Political Correctness hat dazu geführt, dass in Diskussionen gar nichts mehr gesagt wird, anstatt das Risiko einzugehen, dass jemanden beleidigt wird.

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Ein Twitter-Hashtag sorgt seit ein paar Wochen für Aufregung. Unter #MeTwo posten viele Menschen ihre Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung. Viele weitere lassen uns wissen, dass sie wegen Nichtigkeiten beleidigt sind. Damit bedienen sie erstens ihr Selbstmitleid und diskreditieren zweitens das Anliegen hinter der Debatte, die sie ungewollt persiflieren. Man könnte das achselzuckend als Sturm im Wasserglas abtun, aber die aktuelle Aufregung ist Symptom eines ernsten gesellschaftlichen Problems. Es heißt Politische Korrektheit.

Der Begriff machte ab Mitte der 1990er-Jahre in den USA eine steile Karriere. Man versteht darunter das Bemühen, niemanden aufgrund von dessen Identifikation mit einer sozialen Gruppe sprachlich auszuschließen oder zu beleidigen. Dahinter stecken wohl hehre Absichten, doch tatsächlich war der Ruf nach Political Correctness immer schon einer offenen Diskussionskultur abträglich. Das Problem ist, dass es den Beleidigten selbst obliegt, zu entscheiden, wodurch sie beleidigt wurden, denn ohne diese Prämisse würden weiterhin die gesellschaftlich Mächtigen die Standards festlegen. Dieses Konzept leidet unter einem fatalen Konstruktionsfehler. Es ist schlechterdings unmöglich, etwas von Bedeutung zu sagen, wodurch sich nicht irgendjemand beleidigt fühlt. Das logische Ergebnis: Es wird überhaupt nichts mehr gesagt, das über harmlose Floskeln hinausgeht.

Niemand will raus aus der Komfortzone

An US-amerikanischen Universitäten hat die Politische Korrektheit schlimme Stilblüten getrieben. Dort sollen sich die Studenten, die gleichzeitig Kunden sind und einige zehntausend Dollar pro Semester für ihr Studium bezahlen, unter allen Umständen wohlfühlen. Nun ist die Politische Korrektheit auch über den Atlantik geschwappt und hat heimische Hochschulen erreicht. Einige Beispiele gefällig?

Spricht man über Religionsgeschichte, macht man nach Meinung mancher Studenten ihren Glauben lächerlich, weil die historische Entwicklung Religion als etwas von Menschen Gemachtes erscheinen lässt. Zeigt man das Bild einer nackten Frau, die mit ihrer Nacktheit gegen das DDR-Regime protestiert hat – wie das im 21. Jahrhundert Femen machen –, so ist das angeblich eine Herabwürdigung weiblicher Studenten. Spricht man darüber, dass viele Kriegsverbrecher ihren Nachkommen als geliebte Familienmitglieder in Erinnerung sind, fühlen sich Studenten "getriggert", weil der liebe Opa, der hinter der Front Juden in den Graben schießt, nicht zu ihrem Weltbild passt.

Wann wurden die Universitäten zu Orten, an denen niemand aus seiner Komfortzone herauskommen soll? Jene Studenten, die sich durch was auch immer beleidigt fühlen, wollen ja gerade darüber nicht sprechen, was ihnen unangenehm ist, sondern möchten einfach nicht damit konfrontiert werden. Diese infantile Verweigerungshaltung ist (noch) nicht alltäglich. Aber Beispiele wie die zuvor genannten haben auch keinen Seltenheitswert. Das Phänomen hat übrigens kein subkulturelles Mascherl. Es betrifft Marxisten wie Rechtsradikale und Anhänger aller Ideologien dazwischen ebenso wie völlig unpolitische Studenten aller Geschlechter und Generationen. Schon setzt bei einigen Universitätslehrern die Schere der Selbstzensur an: Ach, dazu sage ich nichts, das wird ja doch wieder nur missverstanden. So geht die universitäre Diskussionskultur langsam zugrunde.

Studierende oft konservativer als die Lehrenden

Ein großer Teil dieser Problematik ist vom Bildungssystem hausgemacht. An österreichischen Schulen galten Querdenken und intellektuelles Selbstbewusstsein noch nie als besondere Tugenden. Doch zunehmend fühlen sich auch Universitätsstudenten bemüßigt, Lehre nicht mitzugestalten, sondern zu konsumieren und mit aufgesetzten Scheuklappen möglichst flott durchs Studium zu galoppieren. Die Aufgabe der Universitätslehrer wäre es nun, die Studenten einzubremsen und zur Diskussion aufzufordern. Das geschieht viel zu selten, vielleicht, weil es mühsam ist, Menschen zu ihrem Glück zu zwingen und den ständig drohenden Rohrstock von Rektoraten und Controlling-Abteilungen zu ignorieren, denen brave Studenten, die schnell und kritiklos durch das System geschleust werden, gerade recht sind.

Universitätsstudenten sind heute viel zu oft konservativer im Denken als ihre Lehrer. Hinter den Phrasen der Politischen Korrektheit, mit denen sie ihre Ansichten gegen Debatten immunisieren wollen, stecken häufig religiöse Orthodoxie, Prüderie oder wissenschaftlicher Dogmatismus. Wer das normal findet, sei an die Glanzzeiten von Paris VIII und anderen Reformuniversitäten des 20. Jahrhunderts erinnert. Die Universitäten sind zurecht stolz darauf, dass sie seit Jahrhunderten ein wichtiger Antrieb für die Gestaltung einer offenen Gesellschaft sind. Dass dadurch häufig jemand gekränkt wird, ist kein Bug, sondern ein Feature. (Thomas Walach, 7.8.2018)