Es ist eines von rund 1000 Objekten, die derzeit im Museum für angewandte Kunst zu sehen sind. Aus Anlass des 300-jährigen Jubiläums der 1718 in Wien gegründeten Porzellanmanufaktur hat man die hauseigenen Depotbestände, ergänzt um ein paar Leihgaben, dicht an dicht in 52 Vitrinen geschlichtet. Eine Fülle, die jenes Sortiment dokumentieren will, das in knapp 150 Jahren bis zur Schließung der Manufaktur 1864 produziert wurde.
Darunter ein "Schreibzeug", bestehend aus einer Platte, einem Tintenfass und Streusandbehälter, 1828 von Jakob Schu(h)fried bemalt und thematisch der Giraffe gewidmet. Auf den ersten Blick meint man mehrere zu sehen, tatsächlich ist es nur eine in unterschiedlichen Posen. Verewigt mitsamt einem tragischen Merkmal, das diese Giraffe rückwirkend unverwechselbar macht, wie Standard-Recherchen belegen.
Geschenke des Vizekönigs von Ägypten
Informationen zum historischen Kontext sucht man sowohl in der Ausstellung als auch im begleitenden Katalog vergeblich. Dabei handelt es sich um ein kulturhistorisches Dokument, das auf ein Ereignis verweist, das sich dieser Tage zum 190. Mal jährte. Die Geschichte dazu reicht in die 1820er Jahre zurück, als der Vizekönig von Ägypten Giraffen geschenkweise in Europa "verteilte". Die erste bekam der König von Frankreich, die zweite der König von England. Nummer drei hatte Mohammed Ali Pascha dem Kaiser von Österreich zugedacht.
Eine Sensation, denn seit dem 15. Jhd. war keines dieser Tiere lebend nach Europa gebracht worden, allenfalls gab es ausgestopfte Exemplare in naturwissenschaftlichen Sammlungen. Im Juli 1827 hielt die erste Giraffe ihren pompösen Einzug in Paris. Mehr als 10.000 Menschen hatten sich in der Orangerie eingefunden, um die ihrer Fellzeichnung wegen auch "Kamelopard" bezeichnete zu bestaunen: "Ihr zierlicher Kopf reichte bis zu dem Laub der Kastanienbäume hinan; ihr langer Hals wiegte sich anmuthig über die Menge; ihr großes, schwarzes und schön gespaltenes Auge war voll Sanftmuth und Heiterkeit".
Beispielloser Hype
Das exotische Tier löste, ausgehend von Frankreich, einen bis heute beispiellosen Hype "à la Giraffe" aus: "Bunt bemahlt sie die Kleider, Handschuhe, Tabacksbeutel", auch "gravirt und modelirt" in "Metall, Bein und anderen Stoffen". Zuckerbäcker verkauften Kuchen in Giraffengestalt. Juweliere, Parfümeure und Friseure griffen diesen Trend auf, der prompt nach Wien schwappte.
Im Jänner 1828 wurde in der Wiener Zeitung bereits ein "Galop à la Giraffe" annonciert, den der Pianist Henri Herz zeitgerecht für die Carneval-Saison komponiert hatte. Die ersten Galanterie-Erzeugnisse wurden produziert und Bühnenstücke konzipiert. Am 9. Mai fand im Leopoldstädter Theater die Premiere von Adolf Bäuerles "Die Giraffe in Wien – Alles à la Giraffe" statt, ein "modernes Gemählde mit Gesang in zwei Akten": in den Hauptrollen Ferdinand Raimund und Therese Krones, nebst anderen.
Am gleichen Tag vermeldeten Zeitungen, dass die für die Menagerie des Kaisers vorgesehene Giraffe wohlbehalten in Venedig eingetroffen sei. In Begleitung ihres Pflegers, des Arabers Cagi Alli Sciobary, und zusammen mit drei Ziegen, mit deren Milch sie während der Reise versorgt wurde. Nach kurzer Quarantäne und einer langwierigen Reise zu Land traf sie am 6. August in Laxenburg ein, um zuerst von der kaiserlichen Familie in Augenschein genommen zu werden.
Künstler als Zeitzeugen
Anderntags folgte der Transport nach Schönbrunn, wo das 13 Monate alte Männchen stundenweise öffentlich zu sehen war. Der Ansturm war enorm: In satirischer Weise wurde dieser von Joseph Danhauser in einer Lithographie verewigt. In einer aus dem Inneren des Geheges geschilderten Szene, wodurch die Besuchermassen am Zaun zu "Gefangenen" ihrer Sensationslust wurden. Zahlreiche Vorstudien und die Grafik haben sich ebenso im Bestand des Wien Museums erhalten, wie thematisch zugehörige Aquarelle von Eduard Gurk.
Die in Wien grassierende Giraffomanie wussten auch Wirte zu nutzen. In Penzing, damals noch ein Dorf, fand in Gehweite zur kaiserlichen Menagerie am 19. August 1828 im Gasthof "Zur blauen Traube" ein legendäres Giraffen-Fest statt. Davon berichteten Chronisten noch Jahre später, als der Jubel längst verstummt und die Giraffe verstorben war.
Tragisches Ende
Bei ihrer Ankunft war sie noch munter und kräftig. Das rauere Klima schien unproblematisch. Einzig die eigentümliche Stellung der Hinterbeine, die auf allen Darstellungen der Wiener Giraffe erkennbar ist, gab Rätsel auf. Man wähnte eine Knochenkrankheit ähnlich der Rachitis. Bis die Hinterbeine ihren Dienst versagten und das Tier sein weiteres Dasein liegend fristete. Es litt unter Koliken, magerte ab und entschlief am 20. Juni 1829.
Die Obduktion förderte die tragische Wahrheit zutage: einige Rippen und beide Hinterbeine waren gebrochen. Teils vermutete man die Unbeholfenheit des Jungtieres als Ursache, teils hatte es sich um "alte" Verletzungen gehandelt, die wohl aus der Gefangennahme und dem nachfolgenden Transport resultierten. (Olga Kronsteiner, 11.8.2018)