Am 1. September wird alles anders. Dann beginnt im Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) die Ära des neuen Präsidiums. Claus Raidl (ÖVP) soll ein Blauer nachfolgen, seinem Vize Max Kothbauer (SPÖ) ein Schwarzer. Logisch angesichts der neuen Kräfteverhältnisse in der Regierung, meint Raidl auf einer Tour d'Horizon.

Notenbank-Präsident Claus Raidl kritisiert große Koalitionen sowie Sozialpartner und lobt Kanzler Kurz.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Am 31. August ist Ihr letzter Arbeitstag als Präsident der OeNB. Welchen Nachfolger wünschen Sie sich am allerwenigsten?

Raidl: Zu meinen Vorgängern und Nachfolgern habe ich in meinem langen Berufsleben nie etwas gesagt, das halte ich auch jetzt so. Ich war zehn Jahre Präsident des Generalrats und werde im Herbst 76. Es ist also Zeit.

STANDARD: Ihnen soll ein Blauer folgen. Als Sie 2008 von der SPÖ-ÖVP-Regierung bestellt wurden, galt in der OeNB noch das Honolulu-Abkommen: Alles war zwischen Rot und Schwarz aufgeteilt. Nun ist das Muster halt schwarz-blau?

Raidl: Ums Muster geht es nicht. Der Generalrat wird von der Regierung bestellt, und es ist klar, dass sich in solchen Gremien ihr Kräfteverhältnis widerspiegelt. Natürlich könnten auch Oppositionsparteien berücksichtigt werden.

STANDARD: Halten Sie das für wahrscheinlich?

Raidl: Eher nicht.

STANDARD: Der Ministerrat entscheidet am 22. August. Werden Sie Ihren Nachfolger einschulen?

Raidl: Ich hoffe, dass da Leute bestellt werden, die keine Einschulung brauchen. Wenn es gewünscht ist, werde ich ihm oder ihr das Haus erklären und die Arbeit beschreiben.

STANDARD: Wie würden Sie die OeNB in zwei Sätzen beschreiben?

Raidl: Die OeNB ist eine Expertenorganisation mit hochmotivierten und sehr engagierten Leuten. Und das Haus hat gezeigt, dass es reformwillig ist ...

STANDARD: Na ja. Etliche (Ex-)Mitarbeiter klagen erneut gegen Kürzungen ihrer Bankpension.

Raidl: Es war nicht leicht, aber es wurden Reformen durchgesetzt, etwa ein zeitgemäßes Dienstrecht. Die Klagen wegen der Bankpensionen halte ich nicht für sinnvoll.

STANDARD: Hat die FPÖ Personalreserven für staatstragende Jobs?

Raidl: Diese Frage wird immer wieder gestellt. 2003 hat die FPÖ Manfred Frey zum Vizepräsidenten der OeNB gemacht, ehedem Präsident einer Finanzlandesdirektion. Er war unbestritten. Und ins Direktorium berief sie damals den Ökonomen Josef Christl, auch er war fachlich anerkannt. Wer jetzt kommt, wird man sehen.

STANDARD: Sie zählen zum Urgestein der ÖVP und gelten als Fan von Kanzler Sebastian Kurz. Warum sind Sie das?

Raidl: Ich bin überzeugt von Kurz. Ich sage Ihnen auch, warum. Die große Koalition hat sich bewährt in einer Zeit der großen Aufgaben, etwa vor dem Staatsvertrag, EU- oder Eurobeitritt. In den vergangenen zehn, 15 Jahren aber hat sich gezeigt, dass eine große Koalition keine großen Probleme mehr lösen kann. Das kann nur eine Alleinregierung oder eine kleine Koalition. Das bewies etwa die SPÖ-Alleinregierung Bruno Kreiskys, denken Sie nur an seine Straf- und Familienrechtsreform. Und in der kleinen ÖVP-FPÖ-Koalition unter Wolfgang Schüssel wurde die große Pensionsreform gemacht, Privatisierungen weitergeführt. Danach, in der großen Koalition, herrschte Lähmung, nicht einmal die Föderalismusreform kam. Ist aber auch klar, denn in derartigen Koalitionen riskiert niemand Stimmen: Der Kanzler will Kanzler bleiben, der Vizekanzler Kanzler werden – und da geht es oft um wenige Prozentpunkte. Daher trauen sich die Politiker nicht, Reformen umzusetzen, auch wenn sie sie für noch so notwendig halten.

Der türkis-blauen Regierung unter Sebastian Kurz (rechts) und Heinz-Christian Strache traut Raidl große Reformen zu.
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STANDARD: Türkis-Blau – eine Reformkoalition?

Raidl: Ich hoffe es. Wobei es ja nicht immer eine Mitte-rechts-Koalition sein muss, es kann auch eine Mitte-links-Koalition sein. Treibt es eine Mitte-rechts-Koalition zu weit mit Marktwirtschaft, Privatisierung oder Deregulierung, kommt der Gegenschlag, und es folgen Schutzgesetze für Konsumenten, für Arbeitnehmer. Dieses Kräftespiel hat Österreich leider nie erlebt. Weil wir in einer sehr verlogenen Konsensdemokratie und -mentalität lebten. Wir haben gesagt, das sei gut fürs Land, obwohl jeder wusste, dass wir mit dem Scheinkonsens keine Probleme lösen. Nehmen Sie Deutschland: Da wird hart diskutiert, und dann findet man eine Lösung. Bei uns wird nicht hart diskutiert, sondern man sieht den Kompromiss vor der Konfrontation.

STANDARD: Kompromisslertum?

Raidl: Ja, das ist das verlogene österreichische Kompromisslertum. Am Beispiel Schul- oder Spitalwesen: Jeder weiß, das gehört in die Hand vom Bund. Den Ländern geht's doch nur um die Frage: Wer wird Primar, wer Schuldirektor? Es wäre besser, man streitet ordentlich, und wenn's nicht klappt, soll der Wähler entscheiden.

STANDARD: Gefällt Ihnen auch, wie die Regierung Reformen umsetzt? Beim Gesetz zum Zwölfstundentag etwa gab es keine Begutachtung.

Raidl: Ja, und? Das ist lebendiger Parlamentarismus. Es ist das Normalste auf der Welt, nicht immer die Sozialpartner um ihr Einverständnis zu fragen. Die suchen immer den Minimalkompromiss.

STANDARD: Braucht es dann die Sozialpartnerschaft noch?

Raidl: Ja, für die Lohnfindung.

STANDARD: Sie waren 2000 für Schwarz-Blau, damit die ÖVP aus der "ewigen Juniorrolle" kommt. Sehen Sie jetzt Gefahren für die Seniorpartei ÖVP?

Raidl: Ich sage so: Man kann die Wichtigkeit der proeuropäischen Haltung der Regierung nicht oft genug betonen.

STANDARD: Sie halten die Regierung für proeuropäisch?

Raidl: Die Regierungsspitze schon, die FPÖ würde eine Nachschärfung für eine offene, proeuropäische Haltung vertragen.

STANDARD: Sie kamen 2008 in die OeNB, mitten in der Krise. Hatten Sie Angst, dass die Banken fallen?

Raidl: Ich war wirklich beunruhigt. Wer hätte je gedacht, dass Lehman zusammenkracht? In meiner Ära als Generaldirektor haben wir 1995 Böhler Uddeholm an die Börse gebracht, da haben wir viel mit Lehman gearbeitet. Hätte mir damals wer gesagt, in 13 Jahren gibt's die nicht mehr, hätte ich gesagt: Das ist Wunschdenken eines extremen Linken.

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Die US-Investmentbank Lehman Borthers fiel im Herbst 2008. Die Folgen waren gravierend.
Foto: AP/Lennihan

STANDARD: Haben Sie schlecht geschlafen damals?

Raidl: Ich schlafe sehr leicht schlecht. Damals habe ich besonders schlecht geschlafen. Vor allem, als ich draufkam, dass nicht nur ich als Nichtbankexperte keine Lösung sah, sondern dass auch die Experten im Dunkeln tappen.

STANDARD: Als Sie OeNB-Präsident wurden, lief gerade die Diskussion über die "Luxuskarossen", weil die OeNB-Direktoren teure Autos hatten. Sie haben eine neue Dienstautoregelung durchgesetzt ...

Raidl: Ja, aber es war eine lächerliche österreichische Neiddebatte. Die OeNB ist die einzige öffentliche AG, in der Gehälter des Vorstands, hier Direktorium, gesetzlich geregelt sind. Der Gouverneur verdient seit der Gehaltsreform unter Maria Schaumayer, 1993, so viel wie der Bundeskanzler. Während ein Bank-Generaldirektor ...

STANDARD: ... sein Einkommen mit dem von Fußballstars vergleicht und sich für unterbezahlt hält?

Raidl: Ich bleibe mit meinem Vergleich in der Bankenbranche, weil der Fußballer hat nur eine zehnjährige Laufzeit ...

STANDARD: ... in der er genug für hundert Jahre verdient.

Raidl: Nicht in Österreich.

STANDARD: Sind Sie Fußballfan?

Raidl: Nein. Aber hie und da schaue ich als gebürtiger Kapfenberger mir an, wo der SV Kapfenberg liegt. Ist leider abgestiegen, aber in der zweiten Liga ist er gut. Aber noch zu den OeNB-Autos: Jetzt fahren wir BMW, die die Bundesbeschaffungsagentur organisiert. Der Gouverneur fährt ein Auto wie der Kanzler, weil sein Einkommen auch dem des Kanzlers entspricht.

STANDARD: Sie hatten 1995 das Angebot, Wirtschaftsminister zu werden. Je bereut, dass Sie es nicht angenommen haben?

Raidl: Ein paar Monate habe ich es bedauert. Aber rückblickend: was für ein Glück! Es ist schrecklich anzuschauen, wie der Abschied von Politikern verläuft, auch von erfolgreichen. Ob Raab, Figl, Kreisky oder leider auch Schüssel: Die meisten sind nicht rechtzeitig gegangen.

STANDARD: Die sind der Erotik der eigenen Macht erlegen?

Raidl: Der Erotik der Macht, ihrer Eitelkeit, ihrer Angst, nachher ins Nichts zu stürzen.

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Kanzler Wolfgang Schüssel und der damalige Böhler-Uddeholm-Chef Raidl im Herbst 2002 auf dem Bundeskongress der ÖVP.
Foto: Reuters/Foeger

STANDARD: Was werden Sie denn ab 1. September ohne Büro, Sekretärin und Chauffeur machen?

Raidl: Ich habe keine Sorge, ins Nichts zu fallen, habe noch etliche Funktionen und genug zu tun. Und man muss sich immer bewusst sein: Manager und Politiker werden nicht angerufen und eingeladen, weil sie so toll sind, sondern wegen ihrer Funktion.

STANDARD: Gegrüßt wird die Funktion.

Raidl: Gegrüßt wird die Funktion.

STANDARD: Sie hatten auch schwere Zeiten, waren im Noricum-Waffenprozess angeklagt, wurden in erster Instanz schuldig, in zweiter 1993 freigesprochen. Wie war das?

Raidl: Wenn man plötzlich angeklagt ist, blickt man in den Abgrund. Man hat Familie, Kinder, bangt um seine Existenz. Ich habe zunächst an der Gerechtigkeit gezweifelt, dann aber versucht, mich auch in die Rolle meines Gegenübers, des Staatsanwalts, zu versetzen. Das hilft. Letztlich wurde ich ja freigesprochen.

STANDARD: Hat Sie das geläutert?

Raidl: Für mich war diese Erfahrung oft ein Grund, Nein zu sagen und hart zu bleiben. Hat etwa jemand etwas zu Riskantes an mich herangetragen, sagte ich: "Liebe Freunde, ohne mich, ich hab' Erfahrung aus dem Noricum-Prozess, ich tu' da nicht mit." Da widersprach mir dann keiner, das verlieh mir große Glaubwürdigkeit. Und: Ja, es hat mich geläutert. (Renate Graber, 12.8.2018)