Zellwachstum und -differenzierung, aber auch die Freisetzung und Wirkung von Hormonen wie Insulin hängen wesentlich von Lipiden ab. Lipide sind kleine fettähnliche Moleküle. Sie dienen als Bausteine zellumhüllender Membranen und auch als molekulare Schalter in Signalkaskaden. Solche Kaskaden sind entscheidend beteiligt an der Steuerung des Zellwachstums und der Zellteilung, aber auch an Differenzierungsprozessen wie der Angiogenese, also der Bildung neuer Blutgefäße.

Sind Signalkaskaden gestört, können Krankheiten wie Krebs oder Stoffwechselstörungen wie Fettleibigkeit und Diabetes daraus resultieren. Gelingt es, Enzyme zu beeinflussen, die in Zellen Signallipide produzieren, kann dies als möglicher Ausgangspunkt zur Behandlung dieser Krankheiten fungieren.

Bei Zellteilung ansetzen

Genau hier hat das Team um Volker Haucke vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) angesetzt: Langjährige Detailarbeit ermöglichte es, die Lipidkinase PI3KC2A zu exprimieren, zu reinigen und das Enzym schließlich im Detail zu untersuchen. Die PI3KC2A Kinase ist ein Enzym, das entscheidende Funktionen bei der Zellteilung ausübt , an der Freisetzung von und Signalweiterleitung durch Insulin sowie an der Bildung neuer Blutgefäße beteiligt ist.

Zusammen mit Oscar Vadas von der Universität Genf konnte das FMP-Team durch strukturbiologische und zellbiologische Methoden zeigen, dass die PI3KC2A im Zytoplasma von Zellen zunächst in einer inaktiven, sich selbst hemmenden Form vorliegt. Signale von außen können die Kinase aktivieren, wenn diese zur Zellmembran transportiert wird.

Solche Signalkaskaden werden initiiert, indem Proteinliganden wie Insulin oder Wachstumsfaktoren an Rezeptoren in der Zellmembran andocken. Durch das Andocken der Liganden an die Rezeptoren werden diese aktiviert und leiten Signale in das Innere der Zelle weiter. Während dieses Weiterleitungsprozesses stülpt sich die Zellmembran nach innen, und bildet Vesikel, welche die aktivierten membranständigen Rezeptoren in das Zytoplasma transportieren. Lipidkinasen wie die PI3KC2A sind an der Vesikelbildung und der Signalweiterleitung im Inneren der Zelle beteiligt.

Kugel und Arme

Das Forscherteam konnte nun erstmals beobachten, wie PI3KC2A vom inaktiven in einen aktiven Zustand übergeht. "Die Kinase ist im inaktiven Zustand eingekugelt, etwa so, als hätte man beide Arme um die Knie geschlungen. Wenn zwei bestimmte Bausteine der Zellmembran zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind, können sie die Kinase aktivieren – sie klappt sich auf und bindet mit ihren ‚Armen‘ an je einen der beiden Bausteine", beschreibt Vadas diesen Mechanismus.

Die Aktivierung führt dazu, dass die Kinase binnen Sekunden zahlreiche Signallipid-Moleküle herstellt. Diese wiederum steuern die Aufnahme aktivierter Signalrezeptoren in die Zelle und regulieren so Prozesse wie Zellteilung und Differenzierung. Die Befunde haben große Bedeutung für die Grundlagenforschung, denn Wissenschafter konnte erstmals zeigen, wie einer der zentralen zellulären Prozesse – die Aufnahme von Rezeptoren – molekular abläuft.

Darüber hinaus stellen die Arbeiten einen wichtigen Schritt hin zur pharmakologischen Manipulation der PI3KC2A und verwandter Signallipid-produzierender Enzyme dar. "Wir halten erstmals einen Mechanismus in Händen, der es uns ermöglichen könnte, die Aktivität der Lipidkinase zu ändern. Dies kann uns möglicherweise einen direkten Angriffspunkt für Therapien bieten", betont Volker Haucke.

Kleine Moleküle ins Rennen schicken

So könnten beispielsweise kleine Moleküle, welche die Aktivität der PI3KC2A blockieren, als Wirkstoffe für die Behandlung von Tumoren dienen, die in ihrem Wachstum maßgeblich von der Versorgung mit Nährstoffen und somit von der Bildung neuer Blutgefäße abhängen. Dieser Prozess sollte – das legen Studien an Mäusen nahe – zum Erliegen kommen, wenn die PI3KC2A Aktivität pharmakologisch gehemmt wird.

Die Suche nach solchen Wirkstoffen haben die Berliner Forscher nun aufgenommen."Wir haben einen neuen, viel versprechenden Angriffspunkt gefunden und setzen nun alles daran dessen therapeutisches Potenzial auszuloten", verspricht Volker Haucke mit Blick auf die gestartete Wirkstoffsuche. (red, 15.8.2018)