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Kritik an der polnischen Justizreform kommt nicht nur aus der Europäischen Union. Auch in Polen selbst ist sie heftig umstritten, vor allem in der Hauptstadt Warschau gibt es immer wieder Proteste.

Foto: REUTERS/Kacper Pempel

Den Anfang machte 2015 ein Streit um das Verfassungsgericht. Seither kommt die Debatte um die Justizreform der nationalkonservativen Regierung in Polen nicht zur Ruhe. Brüssel hat aus Sorge um den Rechtsstaat sogar ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags eingeleitet, das bis zum Entzug der Stimmrechte führen könnte. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt Polens Außenminister Jacek Czaputowicz, warum die Kritik seiner Ansicht nach ins Leere zielt – und wünscht sich eine starke EU.

STANDARD: Die Europäische Kommission befürchtet, dass Polen mit seiner Justizreform die Gewaltenteilung untergräbt, und hat deshalb ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Warschau eingeleitet. Wie stehen Sie zu diesen Bedenken?

Czaputowicz: Wir sind offen für den Dialog. Einige Punkte der Reform, die als unvereinbar mit den EU-Regeln beanstandet wurden, haben wir bereits geändert. Die Europäische Kommission sagt jetzt, dass ihr das nicht reicht. Wir haben der Bevölkerung im Wahlkampf aber versprochen, unser Justizsystem zu reformieren, es effizienter und unabhängiger zu machen. Deshalb wollen wir die Reform weiter fortsetzen.

STANDARD: Die Opposition und die Kritiker in Europa werfen der Regierung in Warschau aber genau das Gegenteil vor, nämlich die Politisierung der Justiz.

Czaputowicz: Wir haben ein Weißbuch präsentiert, in dem wir unsere Reform erklärt und auf ähnliche Lösungen in anderen EU-Staaten hingewiesen haben. Zum Beispiel werden die Mitglieder des Landesjustizrats (Gremium, das Richter vorschlägt, Anm.) auf die gleiche Weise ernannt wie in Spanien. In einigen anderen Ländern kommt es vor, dass die Richter von der Exekutive gewählt werden, dort ist die Auswahl der Richter stärker politisiert als in Polen. Die Europäische Kommission misst mit zweierlei Maß.

STANDARD: Das jüngste Kapitel im Streit um die Gewaltenteilung betrifft die Besetzung des Obersten Gerichts. Auch hier wird der Regierung politische Umfärbung vorgeworfen.

Czaputowicz: Dabei geht es in diesem Fall nur um das Pensionsalter für Höchstrichter. Es lag zuvor bei 70 Jahren, nun hat das Parlament beschlossen, es auf 65 Jahre zu senken – genau wie bei anderen Berufen, und auch wie bei anderen Richtern. Die Europäische Kommission ist der Ansicht, dass dadurch die Unabhängigkeit des Obersten Gerichts gefährdet wird. Unserer Meinung nach konnte sie aber auch nicht erklären, wo hier der Zusammenhang besteht.

STANDARD: Die scheidenden Richter müssen ja nachbesetzt werden, zudem sollen im Obersten Gericht zwei neue Geschäftsbereiche entstehen. Die Sorge ist, dass die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit ihrer absoluten Mehrheit am Ende zu viel Einfluss auf die Besetzung des Höchstgerichts hat.

Czaputowicz: Die neuen Höchstrichter werden aber nicht von der PiS nominiert. Es ist ja nicht die Partei, die hier Einfluss nimmt, sondern das Parlament. Ja, es stimmt, das Parlament ist beteiligt an der Entscheidung, wer im Landesjustizrat sitzt. Aber die Mitglieder des Verfassungsgerichts werden auf dieselbe Weise gewählt. Man kann doch nicht sagen, dass unter den früher Regierenden alles okay war, das jetzige Parlament aber die Gesellschaft nicht mehr repräsentiert.

STANDARD: Auch Małgorzata Gersdorf, die Präsidentin des Obersten Gerichts, wehrt sich gegen ihre Pensionierung. Hat sie nicht recht, wenn sie sich auf ihre sechsjährige Amtszeit beruft, wie die Verfassung sie vorsieht?

Czaputowicz: Die Verfassung sagt aber auch, dass das Pensionsalter vom Parlament bestimmt wird, und das Parlament hat das Pensionsantrittsalter auf 65 Jahre gesenkt. Frau Gersdorf ist älter.

STANDARD: Ich bin kein Jurist, aber das Pensionsalter wurde durch ein normales Gesetz beschlossen. Hat da die Länge der Amtszeit laut Verfassung nicht einen höheren Stellenwert?

Czaputowicz: Ein pensionierter Richter darf nicht das Amt des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes bekleiden. Frau Gersdorf hätte um Verlängerung ihres Amts ansuchen können.

STANDARD: Sie hat das angeblich deshalb nicht getan, weil sie dadurch das Gesetz und ihre Pensionierung indirekt anerkannt hätte.

Czaputowicz: Aber sollten solche Leute Richter sein, wenn sie das Recht des Parlaments, Gesetze zu beschließen, infrage stellen? Das zeigt doch, wie politisiert sie sind. Was ist falsch daran, wenn das Parlament Gesetze erlässt? Ein solches Vorgehen soll dem System die Legitimität absprechen. Diese Leute sind gegen die Regierung, und das wollen sie auch demonstrieren. Das ist aber nicht die Rolle, die unabhängige Richter spielen sollten.

STANDARD: Welche Erwartungen haben Sie an die derzeitige EU-Ratspräsidentschaft Österreichs?

Czaputowicz: Es gibt viele Herausforderungen: Sicherheitspolitik, Kampf gegen Asylmissbrauch, Sicherung der Außengrenzen. In Polen legen wir auch großen Wert auf die vier Grundfreiheiten in der EU, also den freien Verkehr von Personen, Waren, Kapital und Dienstleistungen. Wir sehen außerdem das Potenzial, mit Österreich beim Engagement in der Nachbarschaft zusammenzuarbeiten, etwa am Westbalkan.

STANDARD: Gibt es auch strittige Punkte? Wie steht es etwa um die Verhandlungen über das künftige EU-Budget, wo Österreich ja für mehr Sparsamkeit wirbt?

Czaputowicz: Polen ist für eine starke Kohäsionspolitik und eine gemeinsame Landwirtschaftspolitik. Daher sind wir gegen substantielle Reduktionen in diesen Bereichen. Wir sind keine EU-Skeptiker, sondern für eine starke und effektive Union. Wenn man ambitionierte Ideen über die Rolle Europas in der Welt hat, dann sollte das auch im Budget Niederschlag finden. Ein wichtiger Punkt ist auch (die aus Russland nach Europa führende Gaspipeline, Anm.) North Stream 2. Wir sind gegen das Projekt, weil es nicht zur Diversifizierung der Energiequellen beiträgt. Außerdem vergrößert es den geopolitischen Einfluss Russlands. Das ist gegen unsere Sicherheitsinteressen.

STANDARD: Sie haben auch die Migration angesprochen. Die Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU, die von Polen und anderen osteuropäischen Mitgliedsländern heftig kritisiert wurden, sind derzeit vom Tisch. Was kann Polen nun in der Flüchtlingspolitik tun?

Czaputowicz: Polen ist für einen stärkeren Schutz der EU-Außengrenzen. Wir haben selbst Außengrenzen, mit Russland, Weißrussland und der Ukraine. Was die Migration übers Mittelmeer betrifft: Wir beteiligen uns an der Operation Sophia, um unsere Solidarität zu zeigen und um gegen illegale Migration und Menschenhandel zu kämpfen. Und wir sollten in Afrika investieren, um den Lebensstandard der Menschen vor Ort zu erhöhen. Dasselbe gilt für Syrien. Viele Polen beteiligen sich an der Unterstützung für Familien in Aleppo. Gleichzeitig sind mehr als eine Millionen Migranten aus der Ukraine in Polen, viele aus den Kriegsgebieten im Donbass. Auch das sind Flüchtlinge. Wir sind also ebenfalls von Migration betroffen, und wir weisen die Kritik zurück, dass wir dabei keine Empathie zeigen. (Gerald Schubert, 10.8.2018)