Irgendwann stellt sich die Frage: Die alte 125er noch weiterfahren, eine neue 125er kaufen oder (falls zutreffend) doch endlich den A-Schein machen und auf etwas Größeres umsteigen? Etwa auf einen Mittelklasse-Scooter mit echtem Fahrwerk und noch besseren Fahrleistungen als zum Beispiel der allseits beliebte Bestseller Vespa GTS zu bieten hat?

Transformerkante oder Barockschwung: Rein äußerlich haben die Yamaha (li.) und die Piaggio nicht viel gemein.
gianluca wallisch

Wir möchten der geneigten Leserin und dem geneigten Leser helfen, sich die Entscheidung leichter zu machen und haben zwei heiße – und dennoch völlig unterschiedliche – Kandidatinnen miteinander verglichen und gnadenlos (aber ohne Messapparaturen) gegeneinander ausgespielt: Die spacige Yamaha X-Max 400 und die elegante Piaggio Beverly 350.

Um es kurz zu machen: Gewonnen haben beide, verloren hat niemand. Denn, und das ist ja das Schöne an der einsprurig-motorisierten Mobilität: Es kommt letztlich aufs Bauchgefühl an – und darauf, worauf man Wert lkegt. Wer nicht von Anfang an auf das eine oder das andere Design abfährt, wird im Nachhinein nicht wirklich glücklich werden.

Aber freilich haben beide Roller nicht nur Stärken, sondern auch ein paar Schwächen. Diese bügeln sie dann aber wieder durch ein fettes Plus in einem anderen Bereich aus. Aber schön der Reihe nach...

Die Yamaha hat ein G'schau wie Darth Vader, die Piaggio hingegen lächelt immer freundlich vor sich hin...
gianluca wallisch

Das Design

Man glaubt ja gar nicht, wie viele Motorräder – und vor allem Motorroller – in erster Linie nach optischen Gesichtspunkten gekauft werden (mir wurde beispielsweise verboten, etwas anderes als eine weiße Vespa GTS zu kaufen. Was mir eh recht war). Allfällige technische Mängel werden durch gnadenlosen Härteeinsatz kompensiert.

Die Yamaha gehört unverkennbar zur Kategorie jener futuristischen Scooter, unter deren Haut man irgendein Transformer-Wesen vermuten kann. Plötzlich klappen die Seitenteile nach links und rechts und werden zu schwerbewaffneten Armen und Händen, unten wachsen muskulöse Beine raus, die Sitzbank wird zum schusssicheren Panzer. Das Gesicht der X-Max schaut schon im Roller-Zustand wie Darth Vader aus. Ich bin's, dein Vater! Aggressiv, entschlossen, unverwundbar.

Die Piaggio wird eher solche FahrerInnen in den Bann ziehen, die dem Barocken zugetan sind. Die Formen dieses Rollers sind fließend, harmonisch... italienisch halt. Das einzige, was raufklappt, ist die Sitzbank und das einzige, was rausklappt, ist der Transporthaken fürs Einkaufsackerl. Würde die Vespa in der Rollerwelt nicht existieren, wäre wohl die Beverly die klassische Designikone.

Also: Trefft eure Wahl!

Die Yamaha (li.) beherbergt zwei Vollvisierhelme (sofern diese nicht gerade die Größe XXL haben) und sonstiges Kleinzeug. Bei der Piaggio muss man zwei Jethelme schon sehr sorgfältig platzieren, wenn man den Deckel zukriegen will.
gianluca wallisch

Wie praktisch sind sie?

Design ist ja nur das Eine, das Andere sind in der Rollerwelt die praktischen Qualitäten – und derer haben beide Königinnen der Rush Hour genug, aber in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung.

Was den "Kofferraum" betrifft: Die Yamaha ist da unschlagbar. Punkt. Unter der Sitzbank haben zwei Vollvisierhelme Platz (sofern sie nicht Größe XXL aufweisen, bitte vor Ort ausprobieren), außerdem noch ein Tascherl mit Handy oder Tablet oder sonst etwas Flachem.

Die Beverly hat hier eindeutig das Nachsehen. Nur mit gewieftem Schlichten kriegt man zwei Jethelme Größe L und M rein. Integralhelm? Fehlanzeige. Das ist natürlich ein funktioneller Nachteil – andererseits darf die Frage gestattet sein: Wer fährt in der Stadt schon gewohnheitsmäßig am Roller IMMER mit Integralhelm? Ist der Jethelm nicht eh die gängige (wenngleich unterlegene) Schutzvorrichtung fürs Kopferl?

Hier setzt sich also die Japanerin gegen die Italienerin durch – allerdings mit einem für ÄsthetInnen schwer akzeptierbaren Aspekt: Das Heck der Yamaha ist – diesem riesigen Helmfach geschuldet – eher wuchtig geraten. Sehr wuchtig sogar. Und auch die Sitzbank fällt um Einiges breiter aus, was für FahrerInnen mit kürzeren Beinen zu Problemen mit der Bodenhaftung im Stand führen kann.

Analog und digital, zwei Mal völlig unterschiedlich interpretiert. Links die Beverly, rechts die X-Max, die über zahlreiche Sub-Menüs verfügt.
gianluca wallisch

Die Fahrleistungen

Beide Roller haben mehr als genug Power: 24,5 kW (~ 33,31 PS, Yamaha) und 22,2 kW (~ 30,2 PS, Piaggio) reichen locker, um nicht nur beim Ampelstart jede und jeden zu vernichten, der/die nicht gerade einen ordentlichen E-Motor bedient, sondern auch, wenn es darum geht, auf der Stadtautobahn bei 100 km/h noch ganz schnell die Spur zu wechseln, um in eine Lücke zu huschen. "Tangentenkompetenz" also bei beiden 100 von 100 Punkten.

Obwohl sich die Motoren eher marginal in ihrer Spitzenleistung unterscheiden, fühlen und fahren sie sich doch sehr unterschiedlich. Während die Yamaha ihren Peak schon bei 7.000 Umdrehungen hat, muss man den Piaggio-Murl schon auf 8.250 Touren jagen. Subjektiv hat man den Eindruck, als sei die X-Max der Beverly weit überlegen, dafür spricht auch das maximale Drehmoment von 36 (Yamaha) zu 29 (Piaggio) Newtonmeter.

Die Bereifung von Michelin ist Erstausrüster-Standard auf vielen Rollern und tadellos. Die Yamaha (links) bremst famos mit zwei Scheiben, aber auch die Piaggio verzögert ordnungsgemäß.
gianluca wallisch

Andererseits ist die Piaggio um einiges leichtfüßiger im unteren Geschwindigkeitsbereich, da rächen sich die Mehr-Kilos der Yamaha. Dafür fährt die Japanerin der Italienerin ab ca. 120 km/h auf und davon. Aber: Braucht man das auf einem Roller wirklich? Ja. Vor allem dann, wenn dieser Roller ein möglichst vollwertiger Motorrad-Ersatz für Überlandfahrten sein soll. Aber im urbanen Raum ohne leere Autobahnen und Landstraßen: Unentschieden.

Was die Bremserei betrifft, so kann man sich bei beiden blind darauf verlassen, dass sie tun, was zu tun ist. Bei der Yamaha ist die Verzögerung wegen zweier Bremsscheiben geradezu sensationell, und bei der Piaggio ist sie immer noch sehr, sehr gut.

Von hinten bedeutet Barock in diesem Fall Schlankheit (Piaggio), Futurismus hingegen Fülle (Yamaha).
gianluca wallisch

Fahren in der City

Da der Haupteinsatzzweck von Motorrollern nicht wirklich die Vollbremsung am Ende einer Lkw-Kolonne ist, strömen wir also in die Innenstadt und vergleichen die beiden dort. Wenn man nur den einen Scooter kennt oder schon an ihn gewöhnt ist, wird man sowohl mit der Yamaha als auch mit der Piaggio glücklich werden.

Doch im direkten Vergleich machen sich schon große Unterschiede auf: Die Piaggio ist (etwas) leichter und leichtfüßiger. Das macht sie zur Königin in der City. Das wird nicht zuletzt durch die Sitzposition deutlich gemacht.

Auf der Beverly sitzt man ähnlich wie auf einer Vespa – egal, ob alter oder neuer Bauart: Der Lenker ist sehr nahe und eher niedrig-flach-gerade. Man sitzt eher aufrecht, sogar ein wenig nach vorne gebeugt, man hat das Gefühl, sehr "vorderradorientiert" unterwegs zu sein. Und das ist gut nicht nur bei einer wendigen Supermoto, sondern auch bei einem ultrawendigen urbanen Scooter. Dazu kommt noch die vorne eher schmal gehaltene Sitzbank, diese erleichtert es, mit beiden Beinen gleichzeitig zum Boden zu kommen.

Jedem sein Goodie: Die Yamaha (links) glänzt mit einer Handbremse, bei der der Roller beim Parken nicht davonrollen kann. Die Piaggio hingegen setzt auf den Transporthaken, den man in Japan vergeblich sucht.
gianluca wallisch

Die X-Max 400 setzt auf ein anderes ergonomisches Konzept, das sich vorderhand etwas komfortabler anfühlt: Man sitzt leicht nach hinten gelehnt, die Arme entspannt nach vorne ausgestreckt zum vergleichsweise hohen und stärker gekröpften Lenker. Diese Sitzposition fördert vielleicht nicht im gleichen Maße das agile, aktive Fahren wie auf der Piaggio, bleibt aber dennoch sehr fein.

Im freien Geläuf liegt die Yamaha sehr souverän (für Roller-Begriffe) in den Kurven, die ihrer Vorliebe gemäß eher größere Radien haben. Die engeren Kurven gehören wieder mehr der Piaggio.

Sonstige Gimmicks

Um die Entscheidung dann ganz besonders schwer zu machen, wenden wir uns einigen Details zu, die die beiden Scooter funktionell oder zumindest atmosphärisch unterscheiden: Während die Yamaha mit einem Stauraum protzt, der absoluter Klassensieger sein dürfte, fällt bei ihr das Fehlen eines Transporthakens auf – zumindest der eingefleische Vespista wird länger danach suchen. Erfolglos.

Die Piaggio hat einen solchen sehr wohl an der Schürze vorne neben dem Zündschloss – und man möchte ihn – Stauraum hin oder her – eigentlich nicht missen. Manchmal muss das Einkaufsackerl einfach hängen, manchmal kann man es nicht legen. Punkt. Das mag zwar ein unwesentlicher Punkt sein, sollte aber ausgesprochen werden. So.

Letztlich bleibt die Entscheidung pro/contra Yamaha oder Piaggio eine emotionale. Gut so.
gianluca wallisch

Dass hingegen Yahama an eine Handbremse gedacht hat, kann man den Entwicklern in Hamamatsu nicht hoch genug anrechnen. Vielleicht bin ich ein traumatisierter Einzelfall, aber wer einmal seine nur Minuten zuvor nachlässigerweise am Seitenständer abgestellte Vespa deformiert am Boden liegen sieht, wird mich verstehen: Eine Handbremse stabilisiert das Dreieck Ständer-Vorderreifen-Hinterreifen ganz ungemein, egal ob es eben oder abschüssig ist. Die Idee ist so überzeugend, dass man sich fragt, warum das nicht alle Hersteller von Variomatik-Rollern so machen. Stehen bleiben, Handbremse anziehen, Ständer raus. Fertig. Da rollt nix, da kippt nix.

Fazit

Das Fazit zur Geschichte stand schon an ihrem Anfang: Niemand hat gewonnen, niemand hat verloren. Die Unterschiede sind gar nicht so groß, wie das Design der beiden Scooter vermuten lassen würde. Stärken und Schwächen sind gut verteilt. Es wird jede und jeder Umsteigewillige selber herausfinden müssen, was wichtig und was nice to have ist.

Und kommt man noch immer nicht zu einem Ergebnis, kann auch ein Blick in die Preisliste helfen: So hochpreisig der Piaggio-Konzern bei der Vespa ist, so moderat rechnet er bei der größeren und stärkeren Beverly, die mit knapp sechs Tausendern angepriesen wird. Die Yamaha liegt um fast 1.600 Euro höher. Ob der Mehrpreis allein durch Motor- und Bremskraft sowie durch Stauraum zu rechtfertigen ist, muss jede/r selbst entscheiden. (Gianluca Wallisch, 2.9.2018)

Yamaha X-Max 400

Motor: 1-Zylinder-Motor, 4-Takt, flüssigkeitsgekühlt
Hubraum: 395 ccm
Leistung: 24,5 kW (~ 33,31 PS) bei 7,000 U/min
Drehmoment: 36,0 Nm bei 6.000 U/min
Startsystem: Elektrisch
Getriebe: Variomatik
Benzinverbrauch: 4,2 l/100km
CO2 Emission: 96 g/km – Euro 4
Höchstgeschwindigkeit: ca. 170 km/h

Federung vorne: Telegabel, 110 mm
Federung hinten: Triebsatzschwinge, 107 mm
Bremse vorne: 2 Scheiben, Ø 267 mm, ABS
Bremse hinten: 1 Scheibe, Ø 267 mm, ABS
Reifen vorne: 120/70-15
Reifen hinten: 150/70-13

Länge/Breite/Höhe: 2.185 mm / 766 mm / 1.415-1.465 mm (höhenverstellbares Windshield)
Sitzhöhe: 800 mm
Radstand: 1.567 mm
Gewicht: 210 kg
Tankinhalt: 13 Liter

Preis ab 7.599,- Euro

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Piaggio Beverly 350

Motor: 1-Zylinder 4-Takt, flüssigkeitsgekühlt
Hubraum: 330 ccm
Leistung: 22,2 kW (~ 30,2 PS) bei 8.250 U/min
Drehmoment: 29 Nm bei 6.250 U/min
Startsystem: Elektrisch
Getriebe: Variomatik
Benzinverbrauch:
CO2 Emission: 85 g/km – Euro 4
Höchstgeschwindigkeit: ca. 140 km/h

Federung vorne: Telegabel, 90 mm
Federung hinten: Triebsatzschwinge, 81 mm
Bremse vorne: 1 Scheibe, Ø 300 mm, ABS
Bremse hinten: 1 Scheibe Ø 240 mm, ABS
Reifen vorne: 110/70-16
Reifen hinten: 150/70-14

Länge/Breite/Höhe: 2.190 mm / 780 mm / 1.210 mm
Sitzhöhe:795 mm
Radstand: 1.560 mm
Eigengewicht: 191 kg
Tankinhalt: 12,5 Liter

Preis ab 5.999,- Euro

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