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Der Regen ist Teil des Alltags in Sarajevo geworden. Er weckt uns auf, kommt zum Frühstück, Mittag- und Abendessen wieder. Selbst der Muezzin hat das Lautstärkematch gegen ihn aufgegeben.

Foto: REUTERS/Paulo Whitaker

Zuerst dachten wir: Das wird schon. Wir starrten auf unsere Wetter-Apps und sagten: "Nächste Woche kommt er sicher." Aber statt des Sommers kamen dieses Jahr nur die Verwandten aus Schweden, aus Österreich und aus Deutschland mit ihren dicken Autos und verparkten die Stadt. Sie erzählten uns, wie gut es bei ihnen sei und wie elend hier bei uns. Das kennen wir schon. Wie jedes Jahr kamen auch die Araber. In der Čaršija, der Altstadt Sarajevos, wurde es eng. Aber auch das sind wir bereits gewohnt.

Ein bisschen tröstlich war, dass wir alle eingeregnet wurden: die Touristen, die Diaspora und auch wir. Aus den Kanaldeckeln quoll das Wasser, und wir schlitterten mit den Autos durch die neu entstandenen Lachen auf der Straße. Ab und zu konnte die Straßenbahn nicht mehr fahren, so stark stürzte das Wasser auf die Stadt. Als es dann im Norden Europas heiß wurde und der Hyde Park austrocknete und unsere deutschen Freunde uns von ihren Hitzegefühlen erzählten, da gab es erstmals Krisensitzungen in Sarajevo. "Der Süden, das sind doch wir", leisteten manche verbalen Widerstand.

"Regengefängnis Sarajevo"

Es gibt Leute, die behaupten, die Berge seien schuld – weil die Feuchtigkeit jeden Tag aufsteige, aber nicht entfliehen könne, würde sie uns immer wieder als Gewitter einholen. Manche sprechen bereits von einem "Regengefängnis", dem man nicht mehr entkommen könne – Rettung brächte nur ein gnädiger Wind, der die Stadt von diesen schweren Wolken befreit. "Das lokale Wetter in Sarajevo entwickelte sich in den vergangenen zwei Monaten unter dem starken Einfluss der Zyklonaktivität in Süd- und Südosteuropa", erklärt Bakir Krajinović vom H hydrometeorologischen Institut. Die Instabilität werde durch die Höhenfeuchtigkeit über Sarajevo verstärkt.

Der Muezzin hat aufgegeben

Sicher ist: Der Regen weckt uns auf, wenn er auf das Dachfenster trommelt, er kommt zum Frühstück, er kommt wieder zu Mittag, er kommt am Nachmittag. Wir haben das Prasseln bereits in unseren Alltag integriert. Selbst der Muezzin hat aufgegeben: Das Lautstärke-Match geht an den Wolkenbruch. Kürzlich überschwemmte das Wasser sogar die Straßen in Mostar, wo es im Sommer sonst oft 40 Grad hat und niemand einen Tropfen sieht.

Das Hydrometeorologische Institut bestätigt den Ausnahmezustand. "Offiziellen Daten zufolge war das Jahr 2018 in Sarajevo am extremsten hinsichtlich der Anzahl der Tage mit Niederschlägen, die gleich oder höher als 0,1 Millimeter waren", sagt Krajinović, "aber nicht am extremsten in Bezug auf angesammelte Niederschläge für den analysierten Zeitraum." "Wenn wir die Gesamtsumme der Niederschläge für diesen Zeitraum analysieren, ist 2018 nicht das extremste Jahr", erklärt der Experte. Er hat freundlicherweise Tabellen mit blauen Balken geschickt. Das Jahr 2018 sticht mit der Zahl 41 hervor. Was bedeutet das?

Niederschlag an 41 Tagen

Seit 1940 liegen Klimadaten vor. Heuer gab es an 41 Tagen Niederschläge, das ist seit 1940 der höchste Wert, ähnlich grausliches Wetter gab es nur 1989, 1969, 1949, 1986, 1959 und 1963. Im Jahr 1989 habe es aber "kumuliert" noch mehr Regen gegeben. 2018 könne aber durchaus als "regnerisches Jahr" bezeichnet werden, so Krajinović.

Manche Keller in Sarajevo stehen unter Wasser – der Strom geht zuweilen aus. In Maglaj war die Straße kürzlich nicht mehr befahrbar. "Während das Wetter ein lokales Phänomen und ein kurzfristiger Zustand der Atmosphäre ist, spiegelt es langfristige Klimatrends wider. Mit anderen Worten, extremes Wetter ist der Beweis für den Klimawandel. Extremwetterereignisse wie in diesem Sommer werden bald ganz normal", meint Krajinović. Das beruhigt uns nicht wirklich.

Aber wir freuen uns mittlerweile sehr, wenn sie uns versprechen, dass es morgen "etwas weniger wolkig" wird. Wir haben aber Angst, dass wir heuer nie das Heu riechen werden, unsere Sandalen niemals mehr trocknen werden. Die Kirschen waren ohnehin verfault, die Weintrauben hängen leidend an der Pergola.

Grillen im Regen

"Instabil" nennen Meteorlogen die Tatsache, dass uns unsere Lieblingsjahreszeit vorenthalten wird. Sie sagen, dass es im August besser wird. "Jetzt erwarten wir einen stärkeren Einfluss des Antizyklonfeldes, und ich bin mir sicher, dass die Luftfeuchtigkeit in Sarajevo auf einem hohen Niveau bleiben wird, aber es wird viel weniger lokale Instabilität in Form von Starkregen geben", erklärt Krajinović. Die Regenschirmverkäufer grinsen uns derweil an – und wir glauben gar nichts mehr. Mittlerweile grillen wir im Regen, wir haben begonnen, das Wetter zu ignorieren. Unsere Niesanfälle klingen wie Sommerhits. An unseren Sonnenbrillen perlt das Wasser ab. Wir haben die Wetter-Apps gelöscht. (Adelheid Wölfl, 2.8.2018)