Vor der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) dröhnen die Presslufthämmer, Poller sollen die OeNB sicherer machen. Gouverneur Ewald Nowotny erzählt, dass die Sicherheitsvorgaben von der Europäischen Zentralbank kommen, er selbst hält von Festungsdenken nicht viel. Auch nicht für Europa.

STANDARD: Fühlen Sie sich jetzt sicherer als früher? Vor dem Nationalbank-Gebäude werden gerade Poller errichtet – wie vor dem Kanzleramt. Haben Sie die Restbestände vom Ballhausplatz aufgekauft?

Nowotny: Nein, das kommt von der Europäischen Zentralbank (EZB). Die hat höchste Sicherheitsvorgaben, das EZB-Gebäude in Frankfurt gleicht ja einer Festung gegenüber der Außenwelt. Natürlich brauchen Notenbanken besondere Sicherheitsvorkehrungen, aber man muss nicht übertreiben. Wir haben die entsprechenden Vorgaben der EZB jetzt mit 14 Pollern für den Ernstfall aufs Minimum reduziert, sonst hätten wir künftig womöglich einen Burggraben vor dem Haus gehabt. Und zu Ihrer Frage: Ich habe mich bis jetzt auch schon hier sicher gefühlt.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ewald Nowotny ist in der Nationalbank künftig durch Poller gesichert: "Wir haben die entsprechenden Vorgaben der EZB jetzt mit 14 Pollern für den Ernstfall aufs Minimum reduziert."
Foto: Reuters/Foeger

STANDARD: Stichwort Festung. Was halten Sie von der politischen Idee, Europa zur Festung zu machen?

Nowotny: Man muss differenzieren: Es ist eine zentrale Aufgabe des Staats, den Bürgern Sicherheit zu vermitteln, das ist legitim und notwendig. Unbedingt zu vermeiden ist es aber, künstlich, durch spektakuläre Maßnahmen, ein Gefühl von Unsicherheit zu kreieren – aus politischen Gründen. Das Ganze ist ein heikler Balanceakt.

STANDARD: Wie beurteilen Sie da die Geschicklichkeit der österreichischen Regierung?

Nowotny: Es ist nicht meine Aufgabe als Notenbankgouverneur, die Linie der Regierung zu kommentieren. Ihr Grundmotto "Ein Europa, das schützt" ist legitim – wirklich effektiver Schutz kann in Zeiten wie diesen aber nur durch eine intensive Zusammenarbeit der Staaten erreicht werden, nicht durch Einzelaktivitäten.

STANDARD: Und wie sehen Sie den Budgetkurs der Regierung? Rechnen Sie mit einem Nulldefizit?

Nowotny: Die Nationalbank tritt immer dafür ein, gute Zeiten zur Konsolidierung zu nützen. Wir haben in Österreich so gute Zeiten wie schon lange nicht. Laut Prognosen ist ein Nulldefizit heuer, sind Budgetüberschüsse in den nächsten Jahren erreichbar. Aber all diese Prognosen basieren auf der jetzigen Rechtslage. Sollte eine Steuerreform kommen, wird es schwieriger, das Budget längerfristig ausgeglichen zu halten. Wir kennen aber die Reformpläne der Regierung nicht.

STANDARD: In der EU ist der wirtschaftliche Brandherd Italien. Riesenschulden, Debatten über einen Euroaustritt, faule Kredite ohne Ende, eine rechtspopulistische Regierung: Droht da ein neues Griechenland?

Bild nicht mehr verfügbar.

Zum Stichwort Festung: "Effektiver Schutz kann nur durch intensive Zusammenarbeit der Staaten erreicht werden."
Foto: Reuters/Bader

Nowotny: Italien ist kein Brandherd, aber es besteht Handlungsbedarf. Das Beunruhigende ist, dass Italien seit Jahren schwächer wächst als der europäische Durchschnitt und dass das gemäß der Prognosen auch so bleiben wird. Das ist das zentrale Problem, und dagegen braucht es eine Vielzahl von Maßnahmen. Im Programm der Regierungspartei gab es kontraproduktive Ansätze – aber die Praxis, die wir jetzt sehen, ist viel pragmatischer als erwartet. Auch die Aussagen des Finanzministers gehen in eine konstruktive Richtung. Und zum Euroaustritt: Man kann ganz fest davon ausgehen, dass eine Vielzahl von Italienern die alte Lira nicht zurückhaben will.

STANDARD: Gefährden rechtspopulistische Politiker die EU?

Nowotny: Sie gefährden die EU nicht in ihrer Existenz. Ich sehe aber die Gefahr, dass der Anteil der Rechtspopulisten bei den nächsten Wahlen zum EU-Parlament deutlich zunimmt und die Handlungsfähigkeit der EU auch nach außen geschmälert wird. Gerade in Zeiten erheblicher internationaler Spannungen ist es aber wichtig, dass wir eine starke, handlungsfähige EU haben, und das setzt einen breiten Konsens zu den Grundfesten der EU voraus: Offenheit nach innen, starke Handlungsfähigkeit nach außen und die Bereitschaft, das gemeinsame Europa psychologisch und kulturell zu stärken.

STANDARD: Die Nationalstaaten müssen enger zusammenrücken?

Nowotny: Das muss man Punkt für Punkt entscheiden. Die lineare Fortschreibung der immer enger werdenden Union wird nicht funktionieren. Man muss sehr genau prüfen, in welchen Bereichen das sinnvoll ist und in welchen das Subsidiaritätsprinzip angewendet werden soll. In Fragen der Sicherheit, Wirtschaft, Kapitalmarktunion ist eine stärkere Vereinheitlichung in der EU zu wünschen. Nicht so in Bereichen, in denen Auswirkungen aufs jeweilige Land beschränkt sind, da kann man bei der Individualität bleiben. Bei Themen wie lokalem Umweltschutz oder in speziellen kulturellen Bereichen soll man die unterschiedlichen Traditionen beibehalten, da sind nationale Bestimmungen sinnvoll.

Bild nicht mehr verfügbar.

Zu Trump's Erfolg: "Globalisierung ist kein absoluter Wert. Man muss sehen, wie sie sich auf das Schicksal der Menschen auswirkt."
Foto: Reuters/Foeger

STANDARD: Jüngst hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker US-Präsidenten Donald Trump befriedet. Halten Sie die Gefahr eines Handelskriegs zwischen der EU und den USA nun für gebannt?

Nowotny: Zur US-Politik kann man keine längerfristigen Prognosen wagen. Das Wichtige am Arrangement zwischen Juncker und Trump ist der Konsens hinsichtlich einer Reform der Welthandelsorganisation WTO und damit zur Bereitschaft, weiterhin im multilateralen Rahmen zu arbeiten. Dass die US-Regierung davon abgehen wollte, war das Gefährlichste an der Situation, weil damit die Handlungsfähigkeit Europas aufgespalten worden wäre. Gerade für ein kleines Land wie Österreich ist es enorm wichtig, dass die EU als Einheit Verhandlungen führt, mit einem anderen Gewicht, als Österreich es je könnte.

STANDARD: Trump hält die Welt mit unvorhersehbaren Entscheidungen in Unruhe und Atem. Sehen Sie auch etwas Positives daran?

Nowotny: Man soll sich hier vor Hochmut hüten. Einer der Gründe des Trump'schen Erfolgs ist, dass er die Rolle der Globalisierungsverlierer stärker betont hat – und das ist ein relevantes Problem. Die bisherige Diskussion, die Trump für elitengetrieben hält, hat die Globalisierung einseitig sehr positiv dargestellt. Globalisierung bietet große Chancen, aber sie ist kein absoluter Wert. Man muss sehen, wie sie sich auf das Schicksal der Menschen auswirkt, und dieser Aspekt wurde bisher vernachlässigt. Das ist eine produktive Lehre, die man aus dieser Entwicklung ziehen muss.

STANDARD: Europas Rechtspopulisten schöpfen ihren Erfolg doch auch aus dieser Entwicklung.

Nowotny: In Europa gibt es Rechts- und Linkspopulisten, die unterschiedliche Antworten auf eine gemeinsame Verunsicherung geben. Die muss man ernst nehmen, so wie eine stabilitätsorientierte Politik Verteilungsfragen ernst nehmen und sozialen Konsens fördern muss. Konsenspolitik wurde zuletzt von manchen Politikern bewusst angegriffen, weil sie von Kämpfen profitieren. Demokratie hat nichts mit Einheitsmeinungen zu tun – aber die Rolle und Leistung des Konsenses wurde zuletzt unterschätzt. Auch von manchen Intellektuellen, die von der Freud' an der Lust der Auseinandersetzung geprägt sind, denen der Dissens aber zum Teil als Selbstzweck dient.

STANDARD: Stichwort Dissens. Für wie wahrscheinlich halten Sie einen harten Brexit?

Nowotny: Die Wahrscheinlichkeit steigt leider. Auch hier zeigt sich, wie wichtig Kooperation und Konsens sind. Gerade die extremen Brexiteers (Befürworter des EU-Austritts, Anm.) in Großbritannien haben diese Lust an raschen Entscheidungen, wichtiger aber ist, dass man zu einem langfristig vernünftigen Ergebnis kommt. Das ist für Großbritannien ganz sicher der möglichst enge Kontakt zum übrigen Europa. Aber ganz klar: Es ist auch für die EU aus wirtschaftlichen und politischen Gründen sehr wünschenswert, Großbritannien nicht auf den Status eines Drittlandes absinken zu lassen.

STANDARD: Wie schlimm wären die Folgen eines harten Brexits?

Nowotny: England würde nicht untergehen, aber in seinem Fortkommen wesentlich beschränkt werden. Ich sehe nicht die Gefahr eines abrupten Absturzes, sondern einen schleichenden Niedergang. Das Wachstum schrumpft schon jetzt, alle Bereiche werden nachgeben. Jetzt rächt sich auch der Deindustrialisierungskurs von Premierministerin Margaret Thatcher: Industriegüter könnte man zur Not noch irgendwohin exportieren, aber mit Dienstleistungen, wie sie Großbritannien anbietet, ist man auf einen sehr speziellen Markt angewiesen.

STANDARD: Am 7. und 8. September tagen die EU-Finanz- und Wirtschaftsminister und die Eurogruppe in Wien. Da wird wohl auch über Zinserhöhungen gesprochen. Sind Sie dafür, dass die EZB die Zinsen früher als geplant anhebt, also vor Sommer 2019?

Nowotny: Ja, ich bin für eine Anhebung, damit die Normalisierung der Geldpolitik rascher vorangeht, und meine auch, dass ein langsamer Anstieg der Zinsen die Konjunktur in der EU nicht beeinträchtigen wird. Konkrete Beschlüsse werden aber bei der Ecofin-Tagung in Wien sicher nicht gefasst werden. Denn Zinsentscheidungen unterliegen ausschließlich dem Gouverneursrat der EZB. (5.8.2018)