Der gemeine Feldhase, 1502 als Aquarell verewigt, mag Albrecht Dürers bekannteste Naturstudie sein. Der Titel "einflussreichste Tierdarstellung" gebührt indes seinem Rhinocerus. Für den 1515 geschaffenen Holzschnitt hatte er sich allerdings am Hörensagen orientiert.
Anlass gab ein seit 1513 am Hof des portugiesischen Königs Emanuel lebendes Nashorn aus Indien, das später vor der Küste Genuas in den stürmischen Fluten des Ligurischen Meers ersoff. Die Beschreibung des exotischen Tiers nahm der Renaissancekünstler etwas zu wörtlich: "Es hat ein farb wie ein gespreckelte Schildtkrot. Vnd ist vo[n] dicken Schalen vberlegt fast fest", sei der Todfeind des Elefanten und "reyst den Helffandt vnden am pauch auff vn[d] erwürgt In".
Vorlage für 250 Jahre
Das Ergebnis war eine furchterregende Kampfmaschine, die zu einer Berühmtheit avancierte. Weit über den europäischen Kontinent hinaus, betont Albertina-Chefkurator (Grafische Sammlung) Christof Metzger und verweist auf eine chinesische Weltkarte aus dem 17. Jahrhundert, die ebenfalls Dürers Rhinozeros ziert.
Es war die erste detailgenaue Darstellung, die in weiterer Folge von Kupferstechern kopiert und mehrfach publiziert knapp 250 Jahre auch als Vorlage für andere Kunstgattungen diente. Etwa für den Bildhauer Johann Gottlieb Kirchner, der 1730 ein solches für die Meissener Porzellanmanufaktur modellierte. Das mit einer Höhe von 67 Zentimetern recht stattliche Exemplar befindet sich, zusammen mit einem zweiten, im Bestand der Staatlichen Kunstsammlung Dresden. Seine deutlich kleineren Nachkommen werden bis heute produziert.
"Dürer-Hörnlein"
Lebende Exemplare waren in Europa bis weit in das 19. Jahrhundert eine Rarität. Auch weil sie den Transport oftmals nicht überstanden oder nach kurzer Zeit in Gefangenschaft starben. Künstler hatten deshalb kaum Möglichkeit zur lebendigen Anschauung. Die Wende brachte ein Weibchen namens Clara. Es kam 1741 aus Afrika nach Rotterdam und tourte 17 Jahre durch Europa, bis es 1758 in London verstarb.
Clara wurde auf zahlreichen Gemälden verewigt. Sie löste das bis dahin von Dürer geprägte Bild ab. In Meissen reagierte man prompt und adaptierte das Modell kurz nach ihrem Gastspiel in Dresden Ende der 1740er-Jahre. So ganz verschwand Dürers Nashorn trotzdem nicht, erkennbar an einem Detail. Dort, wo am Rücken sonst ein Haarbüschel wächst, hatte er dem Nashorn ein zweites, kleines Horn verpasst.
Dieses findet sich etwa auf den Nashörnern, die zwei in das 19. Jahrhundert datierte Paneele aus Scagliola (Stuckmarmor) zieren, die 2012 bei Sotheby's für 18.750 Pfund den Besitzer wechselten. 2013 gelangte bei Christie's in New York ein Erstabzug des legendären Holzschnittes von 1515 zur Versteigerung und erzielte stattliche 866.500 Dollar (641.210 Euro): bis heute der gültige Auktionsweltrekord für ein Werk Dürers. (kron, 13.8.2018)