Illustration: Felix Charles Grütsch

Das Brexit-Referendum entsprach keinerlei politischer Notwendigkeit. Es war der Versuch David Camerons, den Graben in seiner Partei zu überwinden. Das Ergebnis: Der Graben hat sich in eine Kluft verwandelt. Theresa Mays verzweifelte Bemühungen, ihre eigene Partei zu domestizieren, sind fehlgeschlagen. Kaum hatte sie das White Paper zu ihrer Soft-Brexit-Strategie vorgestellt, schon wurde sie von den Hard Brexiteers, deren Exponenten davor aus der Regierung ausgeschieden waren, gezwungen, Kernelemente wieder infrage zu stellen. Im Parlament zeichnet sich ab, dass es keine Mehrheit für einen mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag geben könnte, weil auch die Labour-Partei in dieser Frage gespalten ist und außerdem auf Neuwahlen schielt.

Angesichts dieses Schlamassels regt sich im Lager der Remainers, die im Juni 2016 für den Verbleib in der EU eintraten, die Hoffnung, dass ein zweites Referendum das Ergebnis der Volksabstimmung doch noch korrigieren könnte. Dabei ist jedoch der Wunsch (auch meiner!) Vater des Gedankens.

Diese Idee scheint demokratisch gut begründet. In jüngsten Umfragen wünscht sich die Hälfte der Befragten ein neues Referendum (der STANDARD berichtete). Im Juni 2016 wurde das britische Volk gefragt, ob es aus der EU austreten will. Für einen solchen Austritt gibt es ein Verfahren, das in Artikel 50 des EU-Vertrags geregelt wird und dessen Ziel ein Abkommen zwischen der EU und ihrem Ex-Mitglied ist. Die Briten wurden nicht gefragt, ob sie auch ohne ein solches Abkommen austreten wollen. Wenn sich im Parlament keine Mehrheit für ein Abkommen findet, dann muss das Volk entscheiden. Die Frage ist jedoch: worüber?

Nicht eindeutig

Viele Befürworter eines zweiten Referendums sehen derzeit drei Optionen: Soft Brexit mit Abkommen, Hard Brexit ohne Abkommen oder Rücktritt vom Austritt aus der EU. Warum sollten die Briten also nicht gefragt werden, welche Variante ihnen die liebste ist, welche sie zähneknirschend akzeptieren könnten und welche sie auf jeden Fall ablehnen? Der Economist hat vor kurzem vorgerechnet, dass beim derzeitigen Stand der Umfragen das Ergebnis einer solchen Abstimmung ausschließlich davon abhängen würde, nach welchem Verfahren der Sieger ermittelt wird. Zählt man nur die Erstpräferenz, so liegt Remain mit 40 Prozent knapp vor einem Hard Brexit, berücksichtigt man auch die Zweitpräferenzen, so gewinnt der harte Brexit mit 47 Prozent gegen den Verbleib in der EU (44). Lässt man alle drei Optionen im Duell gegeneinander antreten, so gewinnt der Soft Brexit zweimal (gegen Remain und gegen einen harten Austritt), während ein harter Brexit nur in der direkten Konfrontation mit Remain von einer Mehrheit unterstützt würde. Es gibt also kein Verfahren zwischen drei Optionen, das eine eindeutige, legitime Mehrheitsentscheidung garantiert.

Nun könnten Remainers aber darauf setzen, dass in Großbritannien bei Wahlen das "First past the post"-System gilt, bei dem eine relative Mehrheit der Stimmen im Wahlkreis ausreicht, um einen Parlamentssitz zu gewinnen. Und nach dieser Regel gewinnt derzeit Remain. Das wäre jedoch ein Pyrrhussieg. Soft und Hard Brexiteers hätten zusammen mit 60 Prozent eine klare Mehrheit der Bevölkerung hinter sich und könnten zu Recht argumentieren, dass der demokratische Volksentscheid von 2016 durch eine Minderheit ausgehebelt wurde. Die Spaltung des Landes würde sich noch weiter vertiefen, und sie könnte als britischer Schlingerkurs auch die EU insgesamt destabilisieren. Die bittere Erkenntnis ist daher, dass an der Anerkennung des Ergebnisses vom Juni 2016 kein Weg vorbeiführt, weil die britischen Wähler auch zwei Jahre danach und trotz der Gewitterwolken am Horizont ihre Einstellung nicht grundlegend geändert haben.

Wenn es ein mit der EU ausgehandeltes Abkommen gibt und wenn dieses im Parlament keine Mehrheit findet, dann sollte es ein zweites Referendum geben. Dabei kann aber nur zwischen weichem und hartem Brexit abgestimmt werden. Es wäre klug, wenn sich die Regierung und die Labour-Opposition darauf bereits jetzt verständigen könnten, weil damit auch der Druck wachsen würde, ein vernünftiges Abkommen zustande zu bringen. (Rainer Bauböck, 3.8.2018)