Foto Verband für Bauwerksbegrünung
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Foto: AP/Luca Bruno

Wer barfuß über heißen Asphalt läuft, spürt, wie sich Baumaterial durch die Sonne aufheizt. Der Schritt ins Gras ist eine Wohltat. Dieser Effekt kann auch vertikal erzielt werden: Eine grüne Wand mit 850 Quadratmeter Fläche kühlt laut der Wiener Umweltschutzabteilung MA 22 so gut wie 75 Klimageräte, die mit 3000 Watt acht Stunden laufen.

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Der Mailänder Bosco Verticale (bedeutet "senkrechter Wald) von Stefano Boeri ist von oben bis unten bepflanzt.
Foto: AP/Luca Bruno

Grüne Fassaden sind neben Gründächern und städtischen Grünanlagen eine Variante, die Auswirkungen des Klimawandels und die Wüstentage (über 35 Grad) im urbanen Raum erträglicher zu machen. Computerprogramme simulieren, was solche Maßnahmen bringen: Laut einer in der Urban-Heat-Island-Strategie der Stadt Wien veröffentlichten Studie ist die gefühlte Temperatur bis zu 14 Grad kühler, wenn alle Straßenfassaden (ohne Innenhöfe) begrünt werden.

Nackte Fassade versus Bepflanzung

Vera Enzi vom Innovationslabor Bauwerksbegrünung Grünstattgrau, das vom BMVIT gefördert wird, erklärt den Effekt: "Die Pflanze betreibt mit der Sonnenenergie Photosynthese, gibt dabei Feuchtigkeit ab und kühlt sich und ihre Umgebung, während sie auch noch das Haus beschattet." Damit reagiert sie ganz anders als die nackte Fassade, die die Strahlung nicht nur aufnimmt, sondern auch reflektiert und damit die Energie auch noch an die Straße weitergibt.

Unbürokratischer Zugang

Wie sinnvolle Begrünung funktioniert, können Passanten an einem Showcontainer namens Mugli auf dem Wiener Hauptbahnhof sehen. Das vom Innovationslabor Bauwerksbegrünung präsentierte Projekt zeigt, welche Arten von Begrünung möglich sind, und sammelt Messdaten. Mit offiziellem Start am 9. August wird der Container österreichweit auf Tour gehen. Parallel laufen in Wien gleich mehrere Projekte, die Fassadenbegrünung erleichtern und in die Köpfe und damit an die Häuser der Menschen bringen wollen.

"Mugli" am Hauptbahnhof steht für steht für "mobil, urban, grün, lebendig, innovativ.
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Die Stadt Wien führte vergangenes Jahr rund 400 telefonische Beratungen zum Thema durch. "Das soll mehr werden", sagt Christian Härtel von der MA 22. Die Stadt fördert Fassadenbegrünungen mit 2200 Euro pro Projekt, neuerdings sowohl straßenseitig als auch in Innenhöfen. "Wir arbeiten auch an einem One-Stop-Shop, um bürokratische Abläufe möglichst kleinzuhalten", so Härtel. Auch ein neuer Leitfaden für Fassadenbegrünung soll bald kommen.

Geldfrage

Mit dem Geld wolle man viele einfache Begrünungen fördern, etwa solche, wo mit Pflanzungen im Boden oder Trögen gearbeitet wird. Die Spanne der Errichtungskosten reicht meist von 400 Euro bis rund 1500 Euro oder mehr.

"Es ist klar, dass die Stadt nicht alles aus eigener Hand finanzieren kann", so Enzi, die Investoren, Eigentümer und Mieter in den Begrünungsprozess einbinden will. Sie ist überzeugt, dass sie mitmachen: "Es gibt kostengünstige Lösungen im kleinstelligen Bereich, mit denen man viel zum Mikroklima und zur Lebensqualität am Wohnort beitragen kann." Wie unmittelbar die Wirkung ist, erläutert Härtel: "Mit einer Wärmebildkamera lassen sich bis zu zehn Grad Unterschied in derOberflächentemperatur eines berankten Fassadenteils im Vergleich zu einem nicht begrünten nachweisen." Das kann Energie und Kosten sparen, weil im Inneren weniger gekühlt werden muss.

Parkhotel Baden: Fassadengebundene Begrünung mit Stauden und Gehölzen.
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Urbane Vorzeigeprojekte

Den Kühleffekt bedenken auch gemeinnützige Bauträger: "Wir kämpfen mit den hohen Baukosten, versuchen aber bei der Begrünung das Maximum herauszuholen", so Ewald Kirschner, Generaldirektor der Gesiba, die beim Vorzeigeprojekt Biotope City vier Bauplätze bebaut. Es müsse nicht immer fassadengebundene Begrünung mit aufwendigen Systemen sein, beim Harry-Glück-Haus in der Sagedergasse lasse man kostengünstig Veitschi und Efeu ranken.

MA 31: Fassadengebundene Begrünung mit Trögen und Kletterpflanzen (Schlinger und Winder), Regalsystem mit Steuerung über Sensoren in den Trögen und 5 Bewässerungskreisläufe.
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Welche Artenvielfalt auf Fassaden möglich ist, zeigen Häuser der Stadt: die MA 48, das Bezirksamt Margareten oder die MA 31. An der Fassade von Wiener Wasser wachsen auf 990 m² sechs verschiedene Winden und acht Stauden- und Gräserarten. Boku und TU überwachen Vegetation, Wärmeströme, Oberflächentemperatur, Wind und Wasserverbrauch.

MA 48: Fassadengebundene Begrünung mit trockenresistenten Kräutern und Stauden (Spezialität: 12 Bewässerungskreisläufe mit Sensoren zur bedarfsgerechten Steuerung)
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Fertige Toolkits

Fixfertige Lösungen sollen Fassadenbegrünung laut der MA 22 demnächst noch schmackhafter machen: In dem von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG geförderten Projekt "50 grüne Häuser" werden ab Herbst Tröge mit Kletterpflanzen und Rankhilfen zu Toolkits geschnürt – gestützt von einem digitalen Beantragungsprozess, der Verwaltung, Eigentümer und Bewohner einbindet. In den nächsten Jahren sollen so 20 Prozent der Potenzialflächen im Bestand von Innerfavoriten grün werden.

Forschungen beschäftigen sich mit der einfacheren Pflege des Grüns, auch für Private. Rosemarie Stangl vom Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau an der Boku entkräftet die Sorgen mancher: "Der Aufwand des Zurückschneidens und Laubwegräumens ist in etwa vergleichbar mit derPflege einer Glasfassade." Die Kosten bewegten sich jährlich zwischen fünf und 70 Euro, je nach Begrünungssystem.

Potenzialerfassung

Welches Potenzial Wien an Flächen für Fassaden- und Dachbegrünung hat, ermittelt ein Sondierungsprojekt des Boku-Instituts. Allein im Pilotgebiet Neulerchenfelder Straße (Gürtel bis Johann-Nepomuk-Berger-Platz) konnten fünf Hektar an Fassadenpotenzialfläche errechnet werden. "Dabei helfen uns Open-Source-Datenbanken der Stadt Wien und Google Maps, da die Zugänglichkeit vor Ort oft nicht gegeben ist", so Stangl. Damit seien genauere Schätzungen möglich als mit dem Gründachpotenzialkataster.

WUK: Über 60 Jahre alter Veitschi (Wilder Wein, parthenocissus tricuspidata), Bewuchs mit selbstklimmender Kletterpflanze.
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Währenddessen stößt Vera Enzi innovative Entwicklungen an, um mehr Begrünungsfläche zu generieren. Im Bestand ist es oft schwierig, straßenseitig nachträglich Wurzelbereiche zu schaffen: "Bei Altbauten könnte man die ungenutzten Keller mit bestehenden Öffnungen zur Straßenseite aktivieren und die Pflanzen dort in Trögen wurzeln lassen." Über Kellerfenster, die mit flexiblen, durchlüfteten, den Stamm der Pflanze umfassenden Formteilen verschlossen werden, könnte das Grün auf die Fassade wachsen.

Insektenphobikern rät sie zu unterscheiden: "Wespen sind Blüten egal, die kommen, wenn menschliche Nahrung verfügbar ist. Ameisen tauchen bei Wasserproblemen auf – nicht weil dieFassade grün ist." Dadurch steige die Insektenanzahl im Haus nicht signifikant an. Ein positiver Aspektder grünen Fassaden ist aber, dass die Artenvielfalt von Wildbienen erhöht wird. Wer es dennoch nicht so mit Insekten hat, dem rät Enzi dazu, eine harmlose Hüpfspinne zu googeln: "Die hat sogar ein freundliches Gesicht." (Marietta Adenberger, 4.8.2018)

Boutique Hotel Stadthalle: Frontseite: fassadengebundene Begrünung mit Stauden, Innenhof: Bewuchs mit Selbstklimmern (Veitschi, Efeu, Kletterhortensie).
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