Villapresente in Spanien: In einem Labyrinth sind laufend Entscheidungen zu treffen, um den richtigen Weg zu finden.

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Als es um die Frage ging, ob er nun heiraten sollte, hat sich auch der 29-jährige Charles Darwin an diese bis heute bewährte Methode der Entscheidungsfindung gehalten: Er nahm ein Blatt Papier, teilte es mit einem senkrechten Strich in zwei Hälften und notierte auf einer Seite die Gründe, die aus seiner Sicht für eine Heirat sprachen, und auf der anderen Seite die Gründe dagegen.

Als Argumente für das Heiraten nannte er unter anderem "Kinder (so Gott will)", "dauernde Begleiterin (und Freundin im Alter)" oder "ein Haus und jemand, der es versorgt". Außerdem spräche noch dafür: "better than a dog anyway". An Verlusten fürchtet er etwa den von "Zeit" und der "Freiheit, dahin zu gehen, wo man will", was ihn letztlich zum "indolenten, unproduktiven Narren" degradieren könnte. Darwin entschied sich 1838 für die Heirat – und damit in seinem Fall wohl richtig.

Von Benjamin Franklin abgeschaut?

Die Methode, die er verwendete, könnte er sich von Benjamin Franklin abgeschaut haben, einem der Gründerväter der US-Verfassung und nebenbei unter anderem Erfinder des Blitzableiters. Der große Politiker und Gelehrte beschrieb dieses von ihm oft praktizierte Verfahren der gründlichen Abwägung von "Pros" und "Cons" erstmals in einem Text aus dem Jahr 1772 und nannte es "moralische Algebra". Für die Kognitionspsychologin Natalie Sebanz, die an der Central European University in Budapest lehrt und forscht, sind Franklins Überlegungen eine Art Gründungsdokument des "bewussten Abwägens", das sich bis heute als Entscheidungsmethode bewährt hat.

Doch die Psychologin, die dieser Tage beim Sommerdiskurs der Universität Wien in Strobl einen der beiden Eröffnungsvorträge hielt, verwies auch darauf, dass dieses bewusste Abwägen auch seine Grenzen haben kann. Das hätten etwa oft zitierte Experimente des US-Psychologen Timothy Wilson gezeigt: Wenn wir zum Beispiel allzu sehr über die Gründe unserer Entscheidung für eine bestimmte Sache (im konkreten Fall: Erdbeermarmeladensorten) nachdenken, kann das auch zu schlechten Entscheidungen führen, weil man sich auf nichtoptimale Kriterien konzentriert.

Ein schlechtes Gefühl

In der Literatur hat das zur Aufwertung der sogenannten "Bauchentscheidungen" geführt, so der Titel eines Bestsellers des bekannten deutschen Psychologen Gerd Gigerenzer aus dem Jahr 2007: Der Intuition zu folgen kann selbst wieder eine rationale Strategie sein, da sie relativ erfolgreich ist. Besonders gut funktionieren Bauchentscheidungen allerdings, wenn sie auf Fachwissen beruhen – wie der von Gigerenzer zitierte Fall eines Kunsthistorikers zeigt, der bei der Anschaffung eines Kunstwerkes "intuitiv" ein schlechtes Gefühl hatte. Tatsächlich stellte sich das Kunstwerk viel später als Fälschung heraus. Bewusste Entscheidungen zu treffen kann aber auch sehr fordernd sein, erläuterte Sebanz mit Verweis auf mehrere Studien, die gezeigt haben, wie sehr häufiges Entscheiden zu Erschöpfungszuständen führt und umgekehrt diese – etwa auch Hunger, also "Bauchgefühle" der anderen Art – das Entscheidungsverhalten beeinflussen.

Eine besonders augenfällige Untersuchung zu diesem Thema stammt von israelischen Forschern über Richter und deren Urteile, die je nach letztem Pausen- und Essenszeitpunkt anders ausfielen: Unmittelbar nach jeder Unterbrechung wurden deutlich günstigere Urteile für die Betroffenen gefällt als unmittelbar davor.

Sebanz, die mit einem ERC Consolidator Grant darüber forscht, wie Expertise im Bereich des gemeinsamen Handelns entsteht, ging aber auch noch auf die Vor- und Nachteile kollektiver Entscheidungsfindung ein. Auch deren Erforschung hat eine lange Tradition in der Geschichte der Psychologie und begann mit einem Experiment, das ein unbeabsichtigtes Ergebnis brachte: Francis Galton, der Cousin Charles Darwins und einer der Vorreiter der Eugenik, besuchte 1906 eine Nutztiermesse und wollte dort die Dummheit der Masse beweisen.

Bei einem Wettbewerb sollte man das Gewicht eines Ochsen schätzen, 787 Personen – darunter auch einige wenige Experten – nahmen daran teil. Galton errechnete den Mittelwert der Schätzungen und ging davon aus, dass dieser besonders weit danebenliegen müsste. Tatsächlich kamen die kollektiv geschätzten 1207 Pfund dem tatsächlichen Gewicht des Ochsen (1198 Pfund) erstaunlich nahe.

Experimente in Kollektiv

Seitdem sind zahllose Experimente über das Entscheiden in Kollektiven durchgeführt worden; einige der wichtigsten präsentierte Sebanz in ihrem Vortrag beim Sommerdiskurs, der dieses Jahr unter dem Titel "Sicherheit und Rationalität" stand. Aber auch diese Studien lieferten zusammengenommen eher ambivalente Ergebnisse, erzählt Sebanz: Entscheidungen in Gruppen können Vorteile bringen. Sehr oft werden sie in vielen Fällen doch nicht kollektiv getroffen, sondern hängen sehr oft von einer starken Einzelmeinung ab.

Welche Methode ist in Sachen Entscheidungsfindung also die beste? Nach Sebanz' gelungenen Überblick über fast 250 Jahre psychologischer Forschung zu dem Thema fällt die Entscheidung nicht eben leichter. Vielleicht sollte man es am Ende doch noch einmal mit einer Liste von "Pros" und "Cons" versuchen. (Klaus Taschwer aus Strobl, 3.8.2018)