Es ist nicht so, dass wir fröhliche Jagdgesellschaft Paul Bistes Ich bin ein freier Wildbretschütz im Chor singen, als wir im Kleinwagen unseres Jägers Alexander Roelants zu dritt samt Münsterländer Jagdhund Emiel hinten im Kofferraum aus der Stadt hinausfahren. Dazu noch mit den zwei Jagdgewehren, den zwei Ferngläsern, einem Schemel, den wir für den Hochsitz brauchen, und einem "Handgerät Moskitoabwehr Olivgrün". Plus sechs Flaschen Wasser gegen den Durst während der Jagd.

"Ich bin ein freier Wildbretschütz und hab ein Jagdrevier", ginge der Text des Liedes von seinem Album Waldeslust – die 20 schönsten Wald- und Heidelieder, "so weit die braune Heide reicht, gehört das Jagen mir." In anderen seiner Lieder ist die Heide grün, der Forst wild und der Wald tief. Der Mann hat übrigens auch Die 60 schönsten Trinklieder aufgenommen, und vielleicht singen wir während der Rückfahrt "Auf und nieder, immer wieder", wenn wir zum übrigen Gepäck dazu noch ein "Stück" mit im Auto haben. So versachlicht wird nämlich in der Jägersprache ein erlegtes Schalenwild (Rehwild, Rotwild, Schwarzwild ...) bezeichnet, und genau so eines wollen wir heute schießen.

Vom Großstadtdschungel ins Jagdrevier: Den Hochsitz erklettern wir mit Sack und Pack, zum Schluss trägt der Jäger noch seinen Hund hinauf.
Christian Fischer

Die Sehnsucht nach Stärke

Während ein Teil Europas händeringend nach Antworten sucht auf die Frage, wie man das Zivilisierte, das Aufgeklärte, die Menschen-, Minderheiten- oder Frauenrechte in die neuen Zeiten hinüberretten könnte, posiert einer wie Putin gerne mit Knarre in der Hand und nacktem Oberkörper als wilder Jäger, dabei lacht er über fehlende Stärke, die er bei uns Europäern auszumachen glaubt. Seine Hooligans wiederum jammern vor der Fußball-WM selbstmitleidig darüber, dass sie als Männer früher "Jäger und Versorger" sein konnten, ihnen aber heute ein wenig der Sinn im Leben fehlt wegen der Fertignahrung im Supermarktregal.

Das kann man bescheuert und peinlich finden, aber auch im eigenen schönen Land erlebt die Sehnsucht nach Stärke, nach Traditionen und Werten eine teils seltsame, teils auch verständliche Renaissance. Bücher über "die Natur" und "den Wald" fluten den Markt und neuerdings eben auch Bücher über "die Jagd". Und in verlässlich jedem wird darauf hingewiesen, wie weit sich der zivilisierte Mensch von allem, was Natur ist, entfremdet hat.

Sinnbildlich für diese Entfremdung steht unser Umgang mit Fleisch: Wenn wir im Supermarkt in das Regal mit abgepackter Wurst hineingreifen, dann denken wir dabei gar nicht mehr daran, dass "das Produkt" zuvor als Tier gelebt hat und getötet werden musste, meist im Schlachthof nach einem recht elenden Leben. Davon will man entweder einfach nichts wissen, oder man weiß es und verzichtet deswegen überhaupt auf Fleisch.

Für Alexander (hier mit Emiel) ist Jagen nicht mit "Spaß" verbunden. Das wäre ein Klischee der Jagdgegner. "Erfolgserlebnis" nennt er es schon, wenn er ein Stück erlegt.
Christian Fischer

Fleisch schmeckt ihm nun einmal

Unser Jäger Alexander könnte mit seinem gepflegten Bart auch als Hipster in einem Vegetarierbezirk durchgehen, aber Fleisch schmeckt ihm nun einmal, und darum geht er auf die Jagd. Zum verabredeten Jagdausflug trägt er klassisch eine Lederhose ("Nein, die ist nicht von meinem Großvater, die ist einfach schon so speckig!"), ein kariertes Hemd sowie einen grünen Jagdhut: Nicht den schlapp-zerknautschten, den die Tiroler so gerne tragen, sondern den härteren mit Krempe. Gamsbart hat er keinen dran, denn der wäre "eine irrsinnige Arbeit", sagt er. Für diese Art von Trophäe müsse man ziemliche viele Gämsen schießen. Würde Donald Trump einen Jägerhut tragen, dann hätte er sicher einen größeren Gamsbart drauf als Kim Jong-un (falls der auch einen tragen würde). Denn darum geht es dabei.

Die Freude an der Jagd hat der 28-jährige Alexander vermutlich von seinem holländischen Großvater geerbt, zusammen mit den zwei Langwaffen – einer Browning B25 im Kaliber 20 aus dem Jahre 1949 und einer selbstgebauten Büchse. Der Herkunft des Großvaters die Ehre gebend, schreibt sich der Name seines Hundes Emiel ganz niederländisch mit langem ie. Münsterländer sind gute Vorstehhunde, sagt Alexander. Zum Vorstehhund, sagt der Jäger – wie einst Jörg Haider zu Susanne Riess-Passer: "Voran!" Und wenn er dann irgendwo ein Tier entdeckt, im Gebüsch, im Schilf, dann bleibt er davor stehen und weist dem Jäger die Richtung. Die entsprechende jagdliche Ausbildung steht dem sechs Monate alten Emiel allerdings noch bevor.

"Jagen heißt ja nicht schießen"

Zusammen mit zwei Freunden hat Alexander eine stattliche 400-Hektar-Jagd bei Oggau im Burgenland gepachtet, inklusive drei Kilometer breiten Schilfgürtels und fünf Hochsitzen. Die Jagd gehört den Esterházys. Natürlich könnte er auch in fremden Revieren jeweils auf "Stücke" gehen und dafür bezahlen, aber "in den eigenen vier Wänden", sagt er, gefällt es ihm besser. "Jagen heißt ja nicht schießen." Ihm gefällt auch alles andere drumherum: das Pirschen, die Hege, die Pflege, die Natur, die Ruhe, das Gehen.

Von Wien aus fahren wir fünfzig Minuten auf der A2 Richtung Eisenstadt, nachdem wir zuvor in der Stadt noch beobachtet haben, wie ein Autofahrer einen jungen Radfahrer abschießt – Großstadtdschungel. Im Auto erzählt Alexander: Gestern war er allein draußen in seinem Revier, vorgestern auch. Und vor drei Tagen war er mit einer befreundeten Jägerin samt Emiel auf dem Hochsitz, sie hat einen "Überläufer" erlegt, eine Wildsau im zweiten Lebensjahr. Ob er dabei mit Paul Biste sang: "Doch weiß ich ein fein's Mägdelein, auf das ich lieber pirsch, viel lieber als auf Haselhuh, auf Rehbock oder Hirsch"? Alexander verrät es nicht.

Beim Essen fließe dann die Erinnerung an die Jagd ein, an den Schuss, an den Respekt vor dem Stück, sagt der Jäger.
Christian Fischer

Gelsen verstecken sich nicht

Kaum hat er den Wagen zwischen ein paar Büschen in seinem Revier geparkt, kaum haben wir alles geschultert, was wir für die 200 Meter Wanderung zum Hochsitz brauchen, springt uns ein junger Bock ("Ein Jahrling", sagt Alexander sofort mit ruhiger Kennerstimme) ab hinein ins Schilf, das hier am Seegürtel "mannshoch" steht, wie er uns erklärt. Dieser Bock wär's schon gewesen, ärgert sich Alexander ein wenig, ein prächtiges Tier, das aber natürlich auch nicht darauf gewartet hat, von ihm erlegt zu werden. Außerdem merke ich alter Obelix-Fan an, dass ich von ihm lieber eine Wildsau geschossen haben möchte. Die dürfen sie hier ganzjährig jagen, weil es so viele von ihnen gibt und der Preis auch wegen der afrikanischen Schweinepest auf teilweise zehn Cent pro Kilo gefallen ist.

Ich wuchs neben einem Bauern auf, der das, was die Sterneköche heute "nose to tail" nennen, selbstverständlich praktizierte: Die fette Sau lebte glücklich im Kobel, wo sie mit feinstem "Quascht", wie der Saufraß hieß, gefüttert wurde, bevor der Bauer – wir reden von den 70er-Jahren – sie mit dem Schlögel ausknockte. Anschließend wurde ihr das Messer in den Hals gestochen, und sie blutete aus. Wir Kinder haarten sie im Sautrog, mit Schöpflöffeln aus der Küche, den Geruch versengter Schweineborsten habe ich noch heute in der Nase, ich mochte ihn sehr. Die Sau wurde an die Haken gehängt und zerlegt, bis zur Blutwurstfertigung waren wir bei allem dabei, wir wussten also, woher das Fleisch auf dem Teller kam.

Eine Freundin, die Vegetarierin ist oder die Jagd ablehnt, kann sich Alexander nur schwer vorstellen. Bei einer ehemaligen Freundin ging ihm allerdings auf die Nerven, wie sorglos und selbstverständlich sie alle Insekten um sich herum erschlug.
Christian Fischer

Vorsicht mit Wildschweinen!

Aber Vorsicht mit Wildschweinen! Alexander erzählt, während er die Waffe mit Kaliber-.30-06-Munition lädt, sichert und sie anschließend mit der Mündung nach oben um seine Schulter hängt, von einem Freund, der von einem 120 Kilo schweren Keiler angegangen wurde, mit seinen mächtigen Hauern riß er ihm die Schlagadern an den Oberschenkeln auf. Plötzlich hoffe ich, dass die Schweine alle im Schilf bleiben bei den Rehen und Enten und allem anderen Getier, das dort gut geschützt nichts hört und sieht von uns, weil das Schilf so hoch und dicht steht, und wir nichts von ihm. Erst nächste Woche dürfe er Schneisen hineinmähen, sagt Alexander, was ihm die Jagd wesentlich erleichtern wird.

Die Gelsen hingegen verstecken sich nicht im Schilf. Wenn man die Viecher länger nicht mehr getroffen hat, dann hat man beinahe vergessen, was für eine unglaubliche Plage sie sind: Auf mir sitzen sie sogar paarig! Und Emiel wälzt sich im Gras oder im Schilf hin und her, wann und wo immer er kann. Am Himmel sehen wir derweil Störche, Reiher, Kiebitze und Stare in durchaus ansehnlichen Formationen – nicht das, was man vom Himmel über Rom kennt, aber schon auch beeindruckend.

Einmal Gans, dreimal Schnepfen

Den Hochsitz erklettern wir mit Sack und Pack, zum Schluss trägt der Jäger noch seinen Hund hinauf. Wer je im Kommandomodul eines Apollo-Raumschiffes zum Mond geflogen ist, der hat eine ungefähre Ahnung, wovon ich rede: Drei Mann hoch mit je über 1,90 Meter Körpergröße, und Emiel zu unseren Füßen hechelt, als ginge es dabei um etwas. Nach fünf Minuten tut mir das Knie weh, und ich frage mich, wann die WM endlich anfängt: Couchfeeling, Beine hoch. Nach Osten hin schauen wir ins Schilf hinein, durch den Ausguck nach Westen hin hören wir sehr laut die Frösche. Und geradeaus Richtung Süden haben wir freien Blick auf einen Fasan, den Alexander sofort schießen könnte, wenn für Fasane gerade Schusszeit wäre und er die richtige Waffe für einen Abschuss mithätte.

Das Projektil seiner Steyr-Mannlicher-Schönauer, die er sich von einem Freund ausgeborgt hat, würde nicht viel vom Fasan übrig lassen, und das wäre "unwaidmännisch", sagt der Jäger, der das Traditionelle an der Jagd hoch schätzt. Die Büchse bleibt also vorläufig in der Ecke stehen, erst wenn er einen "Anblick" hat und sicher ist, das Tier richtig zu treffen, wird er sie entsichern. Er ist noch immer ein wenig aufgeregt, wenn er etwas schießt, "vor allem beim Büchsenschuss".

Die entsprechende jagdliche Ausbildung steht dem sechs Monate alten Münsterländer Jagdhund Emiel noch bevor.
Christian Fischer

An den ersten, kurz nachdem er 2012 den Jagdschein gemacht hat, erinnert er sich als "ziemlich heftig". Der Hochstand hätte gezittert, weil er selbst so gezittert hat. "Es war auf dem Ansitz und ging ziemlich flott, 20 Minuten habe ich gewartet." Die Büchse wird dabei immer "sitzend angelegt" oder "stehend angestrichen". Der ideale Schuss, sagt er, ginge immer ins Blatt oder knapp dahinter, weil dadurch das meiste Wildbret unzerstört bliebe. Trifft er das Tier ins Herz, sieht er es meist noch einmal hoch abspringen.

Für Alexander ist Jagen nicht mit "Spaß" verbunden. Das wäre ein Klischee der Jagdgegner, dass da irgendjemand aus Spaß am Töten herumballert. "Erfolgserlebnis" hingegen nennt er es schon, wenn er ein Stück erlegt. Seine Trophäen (einmal Gans, dreimal Schnepfen, einmal Fasan, 14-mal Böcke) hängen alle "perfekt präpariert und sehr ästhetisch" an einer Wand in seiner Wohnung.

Vom Wesen her ein Hochadeliger

Ich erinnere mich an Günther aus Osnabrück in Deutschland, der in den 70er-Jahren zusammen mit seiner Waltraut Urlaub in unserem Haus in Oberösterreich machte. Sie kamen im rotbraunen Audi 100, es war die Zeit der Ölkrise, aber nicht für Günther, der keine Krise kannte. Er ging breitbeinig jeden Sommer auf "ein kapitales Stück" alpenländischen Wildes, einmal feuerte er gleich vom Balkon unseres Hauses aus hinüber in den Wald und erlegte einen Rehbock. Zum "Schüsseltrieb", bei dem früher vor allem nach der Niederwildjagd fröhlich um eine "Schüssel" herumgesessen und der Abschuss gefeiert wurde, gab es am Abend: Grillhendl. Günther ging es nämlich nicht ums Fleisch, sondern nur um die Trophäe. (Niederwild hat übrigens nichts mit der Beinlänge der Tiere zu tun. Es durfte nur auch von "Niederen" gejagt werden, während das Hochwild dem Adel vorbehalten war. Günther war wohl vom Wesen her ein Hochadeliger.)

Alexander hingegen schätzt und ehrt die Kreatur. Bei einer ehemaligen Freundin ging ihm sogar auf die Nerven, wie sorglos und selbstverständlich sie alle Insekten um sich herum erschlug. Andererseits: Eine Freundin, die Vegetarierin ist oder die Jagd ablehnt, kann er sich auch nur schwer vorstellen. Er verarbeitet das meiste, das er schießt, selbst, bricht es auf, schärft das Haupt ab, teilt "Geräusch" (essbare Innereien wie Lunge, Herz oder Niernderln) vom Geröll (nicht essbar). "Theoretisch wird das im Kurs gelehrt", sagt er lachend. "Praktisch muss einem das aber jemand zeigen."

Das Projektil seiner Steyr-Mannlicher-Schönauer würde nicht viel von einem Fasan übrig lassen, und das wäre "unwaidmännisch", sagt der Jäger.
Foto: Christian Fischer

Beim Essen fließe dann die Erinnerung an die Jagd ein, an den Schuss, an den Respekt vor dem Stück, der sich auch in den "Brüchen" ausdrücke: Der erste Bruch kommt in den Äser, der zweite Inbesitznahmebruch auf das Blatt, den dritten streicht man über den Einschuss und steckt ihn sich rechts an den Hut. Abschließend wird das Stück mit dem Jagdhorn "verblasen".

Den klassischen "Knicker" mit Horngriff hat er in der Knickerbocker stecken, mittlerweile hat er aber auch einen, der hellorange fluoresziert, falls er ihm im Dunkeln einmal hinunterfällt. Es ist nach 21 Uhr, und wir haben noch eine halbe Stunde "Büchsenlicht". Durch das alte schwarze Fernglas mit achtfacher Vergrößerung, das er vom Großvater geerbt hat, beobachtet Alexander die Umgebung, durch das Glas auf seinem Gewehr könnte er das Wild mit bis zu zwölffacher Vergrößerung heranzoomen.

Die Tiere sind sehr schlau

Aber wir sehen an diesem Abend nichts mehr, "obwohl der Wind eigentlich passt. Die Tiere sind wirklich sehr schlau", sagt Alexander, vor allem gelte das für meine geliebten Schweine: "Wenn man die falsch bejagt, wenn man zu lange ansitzt und der Wind in ihre Richtung geht, dann kommen sie am nächsten Tag nicht mehr, weil sie wissen, dass du hier warst." Vielleicht hat ihnen aber auch der Rehbock, den wir zu Anfang unserer Pirsch gesehen haben, einen Tipp gegeben: "Passt mal auf, die Wahnsinnigen aus der Stadt sind hier." Ich bilde mir jedenfalls ein, irgendwo hämisches Lachen zu hören.

Bei der Rückfahrt überkommt uns mächtiger Hunger, der Mund wird uns wässrig. Alexander erzählt uns, was er alles in seiner Kühltruhe liegen hat, zum Beispiel acht Kilo Leberkäse, den ihm ein Fleischer aus 16 Kilo Wildschwein gemacht hat. Besonders mag er aber die Nuss vom Reh, mehr noch als den klassischen Rücken. Der Fotograf hätte nichts gegen ein feines Wildgulasch, und ich nichts gegen einen Wildschweinbraten mit Knödel und Kraut. Wir erinnern uns daran, was einst der Sinn der Jagd war: die Beschaffung von hochwertiger Nahrung.

Jäger und Wilderer

Einzig darum ging es einst auch den Wilderern, den Errol Flynns der Berge. Mit meinem Vater, einem Wilderer im Herzen, ging ich vor vielen Jahren auf die Moar-Alm im Reichraminger Hintergebirge, wo es einst eine Schießerei zwischen Besitzenden und Besitzlosen gab, zwischen Jägern und Wilderern. Vom Tod des Jägers Hobel zeugt doch noch heute ein verwitterter Kalkstein, auf dem steht: "Jäger durch Wild. Erschs. i. J. 1923". Und auf dem Partezettel des erschossenen Wilderers "Sperl Hans" stand: "Die edle Jägerleidenschaft trieb mich auf Bergeshöh'n, zu meinen lieben Gemselein, so frei, so stolz, so schön. Der Tag neigt sich, ich kehrt' zurück, und fand den Weg versperrt. Sie erschossen armen Schützen mich, ist doch die Welt verkehrt ..."

Es wird dem Sperl Hans da oben im Himmel kein Trost sein, dass die Welt heute nicht weniger verkehrt ist. (Manfred Rebhandl, 11.8.2018)