Istanbul/Brüssel/Washington – Das Börsenbeben in der Türkei hat am Freitag auch die Wall Street erreicht. Alle drei großen Indizes verloren rund 0,7 Prozent. Der Dow-Jones-Index schloss damit bei 25.313 Punkten der breiter gefasste S&P-500 mit 2833 und die Technologiebörse Nasdaq mit 7839 Punkten. In Frankfurt war der Dax mit 12.424 Punkten zwei Prozent tiefer aus dem Handel gegangen.

Eine schwächelnde Wirtschaft und einer galoppierende Inflation haben in der Türkei eine Währungskrise ausgelöst. Außerdem kündigte US-Präsident Donald Trump wegen des Streits um die Freilassung des in der Türkei festgesetzten US-Geistlichen Andrew Brunson eine Verdoppelung der Strafzölle auf türkische Aluminium- und Stahlimporte an.

Dollar auf Rekordhoch

Die türkische Währung hat seit Jahresbeginn um fast die Hälfte abgewertet. Am Freitag stieg der Kurs des Dollar zeitweise um fast 23 Prozent auf ein Rekordhoch von 6,801 Lira. Das ist der größte Kurssprung seit mehr als 17 Jahren. Gleiches galt für den Euro, der gut 18 Prozent gewann und mit 7,5792 Lira ebenfalls so viel kostete wie noch nie.

Für die Türkei ist die Entwicklung Gift. Sämtliche Importe – ob Öl, Maschinen oder landwirtschaftliche Produkte – sind deutlich teurer geworden, seit Anfang des Jahres allein durch die Abwertung um gut ein Drittel. Nun steigt die Sorge, die Finanzkrise könnte auf Europa überspringen.

Finanzminister Albayrak, Schwiegersohn von Erdogan, hat am Freitag versucht, die Wogen zu glätten. Er sicherte der Notenbank volle Unabhängigkeit zu. Die Türkei sei dazu übergegangen, sich zur Geldpolitik und zur Zentralbank nur sehr vorsichtig zu äußern, sagte Albayrak. Zudem kündigte er an, die Regierung werde noch stärker auf Haushaltsdisziplin achten und ein Hauptaugenmerk auf Strukturreformen legen.

Bankenaufsicht prüft

Die Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) schaut sich seit Wochen speziell jene Banken an, die in der Türkei Kredite vergeben haben. Es geht um durchaus stattliche Beträge. Insgesamt 224 Milliarden Dollar, umgerechnet knapp 200 Milliarden Euro, haben Banken weltweit der Türkei geliehen, zeigen Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ).

Vor allem spanische Geldhäuser müssen darauf hoffen, dass sich die Situation in der Türkei stabilisiert. Sie haben rund 83 Milliarden Dollar im Feuer. Französische Institute hängen mit 35 Milliarden Dollar drin, italienische mit über 18,1 Milliarden Dollar und deutsche mit knapp 13 Milliarden Dollar.

Besonders stark ist die spanische Großbank BBVA engagiert. Sie hält knapp 50 Prozent an der Garanti Bank, dem drittgrößten Finanzhaus am Bosporus. Dieser Anteil steuerte 2017 nicht weniger als ein Fünftel zum BBVA-Gewinn bei. Nun könnte nicht nur der Gewinn wegfallen, es drohen zusätzlich Abschreibungen.

Anleger sind jedenfalls alarmiert. Die BBVA-Aktie hat im laufenden Jahr 14 Prozent an Wert eingebüßt, deutlich stärker als der spanische Gesamtmarkt, der 2,7 Prozent verloren hat. Die italienische Unicredit wiederum ist mit 41 Prozent an Yapi Kredi beteiligt, der viertgrößten türkischen Bank.

Seit die türkische Lira in den freien Fall übergegangen ist, hat die Aktie der Bank Austria-Mutter rund ein Fünftel ihres Wertes eingebüßt. Eine systemische Gefahr für den europäischen Bankensektor drohe derzeit nicht, sagen Analysten. Einzelne Kreditinstitute könnten aber sehr wohl in Schwierigkeiten geraten.

Erdogan hat die Türken erneut aufgerufen, ihre ausländischen Devisen einzutauschen, um dem Verfall der Lira zu begegnen. "Wenn ihr Dollar, Euro oder Gold unter dem Kopfpolster habt, geht zur Bank und tauscht sie in türkische Lira. Dies ist ein nationaler Kampf", sagte er bei einer Veranstaltung am Schwarzen Meer. Die beste Antwort sei es, Produktion und Exporte zu steigern.

Fast postwendend kam die Antwort aus Washington. US-Präsident Donald Trump kündigte die Anhebung der Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei, einem Nato-Mitgliedsland, an. "Ich habe gerade eine Verdoppelung der Zölle (...) mit Blick auf die Türkei autorisiert, während ihre Währung, die türkische Lira, schnell gegen unseren sehr starken Dollar fällt! (...) Unsere Beziehungen zur Türkei sind nicht gut in dieser Zeit", ließ Trump über den Kurznachrichtendienst Twitter wissen. (stro; Reuters, 11.8.2018)