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Seit bald 13 Jahren beheimatet die einstige Wohnung Bulgakows eine Katze.

Foto: Getty Images

Man sagt von der Literatur, dass sie das längste Gedächtnis besäße. Was, von eines Dichters Hand angestoßen, Zuflucht zwischen zwei Buchdeckeln gefunden hat, besitzt begründete Aussichten darauf, dem Skandal des Vergessens ein Schnippchen zu schlagen.

Doch zumindest in Moskau existieren im Verborgenen arbeitende Institutionen, die nie vergessen können, was bloß in Büchern steht. Michail Bulgakows antistalinistischer Zauberroman "Der Meister und Margarita" gab jüngst den Anlass zu einer Racheaktion, wie man sie sich heimtückischer und schändlicher kaum vorstellen mag.

Am Moskauer Gartenring liegt die ehemalige Wohnung Bulgakows (1891–1940). Sie wird heute als Gedenkstätte genutzt. Seit bald 13 Jahren birgt die Arbeitsstätte des "Meisters" ein lebendiges Exponat: eine (halbwegs verfressene) schwarze Katze. Sie ist ein er und besitzt ein besonders seidiges Fell. Der sechs Kilo schwere, als umgänglich geschilderte Kater heißt nach einer dämonischen Figur in "Meister und Margarita" Behemoth.

Besagter Behemoth macht im Moskau der Stalin-Jahre sehr unschön von sich reden. Er tritt im Gefolge eines Magiers namens Voland auf, hinter dessen Inkognito wir den Teufel höchstpersönlich vermuten dürfen. Im Verein mit ein paar Spießgesellen köpfen sie nicht nur verdiente Sowjetfunktionäre, sie machen sich sogar ungeniert in fremden Wohnungen breit. Fürwahr ein liederliches Pack, das die Sowjetwirtschaft schädigt und der Moskauer Literaturvereinigung auf der Tasche liegt.

Aber wie schäbig kann sich das menschliche Rachebedürfnis äußern. Behemoth, unser Zeitgenosse, wurde jüngst Opfer einer Entführung. Der Stubentiger, der auf einer Skulptur Bulgakows auszuruhen pflegt und dem Vernehmen nach völlig undämonisch seinem Tagewerk nachgeht (Mäusefang, Fellpflege), wurde auf einem Kontrollgang durch den Hof von einer Frau verschleppt.

Ganz klar: Achtzig Jahre nach dem Erstauftritt von Behemoth schlagen die staatlichen Institutionen zurück. Denn was wie die Wahnsinnstat einer verwirrten Katzenliebhaberin aussieht, ist die Frucht einer (geheimen) Anti-Satan-Kampagne: Keine Chance dem Teufel und seinem Gelichter in Putin-Russland!

Letzte Nachricht: Die Moskauer Polizei hat den Kater ohne Halsband gefunden und den Museumsmitarbeitern übergeben. Der schlotternde Tiger gibt an, schon vor Jahren allen satanischen Praktiken abgeschworen zu haben. Aber Hand aufs Herz: Sagen nicht auch die alten Stalinisten von sich aus, dass sie geläutert seien? (Ronald Pohl, 3.8.2018)