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Der "Transhumanismus", für den Demuth plädiert, umfasst ein Umbauprogramm, das den Menschen in ein attraktives Mischwesen aus Fleisch und Prothesen verwandelt.

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Volker Demuth, "Der nächste Mensch". Fröhliche Wissenschaft 119. € 14,- / 210 Seiten. Matthes & Seitz, Berlin 2018

Cover: Matthes & Seitz

Ist die Rede vom "letzten Menschen", wird gewohnheitsmäßig etwas Despektierliches ausgedrückt. Geprägt hat das Wort Friedrich Nietzsche gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Gemeint hat er – inmitten sich überschlagender Weltverhältnisse – einen merkwürdig biedermeierlichen Menschentypus, der sich mit den Errungenschaften seines Wohllebens ausdrücklich bescheidet.

Der polemische Stachel dringt tief: Der letzte Mensch verfehlt sein eigenes Potenzial. Indem er alle Möglichkeiten, sich und sein Dasein nach Kräften zu optimieren, ungenützt lässt, ist er womöglich der Antiheld schlechthin.

Der Konsumkapitalismus dynamisiert die Verhältnisse, indem er den Menschen die Grenzenlosigkeit der Wunscherfüllung vor Augen führt. Das Individuum glaubt sich auf seine je eigene Weise zum Genuss befähigt. Doch soll es seine Absichten stets so verfolgen, dass zwischen den Marktteilnehmern eine Kollaboration höherer Ordnung, zum Wohle aller, wirksam wird.

Die neu erhobene Forderung nach dem "nächsten Menschen" vereint die Sorge um das vereinzelte Selbst mit gattungspolitisch hehren Zielen. Autoren wie der deutsche Medienwissenschafter Volker Demuth plädieren für eine technologische Umrüstung des Menschen. Peinlich vermieden wird dabei jeder Anklang an Nietzsches "Übermenschentum".

Dasein voller Angst

Demuth spricht in der Erweckungsschrift Der nächste Mensch eher wie der Prophet im Dienst einer noch anonymen Gottheit. Da die Wohlstandssicherung die "Natur" aus der ökologischen Balance wirft, schlägt unserem Glauben an eine weitere Steigerung des Wohllebens allmählich die Stunde.

Den Horizont unseres Daseins bildet Angst. Die Unsicherheit des singulären Lebens gipfelt in der Einsicht, dass am Ende jeden Einzelnen von uns der Tod holt. Der "Transhumanismus", für den Demuth plädiert, umfasst ein Umbauprogramm, das den Menschen in ein attraktives Mischwesen aus Fleisch und Prothesen verwandelt.

Demuths Argumentation klingt betörend. Jede menschliche Wesensbestimmung führt dazu, alles Nichthumane gering zu achten. Der erst zu verfertigende "neue" oder "nächste Mensch" schließt Computerteile ein. Er wird humantechnologisch aufgepimpt. Er darf sich dafür in dem Bewusstsein wiegen, dass erst durch ihn, sein Dasein, der Unterschied zwischen Lebewesen und unbeseeltem Gegenstand aufgehoben erscheint. Der Mensch der Zukunft wird (angeblich) ein Cyborg sein – und einigermaßen unsterblich.

Entfaltung der Anlagen

Ob Demuths neoanthropologisches Konzept tatsächlich den Skandal unserer Zeitlichkeit beseitigen hilft, bleibt abzuwarten. Die Idee vom Menschen als Züchtungsprodukt ist keineswegs neu.

Vor mehr als einer Dekade beschrieb Peter Sloterdijk die Erweckung der im Verborgenen schlummernden Humanpotenziale als unablässiges Trainingsgeschehen. In vertikale Spannung versetzt, durch Gottes Tod obendrein in die Freiheit entlassen, üben sich die Leistungsträger der Gattung Homo sapiens in der Entfaltung ihrer besten Anlagen.

Und so propagieren Futuristen wie Demuth oder der US-Amerikaner Ray Kurzweil das Modell eines "nächsten Menschen", der mit dem hinfälligen, stark behaarten Primaten der bisherigen Gattung nicht mehr das Geringste gemein hat. Was vorderhand aus Fleisch ist, soll technowissenschaftlich aufgewertet werden und einem Hybrid weichen, der von biotechnischen Verfahren ("genetic engineering") profitiert. Die Bioutopien unserer Tage zehren von einer Wissenschaftsgläubigkeit, die selbst Professor Sauerbruch in Erstaunen versetzt hätte. Nanotechnologie, Neuroinformatik: Sie alle sollen aufgeboten werden, um etwas noch Schöneres aus uns zu machen.

Doch wäre das Fleisch auch umbauwillig: Bliebe der Geist nicht trotzdem so schwach wie bisher? (Ronald Pohl, 4.8.2018)