Der Wiener Schriftsteller Erwin Riess wohnt in Floridsdorf, im Zwischenstromland zwischen Donau und Marchfeldkanal. Sobald er richtig aufkocht, macht sich in seiner Küche der Duft von Mesopotamien breit.

"Die Küche ist das Zentrum meines Wohnens, und wie man unschwer sieht, ist sie das schon seit vielen Jahren. Das ist eine richtige Achtzigerjahreküche, die damals von einem befreundeten Tischler gebaut wurde und gerade 40.000 Schilling gekostet hat. Der Entwurf stammt vom Wiener Architekten Günter Feuerstein, der neben vielen anderen wichtigen Erfolgen als der Doyen barrierefreien Bauens gilt. Eingezogen bin ich 1985, und heute noch ist die Küche in einem vielleicht nicht mehr modernen, aber guten Zustand. Die Schränke sind unterfahrbar, die Oberschränke hängen etwas tiefer, als man das sonst gewohnt ist, und aus einer der Fronten kann man wie eine Lade ein bequemes Tischerl herausziehen.

"Sobald man im Rollstuhl sitzt, fühlt man sich im Erwachsenenalter plötzlich wie ein Kind, bloß sind keine Eltern zur Seite, die einem unter die Arme greifen", sagt Erwin Riess.
Foto: Lisi Specht

Ich wohne in einer ebenerdigen Wohnung in Floridsdorf mit 110 m2, in einem sehr schönen, verdichteten Flachbau an der Gerasdorfer Straße. Diese Wohnung war ein absoluter Glücksgriff für mich. Spannend finde ich, dass die barrierefreien Wohnungen hier Gegenstand eines Forschungsprojekts über barrierefreies Bauen waren. Ein gutes Projekt, wie ich meine, denn man kann hier gut wohnen und kochen. Manchmal koche ich richtig auf, dann mache ich eine höllenscharfe ungarische Fischsuppe oder meine berühmte mesopotamische Zwischenstromlandsuppe, einen Hühnereintopf aus allerlei Zutaten, die – wenn sie gelingt – ein bisschen nach Euphrat und Tigris riecht.

Man muss wissen: Das ist die letzte Wohnhausanlage Wiens, die noch mit Fördermitteln des Bundes errichtet wurde. Kurz danach wurde die Wohnbauförderung verländert, und was das für bescheuerte Konsequenzen mit unterschiedlichen Richtlinien, allerlei Spekulationen und idiotischerweise aufgehobener Zweckbindung hatte, ist ja hinlänglich bekannt. Leider! Damit hängt auch zusammen, dass sich die Richtlinien für barrierefreies Bauen sowie überhaupt die Bauordnungen von Bundesland zu Bundesland massiv unterscheiden. Kein Mensch kennt sich da noch aus. Eine Katastrophe!

Fotos: Lisi Specht

Jetzt werden Sie mich fragen, wie ich wohne und worauf ich Wert lege. Es ist ganz einfach: Das Allerwichtigste für mich ist die Praktikabilität. Sobald man im Rollstuhl sitzt, merkt man, dass die Welt für Menschen ab 1,70 Meter Körpergröße gebaut ist. Und so fühlt man sich im Erwachsenenalter plötzlich wie ein Kind, bloß sind keine Eltern zur Seite, die einem unter die Arme greifen.

Schöne Möbel sind für mich zwar schön anzuschauen, aber ich muss sie nicht unbedingt besitzen. Es reicht mir zu wissen, dass es sie gibt. Es ist wie bei Ulrich in Musils Mann ohne Eigenschaften, der das Haus seines verstorbenen Vaters neu einrichtet und merkt, dass er keinen Grund sieht, sich in seiner Wohnung selbst zu verwirklichen. So ist es auch bei mir. Und so umgebe ich mich mit praktischen, robusten Holzmöbeln, die von überall her kommen und eigentlich nicht wirklich gut zusammenpassen. Macht nichts.

Fotos: Lisi Specht

Was ich mir eines Tages gerne zulegen wollen würde? Eine schöne altenglische Chippendale-Kommode aus dunklem Holz, so wie ich sie auch auf Zypern gesehen habe, wo ich lange Zeit verbracht habe. Meine Träume sind bescheiden. Ich träume davon, die alten Fotografien meiner Ahnen und meiner Familie an die Wand zu hängen, aber ich bin mit meinen tagesaktuellen Aufträgen, mit meinen Büchern, Theaterstücken und Auftritten, so eingespannt, dass ich froh bin, wenn ich einmal nichts tun muss. Und, ach ja, ich würde gerne einmal an einem Fluss leben, denn ich liebe Flüsse. Nicht nur den Euphrat und den Tigris, sondern auch den Marchfeldkanal ums Eck." (6.8.2018)