"Jedermann"-erfahren: Philipp Hochmair tourt seit geraumer Zeit mit seiner Hofmannsthal-Aneignung "Jedermann reloaded" durch die Theaterlande.

Foto: Heribert Corn

Zum ersten Mal in der Geschichte der Salzburger Festspiele nach 1945 musste Donnerstagabend ein Jedermann "einspringen". Hauptdarsteller Tobias Moretti war an einer Lungenentzündung erkrankt. Schauspieler Philipp Hochmair übernahm kurzfristig.

STANDARD: Sie spielen seit 2013 die One-Man-Show "Jedermann Reloaded". Das heißt, Sie kennen die Rolle des Jedermann, aber ...

Philipp Hochmair: ... ich korrigiere: Ich kenne den Text, aber nicht die Rolle. "Jedermann Reloaded" ist eine Art Happening. Ich musste die Energie, die sich dort entfaltet, in einen klassischen Theaterabend zurückführen. Zwei Drittel des Textes sind gleich, aber das eine Drittel ist komplett anders.

STANDARD: Das heißt, Sie mussten einen Drittel des Texts neu lernen – und das, obwohl Sie Legastheniker sind. Wie schafft man das?

Hochmair: Ich habe kein einziges Wort neu gelernt. Ich hatte ein Mikroport im Ohr, und man hat mir den Text eingeflüstert.

STANDARD: Wie verwandelt man sich einen Text, der einem eingeflüstert wird, an?

Hochmair: Das ist eine Herausforderung. Die wichtigste Frage aber war: Wie kann ich meinen Text in die Fassung integrieren, und wie reagieren die anderen darauf? "Jedermann Reloaded" ist ja so eine Art Rap, voller Rocker-Energie, mein Jedermann ist keine psychologische Alltagsfigur. Ich wollte zeigen, dass in dem alten Text eine Energie steckt, die toll ist. Er ist ein lyrisches Meisterwerk. Deshalb habe ich den Text als Musik benutzt. Die Herausforderung jetzt war, das Musikalische mit dem Psychologischen zu vereinen. Die Performance, der Youtube-Clip ist für mich ein modernerer Ansatz, als wenn ich einen Bankeranzug anziehe.

Den Seinen gibt's der Herr mit dem Mikroport: der neue Jedermann (Philipp Hochmair, vorn) im Clinch mit dem kahlen Tod (Peter Lohmeyer).
Foto: Bernd Uhlig

STANDARD: Aber genau das ist die Rolle von Tobias Moretti. Er spielt einen Turbokapitalisten. Sie haben sich sicherlich die Inszenierung auf Video angesehen: Die beiden Ansätze könnten unterschiedlicher nicht sein.

Hochmair: Ich habe einen Videolink bekommen. Ich konnte mir aus den Impressionen zusammenreimen, was die Geschichte ist. Ich habe die Inszenierung auf dem Domplatz ja nie gesehen. Ich musste meine inneren Pferde zähmen und mich fragen: Wie kommen die Feuerpferde in den Anzug rein?

STANDARD: Wo waren Sie, als Sie der Anruf erreichte?

Hochmair: In Dresden. Ich habe mit meiner Band gerade die Platte zu "Jedermann Reloaded" aufgenommen. Ich habe sofort zugesagt.

STANDARD: Wie waren die 30 Stunden?

Hochmair: Schwierig. Die Hauptarbeit war, meine Kanäle zu öffnen und mich zu beruhigen. Meine Freunde reagierten skeptisch und durchaus nicht ohne Missgunst.

STANDARD: Warum das?

Hochmair: Weil sie dachten, das wäre nicht möglich ...

STANDARD: In der Oper sind Umbesetzungen alltäglich ...

Hochmair: Das war mein Hauptargument. Man lernt eine Partitur, und man wird in einem Notfall eingeflogen, um den Totalausfall zu verhindern.

STANDARD: Warum ist das im Theater verpönt?

Hochmair: Weil Theater an den Schauspieler, an dessen Fantasie gebunden ist. Im modernen Theater ermächtigt sich der Mensch, die Literatur als Steinbruch zu sehen. Es gibt keine Zweitbesetzungen. Fällt jemand aus, wird ein anderes Stück gespielt, das ist die Idee des Ensemblebetriebs. Du darfst die Stadt ohne Urlaubsschein nicht verlassen, weil, falls jemand ausfällt, du zur Verfügung stehen musst. Nur deine Vorstellung kann die Lücke füllen.

STANDARD: Kam es bei der Vorstellung zu schwierigen Momenten?

Hochmair: Ja, natürlich. Bereits bei der Probe um zehn Uhr früh. Die Tischgesellschaft saß mit offenem Mund da, weil ich ganz andere Sätze gesagt habe und mich komplett anders verhalten habe, als sie es gewohnt waren. Das Ganze war für meine Kollegen mindestens eine genauso große Herausforderung wie für mich.

STANDARD: Sie spielen seit 2013 "Jedermann Reloaded". Hatten Sie mit dem katholischen Element des Stücks nie ein Problem?

Hochmair: Es geht um den Moment der Reue. Den Moment, in dem ein Mensch, der alles hat, erkennt, dass er nichts ist. Es ist ein Blick in die Vergänglichkeit. Den kann ich als Rockstar haben oder als Beamter. In "Jedermann Reloaded" geht es darum, wie ich das in einer zugänglichen Variante zeigen kann. Das ist ein Konzert, da stirbt der Performer, und er erkennt, dass er nichts ist.

STANDARD: Ist Ihr "Jedermann Reloaded" jetzt auf dem Domplatz dort angelangt, wo er hingehört?

Hochmair: "Jedermann" ist ein mittelalterliches "morality play", das Hofmannsthal im Stile des Mittelalters weitergedichtet hat. Was ich sagen will: Das Stück ist schon so oft resampelt worden, dass man es einfach wieder resampeln muss. Hofmannsthal war schon reloaded! Insofern ist die Variante auf dem Domplatz nur ein weiterer Schritt, dem noch viele folgen können. (Stephan Hilpold, 10.8.2018)