. Eine Produktion, die schwarze Menschen vor die Kamera holt, die ihre Erfahrungen und Erlebnisse schildern. Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, die sich selbstverständlich als Teil dieses Landes fühlen, bis es ihnen jemand abspricht – und das womöglich das ganze Leben lang.

Von kleinen Worten bis zu wüsten Beschimpfungen, Handgreiflichkeiten, Polizeigewalt und Diskriminierung bei der Wohnungs- und Arbeitssuche – das Leben als schwarzer Mensch in Österreich fordert enorme Stärke. Die Verarbeitung, der Umgang und die Erlebnisse variieren von Person zu Person. Was bleibt, sind Geschichten, die eine Plattform brauchen. Eine Plattform, die die österreichische Medienwelt mit ihren meist sehr homogenen, weißen Redaktionen nicht bieten will. Schwarze Menschen dürfen als Kriminelle auftreten, Sport machen, singen und brav mit Trommeln im Afrikadorf sitzen, einfach Teil dieser Gesellschaft sein allerdings eher nicht.

Repräsentation nur, wenn es "thematisch passt"

Diversität und die österreichische Medienwelt sind keine guten Freunde. Journalisten und Journalistinnen sind mehrheitlich weiß, ohne Migrationshintergrund und kommen eher nicht aus den sogenannten Arbeiterfamilien. Man berichtet "über" etwas. Über den Islam, über "Brennpunktschulen", über Migration, meist ohne die betroffenen Gruppen miteinzubeziehen – und lässt somit nicht beide Seiten zu Wort kommen. Repräsentation ist zu viel verlangt, geht nur, wenn es "thematisch passt". Und schnell merkt man, es passt nie.

Warum spielt der ORF eine fertige, abgesegnete, vom Verantwortlichen als "toll" und "stark" bezeichnete und in Auftrag gegebene Doku nicht und lässt sie kurz vor dem Sendetermin am 5. August um 18.20 Uhr auf ORF 2 im Archiv verschwinden? Warum ist die Direktorin des Landesstudio Wien, die in letzter Minute die Reißleine zog, bis jetzt nicht bereit, ein Statement mit einer Begründung abzugeben, und lässt alle mit ihrer Entscheidung im Ungewissen? (Anm.: Auf Nachfrage des STANDARD erklärte der ORF, die Dokumentation habe "technisch, formal und inhaltlich nicht dem beauftragten Konzept entsprochen", doch dem Gestalter Thaddäus Podgorski junior sind lediglich "technische Probleme, die schnell ausgeräumt wurden", bekannt.)

Erklärung gibt es keine, wir können nur vermuten. Ist es ein Ertappt-Fühlen und die Verweigerung der Reflexion über den eigenen Rassismus? Oder ist es Angst vor der Meinung der Zuseher, die "besorgte Bürger" sein könnten? Oder geht es doch gar um die Angst vor Konsequenzen aus der Politik – besonders weil die Regierung angeblich daran feilt, den ORF zu schwächen oder ihn zu "unterwandern"? Spekulationen, die man sich schwer verkneifen kann. Während darüber diskutiert wird, ob man Rechtsextremen eine Plattform bietet, dürfen die Menschen anscheinend keine erhalten, die von der aufgeladenen Stimmung im Land am meisten betroffen sind. Eine Stimmung, zu der die Medien viel beigetragen haben.

Unwürdige Vorgangsweise

Als Mitarbeiterin, die diese Doku begleitet hat, als Chefredakteurin eines Mediums für die zweite und dritte Generation von Menschen mit afrikanischen Wurzeln und Wurzeln in der Diaspora, als schwarze Frau und als Wienerin finde ich diese Vorgangsweise eines öffentlich-rechtlichen Senders unwürdig und inakzeptabel. Besonders das Fehlen einer Begründung empfinde ich als Schmähung der Lebensrealitäten schwarzer Menschen.

Ich spreche mich hiermit für eine diversere Darstellung der Bevölkerung in einem Medium, das uns allen gehören sollte, aus. Geschichten über Alltagsrassismus, strukturellen Rassismus und Diskriminierung sind österreichische Geschichten – erlebt von Österreicherinnen und Österreichern, ausgeführt von Österreicherinnen und Österreichern. Es ist an der Zeit, von einem "ORF wie wir und ihr" zu einem "ORF wie wir" zu finden. (Vanessa Spanbauer, 1.8.2018)