Wenn die Wirkung verpufft: Es gibt krankmachende Keime, gegen die kein Antibiotikum mehr ankommt. Neue Wirkmechanismen werden kaum gesucht.

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Die Spezies Mensch lebt im Wettstreit mit Bakterien. Es gibt rund 20 Millionen Mikroorganismen auf der Welt. Der Mensch ist nicht nur davon umgeben, sondern auch im Körper findet eine ständige Regulierung statt.

1928 hat der Biologe Alexander Fleming durch Zufall einen Stoff entdeckt, der krankmachende Keime umbringen kann. Penicillin ist seit den 1940er-Jahren im Einsatz. Heute gibt es 19 unterschiedliche Antibiotika am Markt. Durch den massiven Einsatz von Antibiotika – auch in der Massentierhaltung, von der das Fleisch in die Nahrungskette und damit in den Bauch des Menschen gelangt – haben die Bakterien als lebendige Mikroorganismen gelernt, sich gegen Antibiotika zur Wehr zu setzen. Resistenz ist der medizinische Fachbegriff dafür.

Krankenhaus als Umschlagplatz

Vor allem gramnegative Staphylokokken, die sogenannten Krankenhauskeime, sind ein massives Problem. In der EU kommt es pro Jahr zu 25.000 Todesfällen, weltweit sterben jährlich 700.000 Menschen an multiresistenten Keimen. Geschätzte Todesfälle weltweit pro Jahr ab 2050, wenn die Entwicklung von neuen Antibiotika ausbleibt: 10.000.000.

Trotz der immer lauteren Warnungen vor Antibiotika-Resistenzen steigt der Verbrauch dramatisch. Laut dem US-Forschungszentrum Center for Disease Dynamics, Economics & Policy (CDDEP) werden 34,8 Milliarden Dosen täglich verbraucht, der Einsatz ist vor allem in ärmeren oder aufstrebenden Ländern massiv gestiegen, im Jahr 2000 waren es 21,1 Milliarden. Das ist eine Steigerung von 65 Prozent.

Der durchschnittliche tägliche Verbrauch pro 1.000 Menschen stieg um 39 Prozent von 11,3 auf 15. Laut dem Gesundheitsministerium wurden 2016 in Österreich 71,6 Tonnen Wirksubstanz verschrieben, 67 Prozent davon im niedergelassenen Bereich. Zusätzlich wurden 44,4 Tonnen Antibiotika für den Einsatz in der Veterinärmedizin und insofern für die Massentierhaltung verkauft.

Die großen Missverständnisse

Laut Weltgesundheitsorganisation sind 50 Prozent aller Antibiotika-Verschreibungen weltweit nicht korrekt. Einer deutschen Umfrage zufolge wissen 58 Prozent nicht, dass Antibiotika nur bei bakteriellen Infektionen und nicht gegen Viren helfen. 28 Prozent glauben nicht, dass die Therapie bei vorzeitigem Abbruch unwirksam sein kann, 26 Prozent haben angebrochene Antibiotika-Packungen aus früheren Behandlungen im Medizinschrank. Zudem ist die Verschreibungspraxis der Ärzte verbesserungswürdig: Zwischen 50 und 75 Prozent aller Patienten mit einfachen viralen Erkältungserkrankungen werden in Deutschland mit Antibiotika behandelt.

Eine Antibiotika-Abgabe ohne Rezept ist in EU-Staaten verboten. Eine niederländische Studie ergab jedoch, dass in Rumänien 20 Prozent ohne Rezept verkauft werden, in Griechenland 16 Prozent, in Zypern zehn Prozent, in Ungarn und Spanien jeweils acht Prozent, in Estland sechs Prozent und in Italien vier Prozent. Durch den unkritischen Einsatz steigen die Resistenzen gegen Antibiotika – besonders stark in jenen Ländern, in denen überdurchschnittlich viele Antibiotika verschrieben werden. Das sind die Türkei, Tunesien, Algerien und Rumänien.

Suche nach neuen Strategien

Dringend notwendig wären Konzepte zur Neuentwicklung von Antibiotika. Derzeit gibt es 19 unterschiedliche Antibiotika auf dem Markt, die jedoch sukzessive ihre Wirkung verlieren. Doch die Entwicklung neuer Wirkstoffe vor allem gegen die multiresistenten, gramnegativen Bakterien ist rar, da sie wirtschaftlich betrachtet kein Erfolg sein kann. Die Entwicklung wirklich neuer Antibiotika dauert zehn bis 15 Jahre, und auch dann dürften diese neuen Wirkstoffe nur sehr selten und nur im Notfall wieder zum Einsatz kommen – andernfalls würden auch sie bald ihre Wirkung verlieren.

Aufgrund der Komplexität dieses Unterfangens und der fehlenden ökonomischen Attraktivität haben sich viele Pharmafirmen aus diesem Geschäftsbereich zurückgezogen. Die wachsende Gefahr der Antibiotika-Resistenzen hat die Medikamentenentwicklung mit öffentlichen Mitteln wieder ins Zentrum gerückt. Daran sollte die EU möglichst arbeiten. (Karin Pollack, 19.8.2018)