Ein Hahn soll die Bewohner eines Dorfes bekehrt haben, berichtet das Fernsehen. Menschen wollen bezeugen, dass er deutlich hörbar "Christus kommt" sagte. Eine andere Reportage weiß vom Tod einer magischen Ziege zu berichten. Sensationen wie der prophetische Hahn oder exorzistische Rituale am eigenen Leib flimmern in Cocote unaufhörlich über den Fernsehschirm. Ihr Stoff ist fest mit der sozialen Realität der Dominikanischen Republik verwoben: mit Alltagspraktiken und religiösen Zeremonien, mit der Sprache – das Schimpfwort "Satansbraten" scheint in Nelson Carlo de Los Santos Arias Film noch eine Bedeutung zu haben.

Alberto (Vicente Santos) soll widerwillig den Mord an seinem Vater rächen.
Foto: Filmgarten

Die Geschichte, die der aus Santo Domingo stammende Filmemacher erzählt, hat einen archetypischen Kern. Und doch ist so ziemlich alles an dem Kunstwerk, das letztes Jahr in Locarno mit dem Signs of Life Award ausgezeichnet wurde, unvertraut und geradezu atypisch. Enigmatischer Protagonist des Films ist Alberto (Vicente Santos), ein bei einer weißen Familie beschäftigter Mann aus der Großstadt, der zur Bestattung des Vaters in sein Heimatdorf zurückkehrt. Dort kommt es zur Kollision disparater Lebens- und Glaubensvorstellungen.

Albertos Familie hängt dem in der Karibik verbreiteten synkretischen Katholizismus an, der von kreolischen Glaubenspraktiken durchwirkt ist. Er selbst ist zur evangelikalen Kirche konvertiert – der aus den Vereinigten Staaten importierten Religionsgemeinschaft mit dem größten Zulauf in Lateinamerika.

Ehre und Rache

Streit entzündet sich an den bevorstehenden Rezos, einem neuntägigen Trauerritual – Alberto steht der Tradition ablehnend gegenüber. Hinzu kommen die familiären Erwartungen an seine männliche Rolle. Der Vater wurde brutal ermordet, nun soll Alberto die Ehre wiederherstellen und Rache nehmen. Neben dem Blick auf die religiösen Binnenkonflikte streift Cocote (der Titel bedeutet so viel wie "Nacken") das Dickicht aus Politik, Polizeigewalt und Korruption und das Klassensystem.

Filmgarten

Los Santos Arias Film ist von einer rohen, heftigen Energie. Die Farben glühen, das Spiel von Licht und Schatten hat eine hypnotische Kraft. Allerdings wird die Immersion immer wieder durch irritierende Stilwechsel abgewürgt. So setzt Cocote die Zerrüttungen von Gesellschaft und Glaubenskultur durch die Konfrontation filmischer Stile und Formate ins Bild, die letztlich auch das Register eines ethnografischen Blicks destabilisieren: Schwarzweiß und Farbe, Breitwand und das quadratisch wirkende Akademieformat wechseln einander ab, eine dokumentarische Handkamera wird von stilisierten Totalen abgelöst.

Hinzu kommen wie von Geisterhand geführte 360-Grad-Schwenks. Auch das Sounddesign arbeitet an der Zerstreuung der stabilen Perspektive. Geräusche entfernter Handlungen klingen ungewöhnlich nah, es vermischen sich Cello, Glocken und Meeresrauschen mit Polizeisirenen. Selten hat sich ein Film so fiebrig gegen einen Begriff von (auch kultureller) Reinheit ausgesprochen. (Esther Buss, 3.8.2018)