Weder Flusspferd noch Seekuh: Desmostylia geben bis heute Rätsel auf.
Illustration: University of Tsukuba

Tsukuba – Bis vor sieben Millionen Jahren tummelten sich in den Küstengewässern rings um den Nordpazifik nicht nur Wale, Robben und Seekühe. Es mischten sich auch aus heutiger Sicht recht seltsam anmutende Meeressäuger darunter: Desmostylia. Unter allen Säugetier-Ordnungen, die zu Meerestieren wurden, sind sie die einzige ausgestorbene.

Auf den ersten Blick hätten die massigen Tiere, die mehrere Meter lang werden konnten, am ehesten noch Flusspferden geähnelt. Allerdings waren ihre Vorderzähne zu Mini-Stoßzähnen ausgebildet: Damit rupften sie Kelp und andere Wasserpflanzen ab. Statt Flossen, wie sie Seekühe haben, verfügten sie über vier recht kräftig ausgebildete Beine. Ob diese auch stark genug waren, den massigen Körper an Land zu tragen, ist unter Forschern allerdings umstritten. Mehrheitlich gehen Biologen inzwischen davon aus, dass es sich um reine Wasserbewohner handelte, die mit ihren Ruderfüßen durch die Kelpwälder paddelten.

Wiedergefunden

Den Oberschenkelknochen eines solchen Tiers hat nun eine Forscherin per Zufall in den Beständen des Museums für Natur und Wissenschaft in Tsukuba auf der japanischen Hauptinsel Honshu gefunden. Das Fossil hat eine etwas abenteuerliche Geschichte hinter sich, wie die Paläontologin Yuri Kimura im Journal "Royal Society Open Science" berichtet.

Ausgegraben wurde es ursprünglich in den 1950er Jahren bei einem Dammbau in der Region Fuskushima. Als vermeintlicher Dinsoaurierknochen gekennzeichnet, wurde es zunächst im Rathaus der Stadt Tsuchiyu Onsen ausgestellt. Irgendwann in diesem Zeitraum soll es dann von einem Universitätsprofessor an die Uni Tsukuba gebracht worden sein. Die genauen Umstände sind nicht rekonstruierbar: Das Rathaus brannte bei einem verheerenden Feuer ab, das weite Teile von Tsuchiyu Onsen zerstörte, während der Knochen in den geologischen Beständen der Universität abgelegt und vergessen wurde – bis Kimura die Holzschachtel mit dem kostbaren Inhalt nun wiederfand.

Der vermeintliche Dinosaurierknochen.
Foto: University of Tsukuba

Der Knochen gehörte zu einem Desmostylia-Vertreter der Gattung Paleoparadoxia, der vor etwa 16 Millionen Jahren lebte. An ihm ist laut Kimura deutlich zu erkennen, wo einst die Muskeln des Tiers angesetzt hatten. Daraus könnten sich neue Erkentnnisse über die Bewegungen der hinteren Gliedmaßen ableiten lassen. Wie die 1959 gewählte Bezeichnung Paleoparadoxia illustriert, gab der Körperbau der Tiere Forschern seit jeher Rätsel auf.

Und offene Fragen gibt es zu den Desmostylia immer noch genug: Nicht nur, dass die Meinungen darüber auseinandergehen, ob die Tiere sich vollständig auf den Lebensraum Wasser beschränkt hatten oder doch nur semiaquatisch lebten wie Robben. Auch ihre Verwandtschaft ist unklar. Manche Forscher stufen sie aufgrund ihrer Anatomie als Verwandte von Elefanten und Seekühen ein. Allerdings stammen diese Tiergruppen ursprünglich aus Afrika, und Desmostylia scheinen nur im Nordpazifik vorgekommen zu sein. Andere Paläontologen halten sie für Verwandte von Nashörnern und Pferden.

Nicht wirklich geklärt ist auch die Frage, warum diese einzigartigen Tiere nach über 20 Millionen Jahren schließlich ausstarben. Eine Hypothese besagt, dass sie von einem erbarmungslosen Konkurrenten verdrängt wurden, der dieselbe Nahrung fraß wie sie: Man traut es den Tieren, die heute träge durchs Flachwasser dümpeln, zwar kaum zu, aber letztlich könnten Seekühe daran schuld sein, dass es keine Desmostylia mehr gibt. (jdo, 4. 8. 2018)