Die ersten Menschen nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl: Eva Choung-Fux' löste für die Serie "Strahlende" symbolisch Leiber auf.

Foto: Wien Museum / Bildrecht, Wien, 2018

"Wer kann die Frauen definieren?" So fragte es sich der französische Philosoph Denis Diderot in der von ihm im 18. Jahrhundert herausgegebenen Enzyklopädie. Eine recht kühne Behauptung schloss er gleich an: "Die ganze Wahrheit spricht aus ihnen, doch in einer doppeldeutigen Sprache."

Diderot, Zentralfigur der Aufklärung, mag an die restlose Erklärbarkeit der Welt geglaubt haben, die Frauen blieben ihm rätselhaft. Dies Mysterium des Philosophen gefiel wohl Kunsthistoriker und Kurator Werner Hofmann. Er stellte Diderots Frage anno 1986 seiner wegweisenden Ausstellung Eva und die Zukunft in der Hamburger Kunsthalle voran.

Maria Lassnig: "Erschaffung der Eva", 1962/63
Foto: Maria Lassnig Stiftung Foto © mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien

Fragen statt Antworten

Versammelt waren dort Frauenbilder im doppelten Sinne: Werke aus der Hand von Frauen ebenso wie Darstellungen ihrer Körper. Historische Arbeiten trafen auf Gegenwartskunst. Man traf auf Judith mit dem Haupt des Holofernes von einer der ersten in die Kunstgeschichtsschreibung eingegangenen Malerinnen: Artemisia Gentileschi (1593-1653).

Ebenso stieß man auf die 300 Jahre jüngere Körperbewusstseinsmalerei von Maria Lassnig. Auf Vielstimmigkeit war Hofmann aus. Geschlechtlich zu einseitige Sichtweisen wollte er aufbrechen. Es galt weniger Antworten zu geben, denn das Rätselhafte und Uneindeutige zu bekräftigen. Kurioserweise hat Hofmann übrigens die Realisierung der Ausstellung seiner Mitarbeiterin Sigrun Paas und dem Volontär Friedrich Gross überlassen.

Fanni Futterknecht / Marianne Vlaschits: "garden of lust" (Performance), 2012
Foto: Marianne Vlaschits / Bildrecht, Wien, 2018

Verbotene Früchte

2018, mehr als dreißig Jahre später, holen nun zwei Kuratorinnen, Elisabeth Voggeneder und Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Hofmanns Projekt in die Gegenwart. Aus der Perspektive eines heutigen Feminismus nähern sie sich seinem Sinn für Witz und Kritik an den politischen Verhältnissen an. Eva und die Zukunft. reloaded findet allerdings nicht in Hamburg statt, sondern – in wesentlich geschrumpften Dimensionen – im Forum Frohner in Krems. Mit Positionen, die seit den 1990er-Jahren entstanden, wird das Konzept auf den neuesten Stand gebracht.

Manches von 1986 ist aber auch in der Neuauflage zu sehen. So etwa Max Klingers titelgebender Radierzyklus Eva und die Zukunft (1881). Dieser gediegenen Variation auf den Adam-und-Eva-Mythos stellen die Kuratorinnen Renate Bertlmanns schrilles Objekt Verbotene Früchte (1992) gegenüber: Unter einer Käseglocke finden sich nebst kitschigem, glitzerndem Plastikobst Sexspielzeuge. Symbolist trifft In-Your-Face-Feministin.

Erhard Stöbe: "Feedback", 2004
Foto: Bildrecht, Wien, 2018 Foto: Christian Redtenbacher

Zurückgefüttert

Der Sündenfall der ersten Menschen bleibt Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung: Schließlich ist er Grundstein einer über Jahrhunderte zementierten Unterordnung der Frau. Den Missstand zu überwinden ist noch immer ein feministisches Anliegen. Und so sind auch einige Variationen auf den biblischen Mythos, eines der meistbemühten Sujets der Kunstgeschichte, zu sehen: Ein junges Mädchen, das der Schlange den Apfel anbietet, zeigt etwa Erhard Stöbe im Gemälde Feedback (2004).

Mit Ironie begegnet Anna Artaker dem Missverhältnis der Geschlechter in der Kunstgeschichtsschreibung. In Unbekannte Avantgarde (2007) zeigt sie Gruppenfotos von Künstlerkollektiven, die sie nüchternen Humors mit Fake-Legenden versehen hat: Alle Dargestellten sind, wiewohl es sich größtenteils um Männer handelt, als Frauen ausgewiesen.

Adolf Frohner: "Das Urteil des Paris", 1969/1970
Foto: Carl Brunn

Gegen Klischees

Wer im Götterhimmel die Schönste sei, das musste in der Mythologie der Jüngling Paris beurteilen: Diesem oft aufgegriffenen historischen Sujet widmete sich Adolf Frohner. An diesem Topos lässt sich auch ganz wunderbar das Schönheitsideal der jeweiligen Zeit ablesen. Frohner hingegen persiflierte das Schönheitsstreben: Er malte nicht nur besonders hässliche, sondern obendrein geschlechtlich nicht eindeutig zuordenbare Figuren. Ende der 1960er-Jahre gemalt, war das Gemälde der queeren Zukunft weit voraus. Es verstand sich als Kritik am nationalsozialistischen Schönheitsideal und am Begriff "entartete Kunst".

Raffinierterweise trifft es in der Ausstellung auf moderne Wellnessnymphen. Das Künstlerinnenquartett Die Damen parodierte mit Die Damen beleben die Sinne (1990) Werbesujets eines Mineralwasserherstellers. Statt Heteroklischeepärchen sitzen da vier selbstbewusste, mit sich selbst zufriedene Damen im Pool. Und würden über einen dahergelaufenen Paris, der darüber rätselt, wer hier die Schönste sei, vermutlich nur lachen. (Roman Gerold, 7.8.2018)

Die Damen: "Die Damen beleben die Sinne", 1990
Foto: Bildrecht, Wien, 2018 / Landessammlungen Niederösterreich, Foto: Christoph Fuchs