Johannes Stein, der Dekan der Medizinischen Fakultät der Reichsuniversität, im Kreise seiner Familie.

Foto: SWR/privat/Kirsten Esch

Nach den unglaublich dichten 44 Minuten will man das soeben Gehörte und Gesehene sofort verdrängen und gleichzeitig möglichst viel über die Hintergründe erfahren.

Der Regisseurin Kirsten Esch ist mit Forschung und Verbrechen: Die Reichsuniversität Straßburg ein sehr sehenswerter Dokumentarfilm über die nationalsozialistische Vergangenheit der Elsässer Universität und der eigenen Familie gelungen. Johannes Stein, der Großvater der Regisseurin, war seit dem Jahr 1933 Mitglied der SS und Dekan der medizinischen Fakultät in Straßburg.

Die Reichsuniversität Straßburg war, nach heutigem Erkenntnisstand, die einzige universitäre Einrichtung, an der tödliche Menschenexperimente stattgefunden haben. Hier lehrte und forschte auch der SS-Mann und Anatom August Hirt, der eigens 86 Juden ermorden ließ, um eine Skelettsammlung für sein Institut anzulegen. Ein weiterer Kollege von Eschs Großvaters war der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker, der an der Atombombenforschung beteiligt war.

Die Regisseurin komponiert verstörende Archivbilder mit den Aussagen der eigenen Mutter, die sich an die "schöne und idyllische Kindheit" in Straßburg erinnert. Erinnerungen an gesellige Familiennachmittage und Freundschaften vermischen sich mit bösen Vorahnungen.

Sowohl die Tochter des Dekans Stein als auch seine Enkelin und die Regisseurin des Dokumentarfilms treibt die Frage um, was Johannes Stein über die Verbrechen gewusst hat. Die tradierte Familiengeschichte wird infrage gestellt, die neu gewonnenen Fakten wiegen schwer. Die Dokumentation ist am Montag um 23.30 Uhr auf ARD zu sehen. (Olivera Stajić, 6.8.2018)