Neuer Mann, großes Erbe: Julian Grössinger führt das legendäre Wirtshaus beim Salzburger Bahnhof sehr couragiert.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Fleisch in durchwegs sympathischen Facetten spielt im neuen Weiserhof die Hauptrolle.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Ein wenig Legendenbildung ist an der Stelle unumgänglich. Schließlich konnte es ein Wirtshaus wie den Weiserhof, den Roland Essl in den vergangenen 13 Jahren zu einem Sehnsuchtsort von Slow-Foodisten, Sterneköchen und anderen, dem wahren, handfesten Essen zugewandten Auskennern machte, eigentlich nur im Traum geben: unmittelbare Bahnhofsnähe (Hinterausgang), gekiester Garten unter alten Kastanien, stets dicht gefüllte Gastzimmer und, vor allem, ein Koch, der die traditionellen Herrlichkeiten der Salzburger Bauernküche quasi im Alleingang dem Vergessen entriss.

Dass Essl im Keller auch noch eine Wurstmanufaktur betrieb, aus der grandiose Deftigkeiten wie Breinwurst, Blunze, Braunschweiger (fürs Erdäpfelgulasch oder sauer aufgeschnitten!) und Leberwurst kamen, kann die Außerordentlichkeit dieses Ortes nur unterstreichen.

Dementsprechend fassungslos waren die Reaktionen, als Essl vergangenes Jahr bekanntgab, dass ihm das alles nun doch ein bisserl viel werde. Irgendwann, irgendwie kann eine neue Wirkstätte möglich – oder zumindest nicht ausgeschlossen – sein. Den Weiserhof aber hat der Mann mit dem genialen Händchen für Arme-Leute-Küche wie Stinkerknödel und Schottnocken, Henakrapfen und Ochsenschoas in neue Hände gegeben.

Freilaufhendln und Freilandschweine

Julian Grössinger werkte gleich in mehreren Salzburger Traditionshäusern und sorgt mit seinem Fleischerei-Imbiss Meat & Eat seit vergangenem Jahr dafür, dass es den – in dieser Hinsicht ohnehin gut versorgten – Salzburgern nicht an guten Würsten und Fleisch aus handwerklicher Produktion mangle.

Fleisch in durchwegs sympathischen Facetten spielt auch im neuen Weiserhof die Hauptrolle: Es gibt Freilaufhendln von Grössingers Nachbarn am nahen Heuberg, die in der Küche zu Backhendln der Extraklasse werden.

Es gibt Schnitzel von Freilandschweinen, die mit Blick auf den Mattsee im Dreck gewühlt haben und es dementsprechend schnitzeln lassen. Es gibt Rindsrouladen der saftig mürben Art mit dichtem Schmorsaft, tolle Blunzen, frische und extrafleischige Siebenbürger Kalbsbratwürste und allerhand Gesottenes vom Rind des Salzburger Slow-Food-Vorzeigebetriebs Rauchenbichlgut.

Schmelz!

Vor allem aber hat Grössinger den Weiserhof nunmehr den Innereien gewidmet. So sitzt man frühabends im Garten und harrt des Kalbskopfes, während es aus dem Küchenfenster den Duft frisch aufgeschäumter Butter unter die Kastanien weht. Die Vorspeise erscheint in Form langer, hauchdünner Scheiben vom gelierten Kopf, die auf dem warmen Teller schmelzen; darauf knackige Eierschwammerln, kurz sautierter Vogerlsalat und eine diskrete Vinaigrette – die Säure bringt dann eben der knochentrockene Mosel-Riesling ein.

Beim Beuschel ist sie dafür perfekt eingearbeitet: Beschwingt mit Gurkerl, Kapern, Zitronenschale und einem Hauch Sardelle unterfüttert badet das fein geschnittene Lüngerl im cremigen Saft. Bries wird klassisch gebacken und darf innen ein klein wenig rosa sein – so viel besser, als die auch in noblen Häusern gepflegte Unart, die Subtilinnerei vorab niederzupochieren, bis nur mehr Flummi überbleibt.

Gepökelte Rindszunge ist saftig, weich, rund im Geschmack, die Show stiehlt ihr aber der dazu servierte Rahmkohlrabi: bissfeste Würfelchen in geradlinig abgeschmeckter, abermals perfekt gesäuerter Sauce. So gut, dass man sich dran deppert essen möchte. Warum nur gibt es den kaum noch wo?

Dennoch soll Platz für die Pofesen freigehalten werden. Die haben einen dicken Löffel bester Powidl intus, hätten vor dem Herausbacken eventuell noch ein bissel länger in der Eiermilch eingeweicht gehört. Aber was soll's: Es gibt eben nur einen Roland Essl. (Severin Corti, RONDO, 10.8.2018)

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