Wien – Nach der Verlesung der Anklageschrift im Verfahren gegen Wolfgang St. muss Richterin Claudia Bandion-Ortner zunächst den Staatsanwalt korrigieren. Der wirft dem 44-Jährigen vor, am 12. Juni in Wien-Alsergrund seine damalige Lebensgefährtin mit einem Stock verprügelt und tags darauf ihren Hamster getötet zu haben. "In der Anzeige ist allerdings von einem Meerschweinchen die Rede", wirft Bandion-Ortner ein. "Ja, es war ein Meerschweinchen", klärt der Angeklagte auf.

St. hat sechs einschlägige Vorstrafen, zuletzt wurde er 2015 wegen Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu 20 Monaten unbedingt verurteilt. "Was machen Sie jetzt?", will die Richterin von ihm wissen. "AMS. I mecht wieda auf an Bagger aufi", skizziert er seinen Plan.

"Schwere Kindheit" als Aggressionsbegründung

Dass er Silvia S. damals verprügelt habe, bestreitet er entschieden. Aber: "Des mit dem Meerschweinchen stimmt", gesteht St. die angeklagte Tierquälerei ein. "Warum machen Sie denn sowas? Haben Sie Probleme, sind Sie cholerisch veranlagt?", fragt Bandion-Ortner. "A schlechte Kindheit." – "Die kann aber auch nicht für alles zählen. Wie lange waren Sie mit Frau S. zusammen?" – "Fünf Jahre und acht Monate." – "Wie war die Beziehung? Haben Sie oft gestritten?" – "Ja." – "Kam es da auch zu Gewalt?" – "Nein." – "Ich seh da nämlich, dass es mehrere Verfahren gab, die mit Freisprüchen endeten, da Frau S. die Aussage verweigert hat. Woher hatte sie denn die blauen Flecken am 12. Juni?" – "Das war nicht ich, sie hat Epilepsie", lautet die Antwort.

"Wieso töten Sie das Meerschweinchen Ihrer Lebensgefährtin?" – "Es waren meine. Ich habe sie ihr gekauft", merkt der bullige Angeklagte bockig an. "Wie haben die geheißen?", interessiert die Richterin. "Fragen Sie mich nicht. Sie hat ihnen irgendwelche Namen gegeben."

In Plastiksackerl gegen Tischkante

St. geriert sich allerdings als Tierfreund. "I hob s' ausagnumma und bled am Gnack dawischt", schildert er die Vorgänge am 12. Juni. S. sei zum Tierarzt gefahren, der sagte, wenn sich der Zustand nicht bessere, müsse das Tier eingeschläfert werden. "Wir hatten ka Göd dafia. Es hot am nächsten Tog nix mehr gfressn und gsoffn." Also habe er zur Selbsthilfe gegriffen, das Tier in ein Hundekotsackerl gesteckt und mehrmals gegen die Tischkante geschlagen.

Silvia S. erzählt als Zeugin eine andere Geschichte auch bezüglich der Qualität der Partnerschaft. "Wie er arbeiten war, war er ganz normal. Aber dann hat er nurmehr Schnaps getrunken und ist aggressiv geworden. Wie er dann fremdgegangen ist, habe ich ihn am 16. Juni aus der Wohnung geworfen."

Die 46-Jährige lüftet auch das Namensgeheimnis: Alessandro habe sie das Meerschweinchen genannt, das St. zwei Monate zuvor gekauft hat. "Er hat gesagt, er kann ihn nicht ausstehen, weil er zu strubbelig ist", erinnert sie sich. Am 12. Juni habe sie gesehen, wie der Angeklagte das Tier mit einem Stock geschlagen habe.

Widersprüchliche Angaben zu blauen Flecken

"Ich wollte ihm den wegnehmen, er hat mich am Arm gepackt und weggestoßen, daher stammen die blauen Flecken." – "Moment, er hat das Meerschweinchen und nicht Sie mit dem Stock geschlagen? Das haben Sie bei der Polizei noch umgekehrt gesagt", ist Bandion-Ortner verwirrt. Die Zeugin bleibt bei ihrer Darstellung. Sie sei zum Tierarzt gefahren, ihrer Meinung nach sei Alessandro durchaus noch lebensfähig gewesen, als St. ihn tags darauf gegen die Tischkante schlug.

Aufgrund der widersprüchlichen Angaben spricht die Richterin St. vom Vorwurf der Körperverletzung frei, für die Tierquälerei muss er eine Strafe von 100 Tagessätzen à vier Euro zahlen oder 50 Tage in Haft. "Sie ins Gefängnis zu schicken wegen eines Meerschweinchens ist auch ein bisschen schwierig", gibt Bandion-Ortner zu, die überzeugt ist, die Geldstrafe sei genug, dem Angeklagten zu verdeutlichen, dass man ein Meerschweinchen nicht so einfach töten darf. (Michael Möseneder, 10.8.2018)