Einparteiensystem. Keine Korruption. Mehr steht zur politischen Landschaft in Eritrea nicht auf der Homepage des Minenkonzerns Nevsun. Das kanadische Unternehmen ist eine von wenigen internationalen Firmen, die im kleinen Land am Horn von Afrika tätig sind. In nördlichen Bisha schürft Nevsun Gold, Zink und Silber. Der eritreische Staat ist mit über dreißig Prozent an der Mine beteiligt.

Ein ausführlicheres Statement zur eritreischen Politik, oder gar ein negatives, kann sich Nevsun derzeit nicht leisten. Zum einen weil die Kanadier sich im eigenen Land gegen den Vorwurf verteidigen müssen, beim Bau der Mine auf von der eritreischen Regierung zur Verfügung gestellte Zwangsarbeit zurückgegriffen zu haben. Das kanadische Höchstgericht wird in Kürze entscheiden, ob Nevsun auf Basis von Menschenrechtsverletzungen in Kanada der Prozess gemacht werden darf.

Der Minenkonzern hatte immer wieder darauf bestanden, dass eritreische Gerichte für den Fall zuständig seien. Und auch deshalb kann sich Nevsun keine Kritik leisten: Ein falsches Wort, und das Geschäft steht schlimmstenfalls still. Eritrea ist kein Rechtsstaat.

Was wie ein westlicher Staat mit Ministerien, Institutionen und Gesetzen aussieht, ist am Roten Meer – erythros, die etymologische Wurzel von Eritrea, bedeutet auf Altgriechisch rot – nur Fassade. So sehen es zumindest die meisten internationalen Organisationen.

Seit das Land, dessen geografische Konturen ein bisschen an die Form Österreichs erinnern, 1993 nach langem Krieg unabhängig wurde, zieht Präsident Issaias Afewerki in der Hauptstadt Asmara die Fäden in der Guerillaregierung. Was mit europäischem Staatsverständnis unter Korruption firmieren würde, ist in Eritrea Alltag.

Abschied von der Revolution

Zwar hat sich der im China Mao Tse-tungs ausgebildete Kämpfer damals mit der geopolitischen Großwetterlage nach dem Fall der Sowjetunion von der Weltrevolution verabschiedet. Was in den frühen Neunzigern privatisiert wurde, ging aber in die Hände von Regierungsgetreuen. Vom ehemals blühenden Bausektor ist nichts übrig geblieben, es gibt heute keine einzige private Baufirma mehr.

"Eritrea ist nicht Markt- und nicht Planwirtschaft", sagt Magnus Treiber, Ethnologieprofessor und Eritrea-Experte an der LMU München: "Die eritreische Führung hat überall die Finger im Spiel, Eigentumsverhältnisse und Geldströme sind aber sehr intransparent."

Eritreas autoritärer Staatschef Issaias Afewerki. Ausgebildet wurde er als Kämpfe einst in China

Die sechs Millionen Einwohner des Staats am Horn von Afrika gehören zu den Ärmsten der Welt. Der Human-Development-Index, ein Wohlstandsindikator der Uno, führt Eritrea auf Rang 179 von 188 Ländern. Die wichtigste Einnahmequelle Eritreas sind Rohstoffe. Gold, Silber, Zink. Andere seltene Erden sind noch lange nicht vollständig abgebaut und sorgen für regelmäßige Einnahmen. Ansonsten ist das Land von Agrarwirtschaft geprägt. Exportiert wird fast nichts. In den Nahen Osten führt Eritrea ein wenig Lebendvieh und billige Arbeitskräfte aus.

Etwa Hausmädchen nach Dubai. Der Staat verdient mit und schert sich wenig um die Umstände, unter denen eritreische Arbeiterinnen im Ausland leben. "Ein Menschenleben zählt in Eritrea wenig", weiß Treiber, der das Land selbst meidet: "Die Menschenrechtslage ist desolat, die Migration für viele alternativlos."

DerStandard widmet den aktuell wichtigsten Herkunftsländern für Migranten in Europa einer Serie.

Ein falsches Wort, und man verschwindet in der Zelle. Das Problem ist: Was ein falsches Wort, eine falsche Handlung ist, unterliegt der Willkür derer, die an der Macht sind. Es gibt kaum Berufungsmöglichkeiten und kaum Schutz vor Folter.

Die eigene Bevölkerung zwingt Machthaber Afewerki seit der Unabhängigkeit zum National Service – einem de facto oft unbefristeten Militärdienst, der viele junge Menschen in die Flucht treibt. Wie lange Eritreer im National Service dienen müssen, entscheiden die Befehlshaber nämlich oft völlig willkürlich.

Der Sold reicht für die Rekruten kaum für ein Dach über dem Kopf aus. Was dem Bergbaukonzern Nevsun vorgeworfen wird, ist in Eritrea alltäglich: Oft werden die Rekruten von der Regierung als billige Arbeitskraft zur Zwangsarbeit eingesetzt, Frauen flüchten sich häufig in frühe Schwangerschaften – immerhin ein Grund für frühzeitige Entlassung aus dem National Service.

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Eritreas Hauptstadt Asmara.
Foto: Reuters

Allerdings könnten sich die Umstände bald ändern. Äthiopien, aus dem das unabhängige Eritrea hervorgegangen ist, hat erst jüngst die von Eritrea geforderte Grenzziehung zwischen den beiden Staaten akzeptiert. Beobachter sprachen von einem Meilenstein im Friedensprozess am Horn von Afrika. Bislang galt zwischen den beiden Staaten die Devise "nicht Krieg, nicht Frieden" – die angespannte Beziehung zum südlichen Nachbarn diente Asmara als Rechtfertigung für den Zwangsdienst am eigenen Volk.

Treiber warnt jedoch vor allzu großem Optimismus. Ob die Regierung den Dienst an der Waffe wirklich verkürzen will, muss sich erst zeigen. "Ein kürzerer Militärdienst ändert nichts an der Menschenrechtslage. Ohne Rechtsstaat und Lebensperspektive werden die Flüchtlinge kaum weniger werden."

21.000 Eritreer kamen nach Europa

In Österreich wurden von 2016 bis Juni 2018 rund 400 Asylanträge von Eritreern registriert, darunter knapp 60 Frauen. 140 davon haben einen Asylstatus erhalten, 47 subsidiären Schutz. Im laufenden Jahr wurden bis Ende Juli nur acht Asylwerber aus Eritrea rückgeführt – nicht ins Herkunftsland, sondern gemäß einer EU-Verordnung in das Land der Erstregistrierung in Europa. Ohne Genehmigung auszureisen steht in Eritrea unter Strafe.

In den vergangenen zwölf Monaten sind über 21.000 Eritreer nach Europa gekommen, nur ein Bruchteil der insgesamt 486.200 Eritreer, die 2017 laut UNHCR ihr Land verlassen haben. Der weitaus größte Teil flieht in die Nachbarländer Äthiopien und Sudan.

Damit gehört das ostafrikanische Land zu den am häufigsten vertretenen Herkunftsländern unter den Flüchtlingen, die es, meist über die Mittelmeerroute, bis nach Europa schaffen. Deutschland, Italien und die Niederlande sind die Länder, in denen der Großteil der nach Europa geflüchteten Eritreer um Asyl ansucht.

Der Wehrdienst in Eritrea ist verhasst. Viele Rekruten werden zu Zwangsarbeit gezwungen

Dass Italien ein beliebtes Zielland für Flüchtlinge vom Horn von Afrika ist, liegt nicht nur an der geografischen Exponiertheit des Stiefellands, in dessen Häfen ein großer Teil der Mittelmeerflüchtlinge ankommt. Zwar haben die Eritreer nicht vergessen, dass die Italiener vor etwas mehr als hundert Jahren Abessinien, das Gebiet der heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea, kolonisiert haben und teils grausame Feldzüge gegen die lokale Bevölkerung geführt haben.

Die früheren Kolonialherren

"Doch ironischerweise erinnert man sich in Eritrea an die Zeit des italienischen Faschismus nicht nur negativ", sagt Treiber: "Um Mussolinis Abessinienkrieg vorzubereiten, haben die Faschisten in Eritrea Infrastruktur aufgebaut und moderne Technologien eingeführt." Heute sind Infrastruktur und Technologien weit weg von westlichen Standards. Laut dem Human Development Report nutzt nur ein verschwindend kleiner Teil der Eritreer das Internet. Von 2016 bis 2020 investiert die EU mehr als 200 Millionen Euro unter anderem in die Energieinfrastruktur und Verwaltung – mit dem Ziel, die Lebensqualität der Menschen merkbar zu verbessern. Die Führungsclique nimmt diese Gelder gerne an. An der Menschenrechtssituation haben sie wenig geändert. (Aloysius Widmann, 11.8.2018)