Bild nicht mehr verfügbar.

Wasserwerfer und Tränengas in Bukarest.

Foto: AP/Vadim Ghirda

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Platz ist voll.

Foto: Reuters/INQUAM PHOTOS/Octav Ganea

Bild nicht mehr verfügbar.

Pyrotechnik vor dem Regierungssitz.

Foto: AP/Vadim Ghirda

Bukarest – Bei einem Polizeieinsatz gegen regierungskritische Demonstranten in Rumänien sind mehr als 450 Menschen verletzt worden. Die Polizei verteidigte den von Präsident Klaus Iohannis als "brutal" verurteilten Einsatz am Samstag als "angemessene" Reaktion auf gewalttätige Demonstranten. Etwa 30 Menschen seien bei den Zusammenstößen am Freitagabend festgenommen worden. Für Samstagabend war eine weitere Kundgebung in Bukarest geplant.

Die Polizei hatte eine Großkundgebung zehntausender Regierungskritiker am Freitagabend mit Tränengas und Wasserwerfern aufgelöst. Laut Berichten örtlicher Medien nahmen zwischen 50.000 und 80.000 Menschen an der Demonstration teil, die sich gegen Korruption in Regierung und Verwaltung richtete.

ORF-Korrespondent Ernst Gelegs schildert die Situation vor Ort. Während des Berichts kam es zu neuerlichen Eingriffen der rumänischen Polizei.
ORF

Nach Angaben der Rettungskräfte mussten zahlreiche Verletzte nach dem Einatmen von Pfefferspray oder Tränengas medizinisch behandelt werden. Andere erlitten demnach Quetschungen oder Prellungen. Zudem seien etwa 30 Polizisten verletzt worden.

Präsident Iohannis, der mit der Regierung politisch über Kreuz liegt, kritisierte das Vorgehen der Sicherheitskräfte als "unverhältnismäßig". Er forderte den Innenminister zu einer Erklärung auf. "Jede Form der Gewalt ist inakzeptabel", schrieb Iohannis im Netzwerk Facebook.

Als Vorwand für ihr brutales Vorgehen bei der Großdemo der Auslandsrumänen dienten der rumänischen Polizei einige Dutzend Rowdies, aller Wahrscheinlichkeit nach Ultras Bukarester Fußball-Clubs, die sich unter die Demonstranten gemischt und sich von dort ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Ordnungshütern geliefert hatten. Die rumänische Polizei versuchte jedoch erst gar nicht, die wenigen Störenfriede zu isolieren und abzuführen, sondern nutzte deren aggressives Verhalten, um gegen die Protestler insgesamt vorzugehen und die Großdemo brutal aufzulösen.

Opposition fordert Rücktritt von Innenministerin

Die bürgerliche und liberale Opposition forderte am Samstag in der Früh den umgehenden Rücktritt von Innenministerin Carmen Dan (Postsozialisten – PSD) und der gesamten Polizeileitung. Die Polizei sei "wie eine Kriegsmaschine" gegen die überwiegend friedlich demonstrierenden Menschen vorgegangen, nicht wie "Ordnungshüter im Dienste der Bürger", sagte Liberalen-Chef Ludovic Orban.

Viele der Demonstrationsteilnehmer waren Auslandsrumänen, die für die Kundgebung in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Mehrere dutzend Demonstranten versuchten, eine Polizeikette zu durchbrechen und warfen Steine und Flaschen auf die Sicherheitskräfte. Auch in den Großstädten Cluj, Sibiu und Temeswar gingen tausende Menschen aus Protest gegen die sozialdemokratische Regierung von Ministerpräsidentin Viorica Dancila auf die Straße.

Die regierenden Sozialdemokraten wollen die Gesetze zur Korruptionsbekämpfung lockern und das Justizsystem umbauen. Kritiker werfen der Regierung vor, dadurch die Tür für noch mehr Korruption in Rumänien zu öffnen, das ohnehin als eines der korruptesten EU-Länder gilt.

Im Juli sprach sich eine Mehrheit im Parlament für die Lockerung der Korruptionsbekämpfung aus – trotz vieler Warnungen aus dem In- und Ausland. Zuvor war auf Druck der Regierung die angesehene Vorsitzende der unabhängigen Anti-Korruptions-Behörde entlassen worden.

Treibende Kraft hinter den Gesetzesänderung ist der Parteichef der regierenden Sozialdemokraten, Liviu Dragnea. Infolge einer Verurteilung wegen Wahlbetrugs durfte Dragnea selbst nicht das Amt des Ministerpräsidenten antreten. Er gilt aber als der eigentliche starke Mann der Regierung. Dragnea reagierte am Samstag auf Iohannis' Kritik: Der Präsident instrumentalisiere die Vorkommnisse und "stachelt die Bevölkerung gegen die Sicherheitskräfte auf".

Präsident Iohannis ist ein Gegenspieler der Regierung, er hat sich den Kampf gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit auf die Fahnen geschrieben. Auch die EU mahnt Rumänien regelmäßig zu einem entschlosseneren Vorgehen gegen die Korruption.

Kurz verurteilt Gewalt scharf

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verurteilte die gewaltsamen Zusammenstößen in Bukarest scharf und erwartet "volle Aufklärung". Die freie Meinungsäußerung sowie die damit verbundene Pressefreiheit seien "Grundfreiheiten der EU, zu denen wir uns klar bekennen und die es bedingungslos zu schützen gilt", so Kurz in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Dem verletzten ORF-Kameramann wünschte der Bundeskanzler eine schnelle Genesung.

VP-Generalsekretär und Mediensprecher Karl Nehammer forderte die beiden Ex-Kanzler Christian Kern und Alfred Gusenbauer auf, "innerhalb der Sozialdemokraten in Europa entsprechende Konsequenzen gegen das gewaltsame Vorgehen der sozialdemokratischen Regierung in Rumänien zu setzen." Auch ÖVP-EU-Abgeordneter Lukas Mandl sieht die Sozialistische Internationale (SI) und die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) in der Verantwortung, klar Stellung zu beziehen.

Bei den gewaltsamen Ausschreitungen während der Anti-Regierungs-Proteste in Rumänien ist am Freitag auch ein Team des ORF in Bukarest von der Polizei attackiert worden. In einer Aussendung vom Samstag hieß es, der ORF protestiere "auf das Schärfste" gegen die Vorgehensweise, die laut Generaldirektor Alexander Wrabetz "auch in einer Ausnahmesituation wie dieser keinesfalls zu akzeptieren ist". (APA, 11.8.2018)