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Bis 2020 sollen Treibhausgase in der EU um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden, bis 2030 um 40 Prozent.

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Der Markt wird es schon regeln. So ähnlich lautete wohl die Überlegung, als sich die EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2003 auf keine CO2-Steuer einigen konnten und sich stattdessen für ein Emissionshandelssystem (EU-ETS) entschieden. Ziel war es, den Treibhausgasausstoß in Industrie und Energiewirtschaft durch vorher festgelegte Emissionsobergrenzen einzudämmen. Kann ein Unternehmen für seine Emissionen zu wenige Zertifikate nachweisen, muss es auf dem Markt Zertifikate zukaufen oder eine Strafe zahlen; emittiert es weniger, kann es Zertifikate verkaufen oder für später aufheben.

So richtig gegriffen hat die Marktidee bisher nicht. Von Anfang an wurden zu viele Zertifikate gratis an Unternehmen ausgegeben, die Preise rasselten dementsprechend schnell in den Keller: Lag der Preis pro Tonne CO2-Äquivalent im Juli 2005, kurz nach der Einführung des Systems, noch bei 24 Euro und im April 2006 bei einem Höchststand über 30 Euro, erreichte er zwei Jahre später gerade einmal zwölf Cent je Tonne. In den vergangenen Monaten ist der Wert auf rund 17 Euro gestiegen – und ist damit aber nach wie vor zu niedrig, um Impulse für eine grundlegende Transformation in Energiewirtschaft und Industrie auszulösen.

Reduktionsziele erreichen

Doch die Uhr tickt: Die EU-Mitgliedstaaten haben sich zu ambitionierten Reduktionszielen verpflichtet. Bis 2020 sollen Treibhausgase um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden, bis 2030 um 40 Prozent. Ähnliche Ziele gibt es auch im Bereich des Anteils erneuerbarer Energien und der Steigerung der Energieeffizienz. Das ETS-System galt einst als Eckpfeiler im Kampf gegen den Klimawandel, doch so richtig bewährt hat es sich noch nicht.

Umweltministerin Köstinger nannte beim Thema CO2-Mindestpreis noch keine konkreten Zahlen.
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Kaum verwunderlich also, dass seit der Einführung immer wieder der Ruf nach einem CO2-Mindestpreis laut wurde. Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte etwa im Herbst des Vorjahres seine Amtskollegen dazu auf, einen Mindestpreis von 30 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent einzuführen: "Wenn es in den kommenden Jahren nicht gelingt, einen wirksamen CO2-Mindestpreis durchzusetzen, sind die Mühen vergebens", sagte Macron. Auch Umweltministerin Elisabeth Köstinger sprach sich für einen Mindestpreis aus, nannte jedoch keine konkreten Zahlen. Es ist ein heikles Thema: Immerhin müsste ein solcher Preis auf EU-Ebene durchgesetzt werden, um Abwanderung in Staaten mit laxeren Klimabestimmungen zu verhindern.

Ursprünglich wurde für jedes Land die notwendige Anzahl an Zertifikaten ermittelt, 95 Prozent davon wurden kostenlos vergeben. Aber nicht nur für Nationalstaaten, sondern auch für einzelne Unternehmen wurden Emissionsobergrenzen festgelegt. "Wie viele Zertifikate einzelne Anlagen bekommen haben, hing auch damit zusammen, wie glaubhaft sie ihre Wachstumspfade begründen konnten", sagt Angela Köppl, Klimaexpertin am Wirtschaftsforschungsinstitut. Im ersten Jahr wurden in der gesamten Union knapp über zwei Milliarden Zertifikate vergeben, rund 32 Millionen davon gingen an Österreich.

Falsche Grundannahmen

Genau darin liegt auch eines der Probleme des ETS-Systems: Die EU ist bei der mehrjährigen Festlegung der Zertifikate von einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum ausgegangen – laut Experten ein gravierender Fehler: Vor allem in der Weltwirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 ist mit der niedrigen Produktion auch der Bedarf an Zertifikaten eingebrochen. "Die Zertifikate, die nicht gebraucht wurden, sind trotzdem am Markt geblieben", sagt Köppl. Dieser wurde regelrecht überschwemmt, die Preise sanken, Investitionen in Niedrig-Kohlenstoff-Technologien blieben aus.

Durch den Emissionshandel werden rund 45 Prozent der in der EU entstehenden Treibhausgasemissionen abgedeckt. Diese Grafik zeigt sämtliche Emissionen.

Brüssel hat seither mehrere Versuche unternommen, um den Preisverfall einzudämmen. Zertifikate, die für die Auktion vorgesehen waren, wurden beispielsweise zurückgehalten, um eine künstliche Verknappung zu erzeugen. Zudem wurde der Energiesektor mittlerweile aus der Gratiszuteilung herausgenommen. Während dieser in Österreich im ETS-System nur 40 Prozent ausmacht, nimmt er in den meisten Ländern Europas mehr als 60 Prozent ein.

System mit vielen Lücken

Auch andere Lücken machen das Handelssystem – trotz einiger Anpassungen in unterschiedlichen Phasen – nur mäßig effizient. So sind derzeit etwa nur innereuropäische Flüge im Emissionshandel enthalten, nicht aber jene von EU-Flughäfen in andere Staaten der Welt oder internationale Flüge, die in der EU landen.

Aber wie hoch müsste der Preis tatsächlich sein, um Auswirkungen auf den Markt zu haben? Laut Karl Steininger, Klimaökonom der Universität Graz, wären "30 bis 45 Euro pro Tonne bis ins Jahr 2050 durchaus wünschenswert".

"30 bis 45 Euro pro Tonne bis ins Jahr 2050 durchaus wünschenswert."

Andere Berechnungen gehen davon aus, dass ein Preis von bis zu 100 Euro notwendig wäre, um klimarelevante Impulse auszulösen. Laut Steininger könnte ein Mindestpreis die Schwankungen am Markt bereinigen. In der Wirkung käme er einer CO2-Steuer jedoch "mehr oder weniger gleich". Letztendlich sei aber nicht das System selbst das Problem, so der Uni-Professor. Vielmehr sei die vorhandene Menge an Zertifikaten "bei weitem zu groß", der Reduktionspfad zu schwach angesetzt – etwa weit über den Pariser Klimazielen.

Köppl sieht das ein wenig anders: Eben genau durch das Design des Systems – also die Zuteilung der Zertifikate im Voraus und die mangelnde Flexibilität – sei es zu einer Überallokation gekommen.

Noch ist unklar, welche Folgen der Brexit auf das Emissionshandelssystem haben wird.
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Was passiert nach dem Brexit?

Der 2019 anstehende Brexit stellt das ETS-System vor eine weitere Herausforderung. Großbritannien ist nach Deutschland der zweitgrößte Treibhausgasemittent der EU, mehr als tausend Energieerzeugungs- und Industrieanlagen sind an dem System beteiligt. Noch ist nicht klar, wann und in welcher Form der Inselstaat den EU-Emissionshandel verlassen wird.

Großbritannien könnte theoretisch auch ohne EU-Mitgliedschaft – wie etwa Island, Liechtenstein und Norwegen – Teil des Systems bleiben, sagt Klimaexpertin Köppl. Eine weitere Möglichkeit wäre ein eigenes System, das an jenes der Union gekoppelt ist und in dem Zertifikate gegenseitig anerkannt und auf einem gemeinsamen Markt gehandelt werden.

Zertifikate könnten verfallen

Sollte Großbritannien das System verlassen, spielt auch der Zeitpunkt eine wesentliche Rolle: Würde der Inselstaat, wie von Energieministerin Claire Perry angekündigt, 2020 aussteigen, wäre das noch vor Beginn der nächsten Handelsperiode, mit der bisher gültige Zertifikate verfallen. Ein früherer Ausstieg könnte – zumindest kurzfristig – dazu führen, dass der Markt mit einem Zusatzangebot an Zertifikaten britischer Firmen überschwemmt wird. Ein solches Überangebot würde in der nächsten Periode jedoch abgemildert werden, da die EU überschüssige Zertifikate sukzessive vom Markt nehmen will.

Jedenfalls schlechte Nachrichten für die EU: Großbritannien hat seine Emissionen im EU-Vergleich in der Vergangenheit überdurchschnittlich reduziert, was sich auch positiv auf die Gesamtreduktionsziele der Union ausgewirkt hat. Ökonomen der London School of Economics haben berechnet, dass die EU ihre Reduktionsbemühungen nach dem Brexit um 4,5 Prozent anheben müsste, um die 2030-Klimaziele zu erreichen. "Die Europäische Kommission wird diese zusätzlichen Reduktionen unter den bleibenden 27 Mitgliedstaaten aufteilen müssen", heißt es in der Analyse der britischen Universität. Die übrigen Staaten müssen sich also mehr anstrengen, um die Klimaziele zu erreichen. (Nora Laufer, 8.8.2018)