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Xi Jinping lässt einen heftigen Personenkult um sich veranstalten. Das gereicht ihm nicht immer zum Besten.

Foto: Themba Hadebe/REUTERS

Die Politik hat die unangenehme Angewohnheit, uns zu überraschen – insbesondere in einem Land wie China, wo es wenig Transparenz und viele Intrigen gibt. Vor fünf Monaten schockierte Präsident Xi Jinping seine Landsleute damit, dass er die zeitliche Begrenzung der präsidentiellen Amtszeit abschaffte und seine Absicht signalisierte, sein Leben lang im Amt zu bleiben. Aber die wirkliche Überraschung kam danach.

Während Xis Ankündigung herrschte allgemein die Ansicht vor, seine Dominanz innerhalb des chinesischen Parteienstaats sei so gut wie absolut und daher sei es ausgeschlossen, dass seine Macht auf Widerstand stoßen könne. Aber Xi erlebt nun den schlimmsten Sommer seit seinem Amtsantritt im November 2012. Ein steter Strom schlechter Nachrichten sorgt dafür, dass viele Chinesen – und insbesondere Mitglieder der chinesischen Eliten – enttäuscht, besorgt, wütend, hilflos und mit ihrem immer mächtigen Staatsführer unzufrieden sind.

Die jüngste schlechte Nachricht aus dem vergangenen Monat waren die Erkenntnisse von Regierungsermittlern, dass ein Pharmakonzern minderwertige Impfstoffe gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten hergestellt und Daten für seinen Tollwutimpfstoff gefälscht hat. Diese schlechten Impfstoffe wurden hunderttausenden chinesischen Kindern im ganzen Land verabreicht.

Gierige Geschäftsleute

Natürlich gab es in China schon viele ähnliche Skandale – von verdorbener Babynahrung bis hin zu Verschmutzungen im Blutverdünnungsmittel Heparin. Dafür wurden gierige Geschäftsleute und korrupte Beamte zur Verantwortung gezogen. Aber Xi hat erhebliches politisches Kapital dafür eingesetzt, die Korruption auszurotten und die Kontrolle zu stärken. Dass ein Privatunternehmen mit starken politischen Verbindungen im Zentrum des Impfskandals steht, ist ein schmerzhafter Beleg dafür, dass Xis Korruptionsbekämpfung von oben nach unten nicht so effektiv war, wie er behauptet. Eine unbeabsichtigte Folge von Xis Machtzementierung ist, dass er – zumindest in den Augen der chinesischen Öffentlichkeit – für den Skandal die Verantwortung trägt.

Aber die Reaktionen gegen Xi begannen schon vor den Impfstoffenthüllungen. Es gab immer mehr Sorgen wegen des schrittweisen Entstehens eines Personenkults. In den letzten Monaten haben Xis Anhänger in dieser Hinsicht keine Mühe gescheut. Das trostlose Dorf, in dem Xi während der Kulturrevolution sieben Jahre lang als Bauer gelebt hatte, wurde als Quelle "großen Wissens" als Touristenziel vermarktet. Viele erinnert dies allzu sehr an den fast göttlichen Status, der Mao Tse-tung zugeschrieben wurde – und der während des "Großen Sprungs nach vorn" und der "Kulturrevolution" Millionen Chinesen das Leben gekostet und beinahe die chinesische Wirtschaft zerstört hat.

Und tatsächlich sind die Wirtschaftsnachrichten in China düster. In diesem Jahr sind die Aktienkurse bereits um 14 Prozent gefallen. Vor drei Jahren befahl Xi angesichts stark fallender Aktienkurse den Staatsunternehmen, Aktien zu kaufen, um den Markt zu stabilisieren. Aber sobald die Käufe aufhörten, folgte ein weiterer Marktabschwung – diesmal vor dem Hintergrund erschöpfter Währungsreserven. Seit damals hat Xi solche wirtschaftlichen Dummheiten nicht wiederholt, aber was aus Chinas Aktienmärkten wird, bleibt offen.

Währung fällt

Und es gibt weitere schlechte Wirtschaftsnachrichten. Der Renminbi hat ein 13-Monats-Tief erreicht, und auch wenn das BIP-Wachstum mit 6,5 Prozent das Ziel für 2018 erreichen wird und vordergründig im grünen Bereich ist, zeigt die Wirtschaft doch Zeichen der Schwäche. Investitionen, Immobilienverkäufe und Privatkonsum gehen zurück und zwingen die Regierung, ihre Entschuldungsbemühungen zu beenden und mehr Mittel für die Wachstumssteigerung auszugeben.

Die schlimmste wirtschaftliche Entwicklung ist allerdings der absehbare Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten. Obwohl seine wirtschaftlichen Auswirkungen noch gar nicht eingetreten sind, wird der Handelsstreit, den US-Präsident Donald Trump angezettelt hat, für Xi die bisher größte Herausforderung – aus Gründen, die weit über die Wirtschaft hinausgehen.

Zunächst einmal ist da Xis Werbung für den "chinesischen Traum", der vom erneuten Aufstieg des Landes zur Weltmacht handelt. Aber wie der Handelskrieg deutlich zeigt, ist China immer noch stark von den Märkten und Technologien der USA abhängig. Weit von einem wiederbelebten Hegemonen entfernt, der die Weltwirtschaft neu gestaltet, erweist sich Xis China als Riese mit tönernen Füßen.

Geostrategische Folgen

Die geostrategischen Folgen können kaum überschätzt werden. In den vierzig Jahren, seit Deng Xiaoping begann, China aus dem dunklen Zeitalter des Maoismus herauszuführen, hat das Land ein Wirtschaftswachstum und eine Entwicklung erreicht, die noch nie da gewesen sind. Aber ohne eine kooperative Zusammenarbeit mit den USA wäre dieser Fortschritt unmöglich – oder zumindest viel langsamer – gewesen. Von dieser Politik hat sich Xi während seiner Amtszeit abgewandt – nicht zuletzt durch seine immer aggressiveren Aktionen im Südchinesischen Meer.

Diese Entwicklungen lassen eine direkte Schlussfolgerung zu: China bewegt sich in die falsche Richtung. Und diese Tatsache entgeht auch den chinesischen Eliten nicht, deren Frustration spürbar ist und weiter steigt.

Aber trotz Gerüchten von einer Opposition gegen seine Macht unter der Führung pensionierter Politiker ist ein Sturz Xis unwahrscheinlich. Seine Kontrolle über den Sicherheitsapparat und das Militär des chinesischen Einparteienstaats ist sicher. Darüber hinaus hat er keine Rivalen, die genug Mut oder Einfluss hätten, um seine Macht zu gefährden – im Gegensatz zu Deng und anderen Revolutionären im Jahr 1978, als sie Hua Guofeng stürzten, Maos handverlesenen Nachfolger für die KP Chinas.

Trotzdem bleibt Xis Zukunft ungewiss. Bleibt er auf seinem aktuellen Kurs, geht es auch mit China so weiter, und jeder Ausrutscher wird die negativen Meinungen über seine Führung stärken. Aber auch wenn Xi seinen Kurs ändert, könnte dies seinem Ruf schaden, da es ein Eingeständnis von Fehleinschätzungen beinhalten würde – für jeden Politiker ein Problem, aber besonders für einen starken Mann wie Xi. Und einige der neuen Entscheidungen, die Xi treffen müsste, stünden im Widerspruch zu seinen Instinkten und Werten. Dies sind reale Risiken. Aber Xi hat wahrscheinlich keine andere Wahl, als sich ihnen zu stellen. Wie Chinas Sommer der Unzufriedenheit ganz klar zeigt, braucht er eine neue Strategie. (Minxin Pei, aus dem Englischen: H. Eckhoff, Copyright: Project Syndicate, 10.8.2018)