Das Spiel mit den Steueroasen gehört bei den Konzernen und Superreichen zur Tagesordnung. Trotz Enthüllungen durch Lux Leaks und Panama Papers hat die EU bis dato nichts unternommen, um die negativen Auswirkungen der Steuervermeider auf die Allgemeinheit zu unterbinden. Nach einer Studie, die im Untersuchungsausschuss des Europaparlaments vorgestellt worden ist, beträgt der Steuerausfall für die gesamte Europäische Union jährlich mehr als 100 Milliarden Euro. Würde man die Geldtransfers in die Steueroasen stoppen, könnten laut dieser Studie EU-weit rund 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

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Eine Europäische Union, die die Rolle einer Beitragstäterin einnimmt – kräftig unterstützt durch die Lobbyisten des Kapitals -, verliert so an Glaubwürdigkeit und Legitimation. Ein gefundenes Fressen für die Nationalisten, deren Ziel es ist, die europäische Gemeinschaft zu zerstören.

Leistungsfähigkeitsprinzip

Österreich hat derzeit den Vorsitz des Rats der Europäischen Union. Die Präsidentschaft könnte dafür genützt werden, das Thema Steuergerechtigkeit – der Leitgrundsatz eines jeweils zivilisierten Steuerrechts – auf die politische Agenda zu setzen. Die Steuer hat sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerzahlers zu orientieren (Leistungsfähigkeitsprinzip). Wenn aber Konzerne und Menschen, die jährlich Milliarden verdienen, nahezu keine Steuern zahlen, wird der Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet.

Österreich hat schon vor Jahren im Steuerrecht für Konzerne ein Abzugsverbot für Zins- und Lizenzzahlungen an Gesellschaften, die ihren Sitz in Steueroasen haben, eingeführt. Finanzierungskosten und Kosten für Patente werden steuerlich dann nicht anerkannt, wenn bei der empfangenden Gesellschaft die Einnahmen nicht mit mindestens zehn Prozent versteuert werden (§ 12 Körperschaftsteuergesetz). Diese Bestimmung stammt noch aus der Zeit der großen Koalition.

Gewinne im Konzern

Auch wenn die Steuerhoheit bei den direkten Steuern (Einkommen- und Körperschaftsteuer) Angelegenheit der Mitgliedsstaaten ist, hat die EU in der Vergangenheit Harmonisierungsmaßnahmen getroffen. Begünstigte waren – wie nicht schwer zu erraten – Konzerne. So wurde eine Mutter-Tochter-Richtlinie verabschiedet, die sicherstellt, dass Gewinnausschüttungen innerhalb des Konzerns steuerfrei bleiben.

Wenn es um den freien Kapitalverkehr geht, ist die EU die Hüterin der Freizügigkeit. Wenn es um eine gerechte Besteuerung geht, fühlt sie sich nicht zuständig. Eine Diskussion über eine europäische Steueroasen-Richtlinie ist ein Tabuthema.

Für viele Weltkonzerne stellt sich das Steuerrecht der EU paradiesisch dar, durch die Verschiebung von Gewinnen kann die Steuerlast minimiert werden.
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Eine Frage der Gerechtigkeit wäre auch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Seit Jahren wird darüber geredet – geschehen ist bis dato nichts. Und auf der Tagesordnung der Steuergerechtigkeit steht auch die Besteuerung der Milliardengewinne von Apple, Amazon, Google und Co. Die US-Profitgiganten haben allein im Jahr 2015 rund 620 Milliarden Dollar in Steueroasen umgeleitet. Das entspricht fast 20 Prozent der gesamten Körperschaftsteuereinnahmen in den EU-Staaten. In Trump'schen Zeiten der Zölle ist die Besteuerung von Gewinnen, die die US-Konzerne in Europa aus der Verwertung der persönlichen Daten der Nutzer erwirtschaften, ein Must-have.

Die Ratspräsidentschaft Österreichs könnte ein Meilenstein für die zukünftige Entwicklung der Europäischen Union sein. Zu befürchten ist jedoch, dass die neoliberale Handschrift von Bundeskanzler Sebastian Kurz von einer Steuergerechtigkeitsdebatte nicht beeinflusst werden wird.

So ist beispielsweise im Jahressteuergesetz 2018 der türkis-blauen Koalition vorgesehen, dass Unternehmen, die einen Umsatz von über 40 Millionen Euro erzielen, bei Einsatz eines Horizontal Monitoring nicht mehr vom Finanzamt geprüft werden. Von einer solchen Privilegierung können die Klein- und Mittelbetriebe nur träumen.

Turbokapitalistisches Gen

Kurz' Ziel ist die Aufrechterhaltung des Status quo. Das entspricht seinem turbokapitalistischen Gen. Für den Vizekanzler ist die Steuergerechtigkeit mangels Verknüpfung mit der Asylfrage kein Thema. (Johann Neuner, 6.8.2018)