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Derzeit fehlen laut Schätzungen zwischen 5.000 und 10.000 IT-Fachkräfte in Österreich

Foto: Corbis via Getty Images / richard Levine

Schätzungen zufolge fehlen der österreichischen IT-Branche rund 5.000 qualifizierte Fachkräfte – für die Gesamtwirtschaft geht man sogar von zirka 10.000 fehlenden Fachkräften aus. Diese Zahlen stammen aus dem sogenannten "IKT-Statusreport" des Fachverbands für Unternehmensberatung und Informationstechnologie (UBIT) der Wirtschaftskammer Österreich. Innerhalb der Europäischen Union sollen bis 2020 sogar eine Million IT-Fachkräfte fehlen. Besonders gefragt sind bei größeren Unternehmen Data Scientists. Kleinere Unternehmen, zu denen auch meist Start-ups zählen, suchen hingegen verstärkt nach Entwicklern und Business-Developern, so Alfred Harl, Obmann des UBIT-Fachverbands, gegenüber dem STANDARD.

Start-ups besonders betroffen

Auf der Suche nach qualifiziertem Personal konkurrieren Start-ups oftmals mit großen ausländischen IT-Konzernen. Im Vergleich zu etablierten Unternehmen haben Start-ups in der Regel Nachteile geeignetes Personal längerfristig zu binden. Dies liegt am teils sehr flexiblen Arbeitsumfeld von Start-ups und der vergleichsweise geringeren Jobsicherheit.

Nina Wöss, Unternehmenssprecherin von Speedinvest, größter Risikokapitalgeber-Gesellschaft in der heimischen Start-up Branche, bestätigt: "Mangelnde Stabilität bzw. Sicherheit von sehr 'frühphasigen Start-ups' schrecke oft hochqualifizierte IT-Fachkräfte, wie beispielsweise Senior-Developer, ab." Zudem können Start-ups aufgrund der sehr beschränkten finanziellen Ressourcen ihren Mitarbeitern oftmals nur ein geringeres Gehalt zahlen als große IT-Konzerne.

Standortproblematik

Jedoch nicht nur das spezielle Arbeitsumfeld von Start-ups erschwere das Recruting, auch Standortproblematiken sind laut Wöss ein immer wiederkehrendes Problem. Als Beispiel führt sie bürokratische Hürden, wie beispielsweise die Beschaffung einer Arbeitserlaubnis, oder die vergleichsweise niedrige Bezahlung im Vergleich zu größeren IT-Firmen im Ausland an. Die geringen Gehälter in der heimischen Start-up-Branche führe in der Regel zu einer Abwanderung von qualifiziertem Personal ins Ausland, so Wöss von Speedinvest und betont: "Viele Kandidaten nehmen aktuell London und Berlin als Start-up-Hubs viel attraktiver wahr als Wien."

Auf die Nachfrage, wie viele Start-ups, in die Speedinvest aktuell investiert, über einen Mangel an qualifizierten Personal klagen, antwortet Wöss: "Nahezu alle Start-ups sind aktuell vom Fachkräftemangel betroffen."

Offene Stellen bei heimischen Start-ups

Der STANDARD hat sich auch bei Gründern umgehört, die einstimmig bestätigen, dass der IT-Fachkräftemangel in der Branche ein sehr präsentes Thema sei und auch ihre eigenen Start-ups teilweise vor große Herausforderungen stelle.

In einem Gespräch mit dem STANDARD erläutert Michal Pötscher, CMO des auf Gruppenreisen spezialisierten Wiener Start-ups TourRader: "Derzeit sind etwa 30 Entwickler und fünf weitere IT-Projektmanager bei TourRadar angestellt und zusätzlich haben wir noch 13 Tech-Positionen ausgeschrieben." Das Start-up hat unlängst mit einer US-amerikanischen Risikokapitalgeber-Gesellschaft ein Investment von rund 50 Millionen US-Dollar abgeschlossen und befindet sich derzeit im Wachstumsprozess. "Wien ist (noch) kein Tech-Startup Zentrum, und somit ist es fast unmöglich Fachkräfte zu finden, die eine Erfahrung haben ein Unternehmen von 100 auf 500 Mitarbeiter zu skalieren", so Pötscher.

Ähnliches bestätigt auch Matthias Blazanovic, Gründer des österreichischen Start-ups Bikemap, ein Online-Kartendienst für Radfahrer, der mittlerweile 1,3 Millionen Nutzer in über 80 Ländern zählt: "Wir waren und sind auf der Suche nach Fachkräften im Bereich Web-Development sowie App-Development. Die guten Entwickler sind bereits ins Ausland gegangen und lassen sich in den USA ein vielfaches von EU-Verhältnissen bezahlen." Potentielle Arbeitnehmer seien meist in Freelancer-Arbeitsverhältnissen und auch nicht mit der Aussicht auf Unternehmensbeteiligungen längerfristig zu binden, so Pötscher.

Probleme mit der Hochschulpolitik

Gründe für den Fachkräftemangel sind vielfältig. Start-ups beklagen jedoch, dass der IT-Fachkräftemangel in der Regel auf Missstände in der Ausbildung und fehlende Ressourcen zurückzuführen sei. Dies bestätigt auch Alfred Harl, Obmann des Fachverbands UBIT der Wirtschaftskammer, der rund 8000 IT-Unternehmen vertritt. Er kritisiert: "Mir fehlt ein Masterplan des Wissenschaftsministeriums, wohin sich die Universitäten und Fachhochschulen bewegen müssen." Ein Abbau von Studienplätzen und ein Aufnahmestopp können zumindest keine Lösung sein, so Harl.

In einem Gespräch mit dem STANDARD fordert Harl, dass es für Studierende eine Art "Leitssystem" geben müsse, damit diese einen besseren Überblick zu freien Ausbildungsplätzen bei Informatikstudien erhalten. "Es braucht eine ambitionierte Innovations-, Standort- und Bildungspolitik sowie eine IT-Offensive bei der Ausbildung an heimischen Universitäten und Fachhochschulen", so Harl. Nur so könne gewährleistet werden, dass Österreich mit der voranschreitenden Digitalisierung und dem internationalen Standortdruck mithalten könne.

Gegenstrategien der Start-ups

Bis Maßnahmen gegen den IT-Fachkräftemangel gesetzt werden und diese auch greifen, müssen sich Start-ups bezüglich des Recrutings von qualifizierten Mitarbeitern Strategien einfallen lassen. Auch alternative Formen des Recrutings sind Teil dieser Strategien.

Nina Wöss von Speedinvest erläutert: "Wir raten den Start-ups, in die wir investieren, dass sie auch alternative Recruting-Kanäle nutzen, wie beispielsweise Start-up-Meetups." Speedinvest hat zudem für ihre "Portfolio Companies" eine eigene Plattform ins Leben gerufen, die helfen soll, geeignetes Personal zu finden.

Bezüglich erfolgreicher Recruting-Strategien erwähnt Blazanovic vom Start-up Bike-Map gegenüber dem STANDARD: "Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, neben dem Besuch von externen Entwicklerkonferenzen auch selbst Events zu hosten, bei denen unsere Entwickler Ergebnisse, Techniken, Insights mit der Community und potentiellen Arbeitnehmern teilen." Zudem verfüge das Start-up über eine überzeugende Vision, die zukünftige Mobilität in Städten durch Radfahren nachhaltiger zu gestalten. Dieser positive Anspruch motiviere die Mitarbeiter und helfe schlussendlich auch beim Recruting von neuen Mitarbeitern, so Blazanovic. Dennoch seien derzeit Stellen unbesetzt. (Martin Pacher, 13.08.2018)