Wien – Die Wellen rauschen, die Möwen kreischen. Am Strand würde man nun die Schuhe abstreifen, im Rupertinum des Salzburger Museums der Moderne (MdM) zieht man hingegen die Plastik-Überschuhe an. Sie sind azurblau. Immerhin. Um Meeresbrise und Barfußfeeling geht es allerdings in diesem belebten Bild gar nicht. Viel eher darum, wie schön wir es uns in vermeintlichen Idyllen eingerichtet haben.

Ursprünglich wurde "The Salt Traders" für die Istanbul Biennale 2015 entwickelt: An jene atmosphärische Intensität reicht die für das Rupertinum adaptierte Installation nicht heran.
Foto: Sahir Uğur Eren

Auch der Sand unter den knirschenden Schritten ist keiner. Es ist Salz, das die Künstlerin Anna Boghiguian als Körnchen gehäuft oder in großen Brocken platziert hat. Zwischen Bootsfragmenten, Tauen, Segeln, See- und Landkarten, Kästen mit Bienenwaben und allerlei Treibgut wandelt man wie in einer Art Bühnenbild. Es ist ein mit Malerei verfeinerter Prospekt für die Erzählung eines Schiffes, das in einer längst vergangenen Zeit, beladen mit Sklaven und Salz, verschwunden ist und das in womöglich nicht allzu ferner Zukunft infolge der globalen Erwärmung wieder auftauchen wird.

Installation im Rupertinum 2018
© Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

Späte Karriere

Die heute 72-jährige Boghiguian machte spät Karriere im internationalen Kunstbetrieb. 2012 begann es mit der Documenta in Kassel, inzwischen sind ihre Arbeiten sogar in internationalen Sammlungen wie jener des Museum of Modern Art in New York oder dem Guggenheim Abu Dhabi vertreten. Soloausstellungen fanden zuletzt im New Museum in New York oder im Castello di Rivoli in Turin statt. Bei der Biennale in Venedig 2015 war ihre Kunst Teil des mit einem Goldenen Löwen prämierten armenischen Pavillons. In Salzburg ergänzt Boghiguian ein letztes Mal das Vorhaben der scheidenden MdM-Direktorin Sabine Breitwieser, besonders Künstlerinnenpersönlichkeiten in den Fokus zu rücken.

Als "begehbares Buch" beschreibt Breitwieser die Installation Die Salzhändler (ursprünglich für die Istanbul-Biennale 2015 entstanden). Passend für eine Künstlerin wie Anna Boghiguian, die als stetig Reisende in einer produktiven Diaspora lebend, ihre Ideen vielfach in Künstlerbüchern entwickelt.

© Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

Es ist eher eine Form von atmosphärischem Lesen, ein poetisch-literarisches Begreifen der Spuren und teils hieroglyphisch notierten Worte und ihrer durchaus rohen wie auch naiven malerischen Bildsprache. All das versucht in diesem leider schlussendlich doch narrationsarm geratenen Denkraum auf die politische, mit dem "weißen Gold" verknüpfte Historie zu verweisen: auf die Anfänge des Handels, auf Kolonialismus, Sklaverei und Ausbeutung.

Segel, Vögel, Handel

Dieses Verweben verschiedener Erzählebenen und -formen scheint das Resultat von Boghiguians Studien zu sein. Die 1946 in Kairo Geborene – mit armenischen Wurzeln und kanadischem Pass – studierte nicht nur Kunst und Musik, sondern auch Wirtschaft und Politikwissenschaften.

Ein Horizont, der zu Boghiguians Themenfeldern der Ökonomie, des Kolonialismus und der Migration führt. Bereits 2017 widmete sich Boghiguian in Woven Winds dem Handel: Dieses Solo in der Stockholmer Index Foundation blickte zu den Anfängen der globalen Märkte, die die heutige Struktur des Kapitalismus und der Weltpolitik bestimmen.

Als Beispiel diente ihr Baumwolle: Deren Verarbeitung war im 19. Jahrhundert der erste Industriezweig mit Massenproduktion, die damaligen Werkstätten nahmen die Sweatshops der heutigen Zeit voraus. Das massive Wachstum der US-Ökonomie basierte stark auf Baumwolle und der Ausbeutung menschlicher Arbeit und der Böden.

Anna Boghiguian arbeitet collagierend, ob im Raum oder auf dem Papier: Ihre Themen spiegeln ihr großes Interesse an Politik, Geschichte und am Kolonialismus wider. In "Tagore’s Post Office" (2013) gehts es um den bengalischen Dichter Tagore und seinen Überlegungen zum Bildungssystem.
Foto: Renato Ghiazza

Der die politischen Geschicke der Welt dominierende Handel taucht auch in Boghiguians Arbeit für Salzburg auf: Im Atrium des Museums hat sie ein Segel gesetzt. Handel und Vögel ist ein riesiges, in Ägypten aus hundert Jahre altem Leinen genähtes und von Boghiguian bemaltes, benähtes und beschriftetes Segel. Die es umschwirrenden Vögel verweisen auf eine andere Grenzenlosigkeit als auf jene des fast uneingeschränkten Warenverkehrs – nämlich auf jene der Freiheit, auf die auch die rastlos reisende Künstlerin baut. Boghiguians Worte geißeln die Ausbeutung fremder Ressourcen und die nur eigenen Interessen gehorchende kapitalistische Logik des Globalen, die das eigentlich Globale, das kosmopolitische und weltumspannende Denken darüber vergisst. 11.8.2018, Anne Katrin Feßler)