Am 13. August in Weltlinkshändertag. Die anderen 364 Tage dreht sich die Welt eindeutig rechts.

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Christiane Stenger/Antje Tiefenthal: Deine bessere Hälfte. Edel Books 2018. 240 Seiten, 17,50 Euro.

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Bevor Antje Tiefenthal in die Schule kam, hatte ihr Leben einen nahezu unbeschwerten Linksdrall. Ganz selbstverständlich fädelte sie mit der linken Hand Holzperlen auf einen dünnen Faden, auch fürs Malen und Zeichnen besaß sie kein rechtes Händchen. Nur beim Essen sollte sie es anders machen. Die Gabel links, das Messer rechts. "Meine Oma hat sehr viel Wert darauf gelegt, dass ich das Besteck 'richtig' halte", erzählt die heute 35-jährige Journalistin, die in Berlin lebt. Das hat Spuren hinterlassen. "Beim Pizzaessen kann man mir nicht zuschauen, weil ich beim Schneiden viel Gewalt und Kraft einsetzen muss."

Im ersten Schuljahr kam es schließlich zum entscheidenden Kampf "rechts gegen links". Die Lehrerin wollte, dass sie mit der "schönen" Hand schreibt. Die siebenjährige Antje wehrte sich und blieb stur. Mit Erfolg. Schließlich gab sich die Pädagogin mit den Worten "Na, dann schreib halt mit links" geschlagen. Das war 1990. Das Thema ließ Tiefenthal bis heute nicht los, nun hat sie ein Buch über "ihre bessere Hälfte" geschrieben. Ihr Fazit: Die Wissenschaft untersucht seit Jahrzehnten, warum es Rechts- und Linkshänder gibt, es wurde ein Puzzleteil ans andere gelegt, trotzdem ist das Bild noch sehr unvollständig.

Sicher ist: Der Großteil der Menschen nutzt bevorzugt die rechte Hand. "Nur etwa zehn Prozent sind echte Linkshänder", sagt Sebastian Ocklenburg, Biopsychologe von der Ruhr-Universität Bochum. Das dürfte schon seit den Anfängen der Menschheit so sein. Zumindest legen das die Kratz- und Verletzungsspuren an 500.000 Jahre alten Zähnen nahe. Der US-Archäologe David Frayer und sein Team von der Universität Kansas untersuchten die fossilen Funde aus der spanischen Sierra de Atapuerca und kamen zu dem Ergebnis, dass rund 93 Prozent der Schrammen von Steinwerkzeugen stammten, die von Rechtshändern benutzt wurden. Die Kratzmuster, die durch den linkshändigen Gebrauch entstanden wären, hätten anders ausgesehen, ist der Wissenschafter überzeugt.

Besser prügeln

Linkshänder sind eine Minderheit. Warum, darüber rätseln Forscher noch immer. "Es gibt zahlreiche Ideen, aber nur wenige harte empirische Fakten", sagt auch Ocklenburg. Eine der populärsten ist die sogenannte "Fighting-Hypothese", nach der Linkshändigkeit im Kampf Mann gegen Mann ein Überlebensvorteil war. Ein Phänomen, das heute noch beim Boxsport oder Fechten zu beobachten ist. Setzt das Gegenüber primär auf die linke Schlaghand, ist das für Rechtshänder unangenehm. "Linkshändige Gegner sind vor allem deshalb schwerer einzuschätzen, weil sie selten sind. Insofern hat die ungleiche Verteilung Sinn", ergänzt der Biopsychologe.

Solche Theorien beflügelten auch den Glauben, dass uns die Händigkeit unausweichlich in die genetische Wiege gelegt wird. Auch Ultraschalluntersuchungen zeigten, dass bereits ab der achten Schwangerschaftswoche eine Handdominanz zu beobachten ist, die mit der Händigkeit im Schulalter stark korreliert. Wer also im Mutterbauch schon bevorzugt am linken Daumen genuckelt hat, wird auch im späteren Leben eher mit links die Welt begreifen. Lange suchten Wissenschafter nach diesem ausschlaggebenden Gen, fündig wurden sie nicht. "Es gibt mindestens 30 genetische Faktoren, die einen Einfluss auf die Händigkeit haben. Das größte Gewicht besitzen mit etwa 75 Prozent aber Umweltfaktoren", betont Ocklenburg.

Linkes Stigma

Das kulturelle und soziale Umfeld ist für Linkshänder prägend, kann für Entlastung sorgen, häufig erzeugt es aber Druck. Denn die linke Seite war über Jahrhunderte suspekt, an ihr haftet heute noch ein Stigma: Während wir "jemanden linken", "etwas links liegen lassen" oder "zwei linke Hände haben", steht "rechts" für das Gute. "Wir befinden uns auf dem rechten Weg", "erscheinen rechtzeitig zu einem Termin" oder "fällen ein gerechtes Urteil".

"Die linke Hand gilt heute vor allem in Ländern, die kein Toilettenpapier benutzen, als unrein. Dort ist auch der Anteil der Linkshänder am geringsten", sagt der Biopsychologe. Diese Vorstellung war aber auch lange in Europa verbreitet, sie wurde nur deutlich subtiler verpackt. So war die Spülvorrichtung von Wasserklosetts bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ausschließlich auf der linken Seite zu finden. In der modernen Variante wurden sie dann mittig oder rechts platziert.

Knoten im Gehirn

Auch die Umschulung von der linken auf die rechte Hand war in Österreich und Deutschland bis Anfang der 1990er-Jahre noch eine gängige Praxis. Bei Antje Tiefenthal klappte es nicht, andere wehrten sich vergeblich.

Das kann weitreichende Folgen haben: Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten, das Verdrehen von Buchstaben, feinmotorische Störungen und Sprachschwierigkeiten wie Stottern. Denn die primäre Händigkeit spiegelt sich auch in der Dominanz einer Gehirnhälfte wider. Bei Linkshändern ist das die rechte, bei Rechtshändern die linke. Durch die Umschulung gerät das System durcheinander, die nicht dominante Hemisphäre wird überlastet, die dominante unterfordert. Es entsteht ein "Knoten im Gehirn", wie es die deutsche Psychologin und Psychotherapeutin Barbara Sattler formuliert. Selbst heute entwickeln sich noch viele Linkshänder zu Pseudorechtshändern. "Diese Kinder schulen sich meist selbst um", sagt Antje Tiefenthal. Denn: Jedes Kind will dazugehören. Sieht es, dass alle anderen mit rechts schreiben, malen oder zeichnen, will es das auch und trainiert sich das an.

Es kommt auch vor, dass Kinder bis zum Alter von fünf, sechs Jahren keine eindeutige Präferenz für eine Hand zeigen. Beim Spielen mit Bausteinen oder Malen wechseln sie ständig von der einen Hand zur anderen. "Es gibt zwar Menschen, die mit beiden Händen tatsächlich gleich gut sind, aber diese sogenannte Ambidexterität ist sehr selten", sagt Ocklenburg. "Die meisten vermeintlichen Beidhänder sind umgeschulte Linkshänder", ergänzt Tiefenthal.

Neutrale Mitte

Im Zweifelsfall kann die Händigkeit in einem etwa zweistündigen Test eruiert werden. So wird beispielsweise im Steckbrett-Test die Zeit gemessen, in der ein Kind zuerst mit der rechten und anschließend mit der linken Hand Stifte von einer oberen in eine untere Reihe von Löchern steckt. Auch mit Perlen, Kreiseln und Bausteinen wird gearbeitet.

Eines sollten sich Eltern und Pädagogen von diesem Prozedere abschauen: Statt dem Sprössling Löffel, Pinsel oder Spielsachen automatisch in die rechte Hand zu drücken, können sie auch ganz neutral in die Mitte gelegt werden. Dann hat das Kind selbst die Wahl zwischen links oder rechts. (Günther Brandstetter, 13.8.2018)