Wien – Die drei Gebrüder S. sind zwischen 23 und 42 Jahre alt und verstehen nicht so recht, warum sie vor Richter Stefan Romstorfer sitzen. Laut Anklage sollen die Afghanen am 17. April Herrn H., einen entfernten Verwandten, geschlagen und mit einer Gaspistole bedroht haben, was sie vehement leugnen. "Das entspricht nicht der Wahrheit. Werter Herr Richter, erlauben Sie mir, dass ich Ihnen erzähle, wie es wirklich war", lässt der älteste S., der Erstangeklagte, übersetzen.

Er sei am Tatmorgen vom Drittangeklagten angerufen worden, dass dieser von H. telefonisch bedroht worden sei. "Wie hat er gedroht?", will Romstorfer wissen. "Er hat die Frau meines Bruders beschimpft." – "Das ist aber keine Drohung." – "In unserer Gesellschaft schon, Beschimpfungen sind nicht gut. Ich dachte, H. ist unser Cousin, als Ältester wollte ich mit ihm reden."

Man besuchte also H. in dessen Wohnung, dort sei es wieder zu einem Streit zwischen H. und dem jüngsten S. gekommen. "Dann sind die beiden auf den Gang gegangen, H. schlug auf dem Gang gegen Gegenstände, damit die Polizei gerufen wird", behauptet der Erstangeklagte.

"Erstaunlicher" Waffenfund

"Haben Sie eine Waffe gesehen?", fragt der Richter. "Nein." – "Hören Sie, dass sagt sogar Ihr Bruder, dass er eine hatte, die er weggeworfen hat. Die ist ja von der Polizei gefunden worden." – "Das habe ich erst nachher gehört, das war für mich erstaunlich."

Der Erstangeklagte will auch die vom Amtsarzt dokumentierten Verletzungen H.s nicht bemerkt haben. Im Gegenteil, der habe den jüngsten S. geschlagen. "Warum ist Ihr Bruder dann weggelaufen?", wundert sich Romstorfer. "Ist er nicht." – "Sie mussten ihn ja sogar anrufen, damit er zurückkommt." – "Wir haben ihn heimgeschickt, damit es keinen Streit gibt."

Die Befragung des mittleren Bruders zeigt zumindest, dass die Aussagen nicht abgesprochen sind. Laut ihm war H.s Drohung nämlich: "Wenn du ein Mann bist, komm in meine Wohnung." – "Das ist ja auch keine Drohung", merkt Romstorfer korrekterweise an. "Ist es nicht so, dass Ihr jüngster Bruder schon länger Probleme macht, da er gerne Alkohol trinkt und in Discos geht?" – "Ich habe sowas noch nie gesehen." – "Wussten Sie, dass er zwei Vorstrafen hat, eine, da er H. wegen Schlepperei verleumdet hat?" – "Nein." – "Reden Sie nicht so viel miteinander? Sie sind ja Brüder." – "Ich bin seit sechs Jahren in Österreich und habe noch nie etwas Illegales gemacht", weicht der Zweitangeklagte aus.

Streit beim Teetrinken

Er spricht davon, es habe ein Problem zwischen H. und dem Drittangeklagten gegeben, welches, weiß er aber angeblich nicht. "Wir wollten Frieden stiften", erklärt er als Grund für den Besuch in H.s Wohnung. "Wie können Sie Frieden stiften, wenn Sie nicht einmal wissen, worum es geht?", wundert sich die Staatsanwältin. "Wurde dann in der Wohnung drüber gesprochen?" – "Nein. Wir haben Tee getrunken, und plötzlich gab es Streit."

Dieser endete damit, dass H. in Panik bei der Nachbarin klingelte und sie bat, die Polizei zu alarmieren. Die Frau sagte auch aus, H. sei im Gang von mehreren Personen festgehalten worden. "Sowas habe ich nicht gesehen", entgegnet der Zweitangeklagte. "Also lügt die Nachbarin?", fragt der Richter. "Weiß ich nicht."

Dass H. vom Erst- und Zweitangeklagten festgehalten wurde, während Nummer drei ihm Faustschläge ins Gesicht verpasste und mit den Worten "Du wirst jetzt erledigt, ich werde dich vernichten" mit einer Schusswaffe auf ihn zielte, wie das Opfer sagt, leugnet auch der Drittangeklagte. Allerdings gibt er zu, dass die Gaspistole von ihm sei.

Gaspistole für angehenden Schauspieler

"Warum nehmen Sie eine Waffe mit?", interessiert Romstorfer. "Ich habe die Waffe nicht mitgenommen, um ihn zu bedrohen. Mit der Waffe kann man gar niemanden verletzten, hat der Verkäufer gesagt." – "Doch, damit kann man sogar jemanden töten, wenn es unglücklich läuft." – "Ich habe die Pistole gekauft, da ich Schauspieler bin. Können Sie auf Youtube sehen!", versucht es der Hilfsarbeiter. Wann er die Gaspistole gekauft habe? Eine halbe Stunde bis Stunde vor seinem Besuch bei H., was Romstorfer zur Bemerkung "Zufall, oder?" veranlasst.

Das 29-jährige Opfer bleibt als Zeuge bei seiner bisherigen Aussage und sagt, die Auseinandersetzung habe schon ein halbes Jahr zuvor begonnen, da der Drittangeklagte bei einem Ausflug mehrere Menschen angepöbelt hatte und er ihn dafür zur Rede gestellt hatte. H. stellt auch klar, nicht der Cousin der Brüder zu sein, sondern lediglich ein weitschichtiger Verwandter.

Der Richter glaubt ihm auch und verurteilt die drei Angeklagten nicht rechtskräftig zu drei Monaten, fünf Monaten und einem Jahr bedingter Haft. "Ich glaube Ihnen allen kein Wort", begründet Romstorfer. "Man kauft sich keine Waffe und geht in eine Wohnung, um ein Problem zu lösen. Wo sind wir denn?", echauffiert er sich. (Michael Möseneder, 15.8.2018)