Bleibt stets für Überraschungen gut: Maxim Biller.

Foto: Katia Romero

Wien – Maxim Biller ist keiner, der es den Lesern oder sich selbst übertrieben leicht macht. Seit seinem Debüt Wenn ich einmal reich und tot bin (1990) stilisiert sich der 1960 in Prag geborene Autor als jüdischer Hass- und Schmerzensmann, der gegen die Windmühlen verkrusteter Erinnerungsblöcke und verlogener Lebensnarrative anschreibt.

Der herrschenden Meinung schließt sich der Autor, den Die Zeit einmal einen "Unzumutbaren" nannte, dabei selten an. Wobei Biller in seinen Büchern und Kolumnen (u.a. für die FAZ) nicht nur über die Gesellschaft im Allgemeinen und die komplizierte jüdisch-deutsche Koexistenz im Nachkriegsdeutschland im Besonderen schreibt, sondern sich gern auch – zuletzt als Mitglied des Literarischen Quartetts – Gedanken zum Zustand seiner großen Liebe, der Literatur macht.

Vieles des im Großraumbüro der deutschen Gegenwartsliteratur Verfassten gilt Biller als "Schlappschwanzliteratur" ohne Gegnerschaft, ohne Hass, ohne Haltung. Und die Kritiker? Idioten, die seine Bücher nicht verstehen, mit dem Literaturbetrieb und seinen Gruppenerlebnissen wie der Frankfurter Buchmesse will er sowieso nichts zu tun haben.

Das alles macht den Provokateur für viele sperrig. Doch längst hat sich Biller nicht nur durch seine Kolumnen den Ruf eines temporeichen, wendigen, intelligenten Autors erschrieben, von dem jederzeit ein großer Wurf zu erwarten ist. Vor zwei Jahren schien es so weit, als Billers Verlag unter dem Titel Biografie das 900 Seiten starke Opus Magnum ankündigte, an dem der Autor acht Jahre lang gearbeitet hatte. Es fiel bei der Kritik mehrheitlich durch.

Dass Biller stets für Überraschungen gut bleibt, zeigt nun sein neuer, schmaler Roman Sechs Koffer. Er handelt von Liebe, Exil, sowjetischer und tschechoslowakischer Geschichte sowie von vier Brüdern – und von einem Geheimnis, das ab dem ersten Satz des Buches seinen Sog entfaltet. Im Zentrum: Der Vater der Brüder, genannt Tate, der in den ukrainischen Karpaten aufwuchs, bevor er im Ersten Weltkrieg österreichsicher Soldat wurde, in russische Kriegsgefangenschaft geriet und für immer in Russland blieb, wo er auf dem Schwarzmarkt mit Devisen handelte. Bis er 1960 offenbar verraten und von den Bolschewiken hingerichtet wurde. Hat Diva, einer der Brüder bei seiner gescheiterten Flucht aus der Tschechoslowakei mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet und den antisemitischen Geheimdienstlern den Taten ans Messer geliefert?

Spiel mit Fakt und Fiktion

Wer den Großvater verraten hat, ist nur eine der Fragen, die dieser in Prag, Zürich, Hamburg und Berlin spielende Roman aufwirft, dessen Erzählbogen von den frühen 1960er-Jahren bis in die Gegenwart reicht. Denn nicht zuletzt ist dieses raffiniert gebaute Buch auch ein subtiles Spiel mit Fakten und Fiktion. Erzählt wird die Geschichte nämlich von Sjomas Sohn, Tates Enkel, mit dem der reale Biller nicht nur den Nachnamen, sondern auch das Geburtsjahr und die in Prag verbrachte Kindheit sowie die Flucht nach Hamburg teilt. Zudem wurde auch Maxim Billers Großvater in der Sowjetunion wegen illegaler Devisengeschäfte hingerichtet.

Äußerst kunstvoll hält der Autor im Roman seinen nur sporadisch erkennbaren Ich-Erzähler im Hintergrund, der in sechs Kapiteln die Geschichte aus den Perspektiven der Brüder, seiner Mutter und der Schwester plastisch werden lässt. Vieles ist überraschend in vorliegendem Roman, der nicht von Schuld, aber von Komplexität und der Hinterfragung von tradierten Familiennarrativen handelt. Und zwar ganz ohne jene Kraftmeierei, die Maxim Biller so oft vorgeworfen wird.

Maxim Biller, "Sechs Koffer". € 19,60 / 208 Seiten. Kiepenheuer & Witsch: Köln 2018.